laut.de-Kritik

Haben noch lange nicht alles gesagt.

Review von

The boys are back in town. Nach dem letzten Album "Tomorrow Come Today" war es etwas ruhig geworden um Boysetsfire, konnte es doch nicht ganz so überzeugen wie der Vorgänger "After The Eulogy". Aber jetzt sind sie wieder da. Mit neuem Label, neuer Platte und neuem Elan. Es klingt so, als hätten sie sich nicht von ihrer Linie entfernt, wohl aber von ihrem polierten Sound. Natürlich ist die Selfmade-Produktion immer noch fett und auf höchstem Niveau, aber "The Misery Index: ..." hat Ecken und Kanten an den richtigen Stellen, und einige überraschende Neuerungen parat.

Dabei fängt alles erst einmal ganz normal an. Für Boysetsfire sogar sehr verhalten. Nathan Gray und eine Akustikgitarre klingen leicht blechern. Er singt von der gestohlenen Unschuld. Nach den ersten Worten ist klar, textlich ist bei Boysetsfire alles beim alten. Sie halten die Social Consciousness-Linie weiter aufrecht. Nach anderthalb Minuten drehen die Fünf die Verstärker auf und los gehts. Die gewohnte Härte hält Einzug und Gray lässt seiner Stimme - dem wohl beeindruckendsten Instrument von Boysetsfire - freien Lauf. Mal fein und einfühlsam, dann wieder hart und schreiend.

Vielleicht bin ich ja nur ein Nerd, aber ist der Anfang von "Requiem" nicht ein fast unmerklicher Verweis auf At The Drive-Ins "Pattern Against User"? Wie dem auch sei, schon bei Song zwei fühlt man sich zu Hause in "The Misery Index: Notes From The Plague Years". Wohl auch deshalb, weil - wie auch beim Titeltrack - eindeutig Parallelen zu "After The Eulogy" hörbar sind. Die Klangbildbandbreite, die Boysetsfire erzeugen können, ist sicher nicht genretypisch und deshalb immer wieder überraschend und überzeugend.

Sie können sich sogar noch steigern. Das kurz-knackige "Final Communiqué" knüppelt mit der ausreichenden Härte, aber auch der nötigen Differenziertheit in die Gehörgänge. Zwei Stücke später holen sie dafür schon wieder die Akustikgitarre heraus. Die vielen Wendungen machen aus "The Misery Index: ..." ein spannendes Album. Bosetsfire sorgen für Abwechslung, und doch trägt jeder Song die charakteristische Handschrift der Jungs aus Delaware. In "Falling Out Theme" bringen sie sogar Streicher und Moshparts in einem Song unter. Und ich rede hier nicht von Apocalyptica.

Mitten im Album denkt man auf einmal, der Player spinnt, "So Long ... And Thanks For The Crutches" beginnt mit völlig genrefremdem Freejazzgeplänkel, bevor es richtig anfängt zu krachen. Am Ende erklingt sogar ein richtiges G-Funk-Outro. Nach soviel Innovation ist man richtig froh, wenn nach hinten raus noch ein paar straighte Nummern erklingen. Aber gerade durch die Ausflüge in scheinbar fremde Gefilde und Soundkollagen wie bei "Deja Coup" erspielen sich Boysetsfire einen besonderen Platz auf der Postcore-Landkarte. Und wenn sie dazu noch einen kompletten Bläsersatz einspielen lassen, muss man tatsächlich grinsen. Ernste Texte hin oder her.

Am Ende wirds fast noch ein wenig pathetisch, wenn Boysetsfire nach dem Screamo-Klopper "A Far Cry" ein Gebet für Amerika verlesen lassen. Nach dieser Vorstellung ist dies jedoch verzeilich, denn "The Misery Index: ..." gelingt und funktioniert rundum. Ein starkes Comeback einer Band die offensichtlich noch nicht alles gesagt hat, was zu sagen war. Wir hören gerne noch eine Weile zu.

Trackliste

  1. 1. Walk Astray
  2. 2. Requiem
  3. 3. Final Communique
  4. 4. The Misery Index
  5. 5. (10) And Counting
  6. 6. Falling Out Theme
  7. 7. Empire
  8. 8. So Long ... And Thanks For The Crutches
  9. 9. With Cold Eyes
  10. 10. Deja Coup
  11. 11. Social Register Fanclub
  12. 12. Nostalgic For Guillotines
  13. 13. A Far Cry

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