laut.de-Kritik

Live-Energie zwischen Schmalz, Schnalz und Schnulz.

Review von

Wer beim Erscheinen des Backstreet Boys-Albums "Millennium" Teenager und stark beeinflussbar war, steckt heute nach Ausbildung, Berufseinstieg, womöglich Familiengründung oder gar Kauf eines Eigenheims inmitten zahlreicher Verpflichtungen. Lacht verkniffen, wenn es um Unternehmungen am Wochenende geht, und zückt den Standardsatz: "Ach Gott, aus dem Partyleben bin ich doch schon lange raus." - An diese Zielgruppe wendet sich (sicher nicht frei von Berechnung) die Marketingabteilung des Sony-Konzerns mit einem Quintett, das ewige Sandkastenliebe par excellence zu verkörpern schien.

Revival kommen selten zufällig. Jetzt bietet die Regression ins Teenie-Alter den Party-Entwachsenen in ihrem stressigen Leben einen Ausweg, sich in übersichtlichere Zeiten zurück zu träumen. By the way, in Zeiten zurück, die zwischen den besten Hits der 80er und den angesagtesten Hits von heute im Mainstream-Radio oder in der Konsumtempel-Beschallung wenig vorkommen, nur gelegentlich mal in Gastronomie und Partie-Reihen anzutreffen sind. Die späten Neunziger sind eigentlich seit langem ziemlich out. Die Lösung für Sesshafte: Kaufen, was man nach mehreren Umzügen nicht mehr findet oder besitzt, die "Millennium"-CD, jetzt bestückt mit zusätzlichen Live-Mitschnitten, einer alternativen Version und verstreuten Tracks aus alten Maxi-Singles. Als Beobachter des Tonträgermarktes kennt man das Geschäft mit den Neuaufgüssen im Metal, Jazz und Classic Rock - aber wie soll das bei einer Boygroup funktionieren?!

Nun, das klappt prima. Denn erstmals findet sich nun alles auf Vinyl, einem anno 1999 kaum genutzten Medienformat. Und Backstreet Boys-Fans waren nicht nur treue Merch-Jäger:innen, als die Gruppe ihre ersten Hypes auslöste, sie waren auch die erste Generation, die mit dem Medium CD aufwuchs, aber noch um die Kassette wusste. Die MC (MusiCassette) war das tragbare Format für Walkman, Ghettoblaster auf dem Skaterplatz und fürs Auto, die CD war das Medium für zuhause. Rekordhafte Unmengen an Maxi-CDs vertickte die Gesangs-Crew aus Florida. Bis vor Release der "Millennium"-Songs waren es bereits über 16 Millionen Maxi-Singles. Um ein Gefühl für die Skalierung zu bekommen: Take That verkauften über zwei Millionen Silberlinge ihrer weltweiten Nummer Eins "Back For Good", die Backstreet Boys gut zwei Millionen Exemplare von "Quit Playing Games". Bei "I Want It That Way" waren es dann knapp neun (!) Millionen (!) CDs der Single, gefolgt von noch einmal über 20 Millionen Exemplaren des Albums "Millennium", das dieser Tage 26 Jahre und zwei Monate alt wird und trotzdem als "25th Anniversary"-Edition erscheint.

Der Zenit des Boygroup-Booms war erreicht, aber, was in der Geschichtsschreibung ein bisschen vergessen ist: Der Girlgroup-Erfolg der Spice Girls ließ die Kassen ein bisschen mehr klingeln. Bei ihnen wiesen die Lieder mehr Tempo und Würze auf. Das BSB-"Millennium"-Album wirkt zwar einigermaßen frei von Peinlichkeiten, gleichwohl manche Liedzeile ein bisschen naiv klingt, doch es stapft durch den Schmalz vieler übertrieben harmonischer Kuschel-Balladen. Ein unveröffentlichter Song war lange "Hey", eine "hätte hätte-Fahrradkette"-Ballade übers gedankliche Rückgängigmachen einer Trennung, performt mit E-Piano und Streicher-Ensemble. "I'll Be There For You" hat nichts mit dem Lied der Rembrandts zu tun. Es scheint, als habe die Auftrags-Songschreibeschmiede ihr Büro in eine Konditorei verlegt, so honigtriefend Tropfen die Verse: "Egal, was passiert, du kannst auf meine Liebe zählen" war wohl das, was man damals hören wollte - weltweit. Der Song erschien auf einer "Very Best Of", auf einem in Singapur vermarkteten Box-Set und verschiedenen Compilations für die Märkte Russland und China. Jeder sollte etwas von den Boys haben.

Zusammen mit der gleichermaßen Schnalz-Drum-Machine-Nummer "You Wrote The Book On Love" fand sich "I'll Be There For You" als Quasi-B-Seite auf einer der damaligen Maxi-Singles und gelangte somit in Millionen Haushalte. A-Seite war das schnulzige "Show Me The Meaning Of Being Lonely", das man in Großbritannien auch als Videoclip auf einer Betacam-Kassette kaufen konnte. Weitere kuriose Release-Praktiken bestanden in einer limitierten Auflage des Albums mit Mousepad und einem Kassetten-Sampler für Radio-Stationen in Thailand, auf dem Britney Spears einleitende Worte zu den Songs spricht. Bei "If You Knew What I Knew", der dynamischen B-Side von "Larger Than Life", passierte ein Druckfehler bei der Zeitangabe. Tatsächlich war das mit 5 Minuten 3 Sekunden angegebene Stück nur 4 Minuten 13 lang oder kurz, und so bleibt es bis heute. "If You Knew What I Knew" reiht sich in den R'n'B ein, der bei den Kollegen von N*Sync weit ausgeprägter war.

Der Schmachtfetzen "My Heart Stays With You" war bereits im Jahr vorm Album auf einer Live-VHS als Tape zu bekommen. Im Megaseller "I Want It That Way (Alternate Lyrics)" tauscht die "2.0"-Ausgabe nun die Lyrics beinahe komplett aus. Die Strophen haben einen gänzlich anderen Text: Statt drei Mal taucht der Ideen gebende Reim aus "fire" und "desire" nun nur noch einmal auf. Aus dem "Tell me why" des Chorus der offiziellen Fassung wird wird "That is why". Von "no more lies" und "no goodbyes" ist die Rede, und auch die Verteilung der Stimmen-Parts unterscheidet sich etwas.

Die Entwurfsfassung "The Perfect Fan (Demo)" hört sich näher am Ohr, fester am Klavier an, weil die Abmischung es begünstigt. Das Demo ist noch um einige Wechselspiel-Gesänge entschlackt, weniger zugekleistert, fokussiert sich mehr auf den Kern des tollen Songwritings. So erzielt die Demo-Version mehr Wirkung, weil sie allzu süße und üppige Streicher-Euphemismen verwirft und beim Hören klarere Konturen und Orientierung bietet. Dafür ereignen sich zum Ende hin auf zusätzlichen Takten auch intensivere Steigerung und dann ein interessanter, retardierender, leise werdender Schluss.

Nachdem im November 1999 das Conseco Fieldhouse für Eishockey-, Foot- und Basketball-Fans in Indianapolis eröffnete, hielten bereits am 10. und 11. März 2000 die Backstreet Boys dort im US-Nordosten Einzug, später fand hier mal eine Basketball-WM statt. Sie gaben zwei wunderschöne Shows mit Spitzen-Schlagzeuger, der am Drum-Set Basketball dribbelt, unter frenetischem Jubel und choralen Kräh-Einlagen des Auditoriums. Drei Einzelteile lagen bereits auf einer Maxi-Single im Jahr 2005 vor, nun sind sechs Tracks verfügbar. Die Klangqualität bezaubert, die besonders vibenden Dramaturgien in den Aufnahmen schießen einen reizvollen Thrill zwischen die Schnulz-Versionen des Studioalbums. Besonders cool kommen die rumpelnden Bässe von "Don't Want You Back (Live)" mitsamt der Referenz aufs eigene "Everybody (Backstreet's Back)" und das Jamiroquai-artige Intro von "The One (Live)" herüber. Das typische 'Planwirtschaftliche', unbeholfen Geschniegelte vieler Hits aus der Ära '99/2000, schüttelt aber auch die Live-Version nicht ab.

Erheblich besser gelingt das in der energetischen Lang-Fassung von "Show Me The Meaning Of Being Lonely (Live)". Den Song widmeten sie, wie in der Ansage zu hören, ihrem zeitweiligen Produzenten Denniz PoP, dem Schweden mit den beiden großen P. Auf ihn gehen die Beats und Arrangements fast aller Ace Of Base-Charts-Erfolge, der meisten Dr. Alban-Hits und der Rednex-Nummer Eins "Wish You Were Here" zurück. Vor der Fertigstellung von "Millennium" verstarb Denniz schwer erkrankt in jungem Alter.

"Wir sind große Fans von BTS, wir lieben sie", formulierte es Nick Carter schon 2018 auf Twitter. Wie sehr die Backstreet Boys als Genre-technisch verwaschene Gruppe den Grundstein für K-Pop legten, das lässt sich nur mühsam belegen. Denn immerhin mussten die US-Ostküstler ihre Fans vor und auch noch nach 2000 ohne Social Media bei der Stange halten. Bereits 1996 war mit den fünf Koreanern H.O.T. einer der Prototypen des K-Pop angetreten, sodass man auch in Südkorea heute längst in der zweiten, wenn nicht gar dritten Generation des Phänomens lebt. Popkultur verläuft bekanntlich in Zyklen. Brillengestelle, Jeans-Schnitte, manchmal auch Wörter kommen wieder, wenn Gras über sie gewachsen ist und mindestens eine Generation sie nicht zu Gesicht bekommen hat. Kurzlebige Moden erleben, so die Faustregel, nach 18 Jahren ihr Comeback, und bei hartnäckigen können schon mal 25 oder 30 Jahre daraus werden. Die Industrie, ob die des Films, der Mode oder der Musik, trägt großen Anteil am Remake-Kult - die nächste Rolle rückwärts kommt bestimmt bald.

Trackliste

CD1

  1. 1. Larger Than Life
  2. 2. I Want It That Way
  3. 3. Show Me The Meaning Of Being Lonely
  4. 4. It's Gotta Be You
  5. 5. I Need You Tonight
  6. 6. Don't Want You Back
  7. 7. Don't Wanna Lose You Now
  8. 8. The One
  9. 9. Back To Your Heart
  10. 10. Spanish Eyes
  11. 11. No One Else Comes Close
  12. 12. The Perfect Fan

CD2

  1. 1. Hey
  2. 2. I'll Be There For You
  3. 3. You Wrote The Book On Love
  4. 4. If You Knew What I Knew
  5. 5. My Heart Stays With You
  6. 6. I Want It That Way (Alternate Lyrics)
  7. 7. The Perfect Fan (Demo)
  8. 8. Larger Than Life (Live)
  9. 9. Don't Wanna Lose You Now (Live)
  10. 10. I Want It That Way (Live)
  11. 11. Don't Want You Back (Live)
  12. 12. The One (Live)
  13. 13. Show Me The Meaning Of Being Lonely (Live)

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7 Kommentare mit 15 Antworten

  • Vor einem Tag

    War damals Müll, ist heute noch Müll

  • Vor einem Tag

    Schön, dass sich das Album nach 25 Jahren bei laut.de um 1 Stern verbessert hat.

    Und sonst: Es ist und bleibt einfach gut gemachter Boyband Pop. Musik aus meiner Kindheit, die bis heute Ohrwurm Qualität hat.

    • Vor einem Tag

      Lösch dich sofort.

    • Vor 23 Stunden

      "Musik aus meiner Kindheit"

      Hast du denn eine Einverständniserklärung deiner Eltern für deine Account-Anmeldung?

    • Vor 2 Stunden

      Also erstens mal steht es einem Fake beliebiger Stufe wie Dr_Mubasi überhaupt nicht zu, user*innen die Aufforderung zur Selbstlöschung auszusprechen - erst nach der Ernennung zum vollwertigen muppet mit ganz eigenem character durch den Rat der Altvorderen - und zweitens reicht ein flüchtiger Blick auf die Kommentarhistorie um zu belegen, dass die Aufforderung zur sofortigen Selbstlöschung bei Mubasi viel angebrachter ist, insbesondere auch da blusi seit Ionen registrierter und durch den Rat anerkannter recurring muppet mit aktivem drive by-Posterstatus ist.

      tl;dr: Meiner Aufforderung zur sofortigen Selbstlöschung an Dr_Mubasi ist durch eben jenen unmittelbar Folge zu leisten! :mad:

    • Vor einer Stunde

      @pseudologe danke dir!

  • Vor 7 Stunden

    Und die laut.de Community ist immer noch gleich Kacke wie vor 25 Jahren. Als ob ihr keine Guilty Pleasures habt. Und ich höre nun jetzt auch nicht jeden Tag BSB.

    • Vor 7 Stunden

      Ne, andere Kacke. Sparen war angesagt, deswegen wurde der lautuser ausgetauscht durch lost7, craze schaut nur noch gelegentlich als Stargast rein und sonst gab es zahlreiche layoffs oder zumindest Kürzungen der Gagen, Mehrfachaccountmuppets bekommen nur noch einen paycheck, alles geht vor die Hunde :(

    • Vor 4 Stunden

      Ich darf ja eigentlich echt nicht drüber reden, aber wenn ihr meinen aktuellen Muppet-Vertrag sehen würdet .... Ich stand ja zwei Jahre vorher kurz vorm Einstieg/Vertragsschluss, da wäre noch alles anders gewesen (höhere garantierte Gage; ungedeckelte Boni; längere Laufzeit; mehr Urlaubstage) und nicht so Kacke. So Leute wie Craze kriegen für einen Kurzauftritt mehr als unsereins im Monat. Scheiß Boomer.

    • Vor 2 Stunden

      Hallo blusi,

      vielen Dank für dein Feedback! Wir bedauern, dass deine jüngsten Interaktionen mit einem Tagesgeschäftsfake sowie unserem aktuellen Haus- und Hoftroll zu einer unbefriedigenden Begegnung geführt haben. Wir sind immer an der bestmöglichen Erfahrung in zwischenmenschlicher Interaktion unserer Kommentarspalten-lautuser*innen interessiert, daher haben wir in dem hier von dir dargelegten Fall eine deutliche Zurechtweisung der unrechtmäßig agierenden Beteiligten durch unsere HRM-Abteilung veranlasst

      Wir hoffen darauf, dass Du dich auch in Zukunft weiterhin engagiert und meinungsstark zwischen unseren Kommentarspalten einbringst und bedanken uns nochmals für deine konstruktive Kritik! Ein weiterhin erfüllendes Lese- und Surferlebnis wünscht dir

      dein Pseudologe
      Head of HRM @ laut.de Kommentarspaltenmuppetensembleshow®