laut.de-Kritik

Jazz we can!

Review von

Ich mag ihn einfach mehr als seinen Bruder. Das wiegt besonders dann sehr schwer, wenn die Marsalis-Geschwister fast zur gleichen Zeit veröffentlichen. Während mich Wynton mit "He & She" langweilt, bläst mir Branford mit "Metamorphosen" das Gestell krumm. "Das englische Wort Metamorphosis klingt nicht gut und hat vor allem nicht die philosophische Qualität, die ich mit dem deutschen Wort verbinde", erklärt er den unamerikanischen Titel.

Energiegeladen wuchtet der 48-jährige Saxophonist seinen Betrachtungswinkel improvisierter Musik ins Jahr 2009. "The Return Of The Jitney Man" fackelt nicht lange und übernimmt ab der ersten Note das Modern Jazz-Zepter. Sechs Minuten bleiben Marsalis und seinen Gefährten, um sich die Seele aus dem Leib zu spielen. Dabei lassen sie keine Chance ungenutzt, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. "Intensiv", nennt Toningenieur Rob Hunter ihren Sound: "Ich führe das darauf zurück, wie gut diese Typen spielen", staunt er bis heute über die Komplexität, Qualität und Intensität der Aufnahmen.

Im Anschluss an die "Wiederkehr des Busfahrers" gönnen Joey Calderazzo (Piano), Eric Revis (Bass), Jeff Watts (Trommel) und Branford Marsalis (Saxophon) eine Extase-Pause. Melodiös einschmeichelnd und fast zum Pop schielend, braucht "The Blossom Of Parting" neun Minuten, um alles Wichtige zu sagen. Mit "Jabberwocky" geht die Bebop-trifft-Modern Jazz-Post voll ab, dann wichst sich "Abe Vigoda" durch den Intellekt.

Doch auch wenn ich für "Abe Vigoda" (aus der Feder von Eric Revis) das Tragen eines Umstandshuts empfehle und die Thelonious Monk-Komposition "Rhythm-A-Ning" für konventionell und traditionell interpretiert halte, bleibt "Metamorphosen" ein klasse Jazzalbum. Nicht neu, nicht einmalig, nicht verzaubernd, einfach ein solides Stück kreativer Handarbeit, das in Branfords farbenprächtigen Garten eine bodenständige Jazz-Scholle einpflügt.

"Sphere" hinkt mancherorts mit einem Gehwagen aus den Boxen. Niemals zuvor habe ich ein Laid-Back dieser Größenordnung gehört. Oder haben wir es gar mit einem Ritardando zu tun? Das genial schleppende Zeitmaß, das nicht so recht nach vorne preschen will, verweist auf den Blues und so schleppt sich die Baumwollplantagen-Atmo"sphere" zum melodisch-melancholischen "The Last Goodbye".

Dann ist auch schon fast Schluss. Fast, denn auf "And Then, He Was Gone" erhält Saitenpfleger Eric Revis ein dreiminütiges Beet, das er mit seiner Basskunst bepflanzt. Mit solistischen Highlights von Joey Calderazzo und Branford Marsalis, die sich noch einmal von ihrer kreativsten Seite zeigen, setzt "Samo" einen grandiosen Schluss- und Höhepunkt unter ein zeitgemäßes Stück amerikanischer Musikkultur, das nur ein Motto kennt: Jazz we can!

Trackliste

  1. 1. The Return Of The Jitney Man
  2. 2. The Blossom Of Parting
  3. 3. Jabberwocky
  4. 4. Abe Vigoda
  5. 5. Rhythm-A-Ning
  6. 6. Sphere
  7. 7. The Last Goodbye
  8. 8. And Then, He Was Gone
  9. 9. Samo

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