laut.de-Kritik

Producer-Meisterwerk mit Ronaldinho-Gaúcho-Flow.

Review von

"Dies ist die Geschichte einer Gesellschaft, die fällt. Während sie fällt, sagt sie, um sich zu beruhigen, immer wieder: 'Bis hierher lief's noch ganz gut, bis hierher lief's noch ganz gut.'" So wie "La Haine" endet, beginnt das dritte Album von Celo & Abdi: mit einem Fall. Wirklich wichtig ist aber nur eines: die Landung. "Bonchance" dafür.

Stimmungsvoller hätte der Einstieg in den Nachfolger zu "Akupunktur" kaum ausfallen können. In gerade mal 20 Sekunden baut sich eine ungeheure Spannung auf, die sich anschließend im brachialen "Kickstart" entlädt. Die berechtigte Frage: "Wer will diese beiden Kanacken aufhalten?" Niemand. Schon gar nicht, wenn sich zum Mainhattan Dream Team noch M3 gesellt. Der Produzent, der seit geraumer Zeit einige der feinsten Beats Deutschlands liefert, übertrifft sich auf "Bonchance" selbst und setzt den Grundstein für ein grandioses drittes Album der beiden Frankfurter.

Von der zerschmetternden Single "Amo Aller Amos" über das psychedelisch angehauchte "Verfolgers" bis hin zum Gargoyles-Theme-Sample am Ende des gleichnamigen Tracks lässt M3 die Bässe bitterböse pumpen und die Synthies zischen wie zurzeit kaum ein anderer. Snares und Kicks sitzen dabei stets dermaßen perfekt, dass sich eigentlich keines der Stücke hervorheben lässt. Vielmehr besteht
"Bonchance" hinsichtlich seiner Beats aus 14, beziehungsweise 17 Highlights.

Eine Vorlage, die Ché und A natürlich verwandeln müssen. Und genau das tun sie - mit düster unterhaltsamem "Ronaldinho-Gaúcho-Flow". Vielleicht nicht ganz so elegant, aber genauso eigenwillig und markant wie der einstige Barça-Star flexen die beiden über das von M3 ausgelegte Spielfeld.

Die raptechnisch deutliche Steigerung im Laufe der Jahre macht sich dabei vor allem in Abdis Mörder-Part auf "Amo Aller Amos" bemerkbar: "Du kleine Missgeburt hast mal 'n krassen Film geschaut / Und dann bestimmt geglaubt dein Leben ist Blood In, Blood Out / Das Twizzla-Pound, das du rauchst ist nicht aus / Marokko sondern Schoko von der Milka-Cow".

Dass dabei das Zusammenspiel mit Partner Celo bestens klappt, beweisen nicht nur die gelungenen Hooks im Großstadt-Horrorszenario "Gargoyles", "Ticker Chromosom" oder dem Titeltrack. Auch das abwechselnde Gespitte des paranoiden Dealerstücks "Verfolgers" glänzt dank der harmonischen Ergänzung zwischen den beiden MCs.

Wie schon auf den Vorgängern kochen die Texte auf "Bonchance" vor verschiedenen Einflüssen und Referenzen nur so über. Stets mit vorherrschenden französischen Anleihen spittet besonders Celo erneut einen wilden, aber durchschlagenden Mix verschiedener Sprachen, berühmter Film-Zitate, Fußballer-Namen und Songlines: "Roll durch den Zoll im A8 Long / Cabrón, Ché Apostroph, Azzlack kommt / 385, puissance nitro / [...] Langzeitschäden Têtes brûlées / Nenn es Collateral Damage, Boyz in the Hood / Menace 2 Society, Bornheim on Fire / Wie Super-Sayajin von Heisenrath bis KKW."

Dass das Storytelling von "Erster Atemzug" hingegen etwas schleppend verläuft und es mit "Letzter Atemzug" auch noch die obligatorische, allerdings nicht übermäßig kitschige 'Mach dein Ding'-Nummer aufs Album geschafft hat, stört das Gesamtbild keineswegs. Ansonsten unterhalten Celo & Abdi über die gesamte Distanz nämlich so gut wie nie zuvor.

Neben den beiden Hauptdarstellern in Bestform und exzellentem Beat-Picking hat "Bonchance" aber noch eine weitere große Stärke: die Features. Die sind zwar rar gesät, doch allein die Beiträge von Xatar und Haftbefehl auf dem aggressiven Monstrum "Heckmeck" stellen schon unzählige Kollaborationen in den Schatten. Während der Bira einmal mehr für Schmunzeln sorgt ("Pumpe 'Mantel' im 200 Euro Kadett, der nach Heckmeck verbrannt wi-bird"), befindet sich Hafti immer noch im "Lass Die Affen Aus Dem Zoo"-Modus und packt den lyrischen Totschläger aus: "OFC Hooligan, asoziale Randgruppe / Azzlack die Mannschaft,
der Rest kann Schwanz lutschen.
"

Hanybal, der auf "Nullfünfkriege" authentisch wie eh und je direkt von den Straßen Frankfurts erzählt, und die ebenfalls starke Zusammenarbeit mit Olexesh und Veysel auf dem abschließenden "Blendoui" machen jedes weitere Feature überflüssig. Stattdessen verlassen sich Celo & Abdi hauptsächlich auf sich selbst, was sich besonders im Vergleich zum Vorgänger positiv auswirkt.

Doch keine Frage: Schon "Hinterhofjargon" und "Akupunktur" waren zweifellos gute Alben, die letztendlich den Weg ebneten für das grandiose "Bonchance". Aber wichtig ist nicht der Weg, sondern die Landung. Und die gelingt in diesem Fall: Punktlandung.

Trackliste

  1. 1. Kickstart
  2. 2. Amo Aller Amos
  3. 3. Erster Atemzug
  4. 4. Bonchance
  5. 5. Ticker Chromosom
  6. 6. Verfolgers
  7. 7. Schlaghammer
  8. 8. Gargoyles
  9. 9. Schnelles Geld
  10. 10. Heckmeck feat. Haftbefehl & Xatar
  11. 11. Chabula
  12. 12. Tollwut
  13. 13. Karawane
  14. 14. Letzter Atemzug
  15. 15. Marifet
  16. 16. Nullfünfkriege feat. Hanybal
  17. 17. Blendoui feat. Veysel & Olexesh

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20 Kommentare mit 24 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Würde ich mir nur wegen der Beats anhören, ansonsten gibt mir das nix.

  • Vor 9 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 9 Jahren

    Nachdem ich ja bei der "Baba aller Babas"-Kritik ein wenig rumgezickt habe, kann ich das hier wieder nahezu voll und ganz unterschreiben. Schöner Text, Herr Maurer!

    Ich muss zwar HJ noch mal hören, um mir da ein abschließendes Urteil zu bilden, denn Songs wie "Parallelen" und "Besuchstag" sind ja quasi moderne Klassiker und es ist halt das hungrige Debut... "Bonchance" ist aber in meinen Augen so ziemlich das Beste, was sie nach dem durchwachsenen Vorgänger abliefern konnten und der Beweis, dass man an den Azzlackz in den letzten Monaten nicht vorbeikommt.

  • Vor 9 Jahren

    Wie geil ist denn bitte schön "Verfolgers"? Ich glaube, ich hören mal rein :ill:

  • Vor 9 Jahren

    Das sind auch zwei so Typen, die stellvertretend dafür stehen, was bei deutschem Hip Hop seit ca zehn Jahren verdammt falsch läuft.

    Nur Verherrlichung von Drogenmissbrauch, Gewalt und gelebter Chauvinismus in den verschiedensten Ausprägungen.Wo ist die positive Message, wo der Community Gedanke, die Elements. Hip Hop ist so viel mehr!

    "Rap" kann man das auch kaum nennen. Man versteht vom Gelaber dieser zwe Typen doch eh so gut wie nichts. Keine Feeling für Reime und Flow. Die Grundlagen bei denen es bei Rap ankommt sind einfach nicht vorhanden, mal ganz abgesehen von dem schwachsinnigen Inhalt.

    Vielleicht kommen ja auch irgendwann wieder Zeiten, in denen Artists mit Intelligenz und Aussage, die ihr Handwerk verstehen, wieder ins Licht der Öffentlichkeit treten.

    Im Underground gibts ja zum Glück noch genug davon. Man muss es sich nur anhören. Schnallt die Message!

    https://www.youtube.com/watch?v=TK8U-p0gsl… class="last">Peace Out

  • Vor 9 Jahren

    Ist das erste Album von denen, das ich mir angehört habe. Leider aber doch die erwartete Berg- und Talfahrt. Tracks wie Tollwut, Karawane, Amo aller Amos, Schnelles Geld und vor allem Verfolgers sind verdammt coole Ohrwürmer. Aber allein schon die Hooks von "Erster Atemzug" oder "Chabula" sind z. B. sehr brechreizfördernd und schaffen es ernsthaft, mir das ganze Album zu versauen. Xatar kommt ganz cool (wesentlich besser als auf seinem eigenen Album), Hanybal kann es besser und Hafti mit Überpart.

    Mit einem zugedrückten Auge 3/5