laut.de-Kritik

Gefühlvoller R'n'B, der sehr viel Hoffnung verbreitet.

Review von

Mit "Freetown Sound" von 2016 fand der Wahl-New Yorker Devonté "Dev" Hynes alias Blood Orange als eigenständiger Künstler im zeitgemäßen R'n'B zunehmend Anerkennung. Mit dem Album verleiht er den Opfern staatlicher und gesellschaftlicher Oppression in den USA eine Stimme, angelehnt an seine eigene leidvolle Lebensgeschichte. Seine Kindheit und Jugend verbrachte der heute 32-Jährige in Ilford im Nordosten Londons. Dort sah er sich aufgrund seiner schwarzen Hautfarbe und seines queeren Erscheinungsbildes regelmäßig mit Gewalt konfrontiert.

Auch auf "Negro Swan" verarbeitet er diese Erfahrungen und gewährt einen "ehrlichen Blick in die Ecken schwarzer Existenz". Schon im Opener "Orlando", der auf das Massaker in einem queeren Nachtclub in der gleichnamigen Stadt am 12. Juni 2016 anspielt, schildert er das beklemmende Gefühl, das er selbst früher täglich im Bus zu seiner Schule hatte. Schließlich kassierte er nach dem Unterricht oftmals heftige Faustschläge. Darüber täuscht in dem Song auch nicht sein funkiges, an Nile Rodgers angelehntes Gitarrenspiel und seine samtig-weiche, engelhafte Stimme hinweg.

Dagenham, das Nachbarviertel von Ilford, gilt als einer der gefährlichsten Orte in Großbritannien. Dort bestimmen überwiegend Schießereien den Alltag. Davon zeichnet in "Dagenham Dream" ein trockener Drumbeat in Kombination mit lauten Polizeisirenen ein dunkles, erschütterndes Bild. Oftmals hinterlässt so ein Background ein schweres psychisches Trauma. Trotzdem blickt Hynes mit "Negro Swan" nicht nur auf seine eigene, beinahe aussichtslos anmutende Vergangenheit zurück.

So manche interludeartige Passage behandelt die "ständigen Ängste queerer und andersfarbiger Menschen", wie er in seinem Statement zur Scheibe betont. Dazu griff er auf Audioschnipsel der Autorin und Transgender-Rechts-Aktivistin Janet Mock zurück. In "Family" beschreibt sie eine Community als ein Ort gegenseitiger Akzeptanz und Toleranz. Vor allem ein verbindendes Element hält letzten Endes sämtliche Tracks des Albums zusammen: Hoffnung. Daraus resultiert ein in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk.

An Hits mangelt es der Scheibe, die unter anderem in New York, Los Angeles, Tokio oder Florenz entstand, ohnehin nicht. "Saint" orientiert sich mit rauen Hip Hop-Beats und tosenden Fanfaren noch am offensichtlichsten auf dem Album am urbanen Feeling von "Freetown Sound". Außerdem bereichert der für Blood Orange typische männlich-weibliche Doppelgesang die Nummer um eine weitere sinnliche Komponente. Dieser drückt ebenfalls dem schwülen "Charcoal Baby" einen unnachahmlichen Stempel auf, während zarte, dezente Pianotupfer im Hintergrund Melancholie verbreiten. "No one wants to be the negro swan", heißt es im Refrain. Ein entfesseltes Saxofonsolo setzt sich am Ende gegen jedwede Form von Unterdrückung kraftvoll zur Wehr.

Dennoch haftet der Platte im Großen und Ganzen ein introvertierter Charakter an. Die vielen Gastbeiträge tragen eine Menge dazu bei. Aus diesem Grund zeigt sich Puff Daddy in "Hope" von einer ungewohnt verletzlichen Seite, begleitet von der warmen Stimme der Argentinierin Tei Shi. In Kombination mit dem leicht oldschooligen R'n'B-Fundament entsteht ein unaufdringliches, aber elegantes Stück. Demgegenüber beschränkt sich A$ap Rocky im trappigen "Chewing Gum" auf seine gewohnt lässigen Fähigkeiten als Rapper. Als herausragend in diesem Track erweist sich Project Pat, der bevorzugt Crunk und Horrorcore fabriziert, mit einer überraschend einfühlsamen Gesangseinlage.

Dagegen übt sich 'Dev' auf dem Werk mit akustisch geprägten Songs wie "Runnin'" und "Smoke" nahezu in Zurückhaltung. Die Scheibe, für die man sich als Hörer viel Zeit lassen sollte, bezieht jedoch gerade aus ihren intimen Momenten ihre wahre Größe. Von der Cheesigkeit eines "Cupid Deluxe" (2013) zum Glück keine Spur mehr. "Feelings never had no ethics" singt der Wahl-New Yorker zu reduzierten Gitarrenklängen mit hohem Falsett in "Nappy Wonder". Der Track mündet in einem ausgelassenen Jazz-Solo, das alles andere als prätentiös klingt. Vielmehr betont Hynes damit seine Botschaft der Selbstliebe in dem Stück.

Musik und Message verschmelzen auf "Negro Swan" zu einer universellen Einheit. Insgesamt die bisher gelungenste Platte von Blood Orange.

Trackliste

  1. 1. Orlando
  2. 2. Saint
  3. 3. Take Your Time
  4. 4. Hope
  5. 5. Jewelry
  6. 6. Family
  7. 7. Charcoal Baby
  8. 8. Vulture Baby
  9. 9. Chewing Gum
  10. 10. Holy Will
  11. 11. Dagenham Dream
  12. 12. Nappy Wonder
  13. 13. Runnin'
  14. 14. Out Of Your League
  15. 15. Minetta Creek
  16. 16. Smoke

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