laut.de-Kritik
Erwachsenenpop!
Review von Kai Kopp"Wenn du es nicht gelebt hast, kommt es nicht aus deinem Horn", wusste schon Charlie Parker. Dass eine kultivierte Musikausbildung nicht immer nur Gutes erreicht, meint auch Produzent und Jazzaholic Bob Belden (Sting, Prince). Er schilt über die Akademisierung des Jazz: "Man sollte bei einem Konzert die Augen schließen können und dann Bilder vor dem imaginären Auge sehen. Aber bei vielen Leuten von heute stellt sich mir nur das Bild eines Klassenzimmers von Berklee ein".
Diese süß-saure Erkenntnis gewannen auch Cristin Claas und ihre Gefährten Christoph Reuter (Klavier) und Stephan Bormann (Gitarre). Ihr ehrliches Fazit zum erfolgreichen, letztjährigen Debüt "In The Shadow Of Your Words" lautet, "als studierter Musiker musste immer alles technisch sauber sein."
Deshalb stellen sie ihren akademischen Anspruch auf "Paperskin" deutlicher in den Hintergrund. "Jetzt darf auch mal ein Ton nicht ganz sauber intoniert sein, wenn er so die Stimmung des Songs trifft. Da spielen Dinge eine Rolle, die man erlebt hat, Bilder, die sich im Kopf bewegen. Die wollen raus, zu Musik werden, und dabei nehmen sie nicht immer den geraden Weg."
"Paperskin" vereint Anspruch und Wirklichkeit, Studium und Leben, Virtuosität und schöpferische Kraft in vollendeter Form. In Sachen Erfindungsreichtum, der das Leben atmet, braucht die Gefolgschaft also keinerlei Nachhilfe von Charlie Parker oder Bob Belden mehr. Die Songs strotzen geradezu vor Erfindungsgabe und Ideenreichtum.
Experimentierfreude tritt an die Stelle von Perfektion, auch in der Instrumentierung. Keiner klebt an seinem studierten Instrument. Es erklingen Glockenspiel, Melodika, arabisch anmutende Darbuka-Trommeln oder ein türkisches Saiteninstrument, das ein anderer Musiker zuvor im Studio vergessen hat. Auch der Flügel muss als Perkussionsinstrument herhalten. Darüber hinaus sind "Rain Pours Down" und "Lass Mich Sinken" gemeinsam mit dem wuchtigen Klangkörper der Anhaltischen Philharmonie eingespielt.
Für Abwechslung sorgt auch die ausbalancierte Playlist. Sie opfert sich balladeskem Tiefgang ("Rain Pours Down", "Awake") und zelebriert auf "Longing For Poetry" und "Spring" ehrliche Fröhlichkeit. Vorwiegend auf englisch gesungen, bestechen die Albumcloser "Lass Mich Sinken" und "Wo Gehst Du Hin?" durch ihr sensibles Deutsch. "Le Du Song" überrascht mit einer lautmalerischen Fantasiesprache und "Hüzün" kauft ein langes Ü.
"Ich nehme immer das besser klingende Wort, auch wenn rein inhaltlich ein anderes besser passen würde", unterstreicht Claas ihre Klangverliebtheit, die sie mit Sonja Kandels und Julien Jacob teilt. "Wichtig ist sowieso nur die Vorstellung von dem was man singt, egal in welcher Sprache", führt Kandels den Gedanken fort. Jacob denkt in aller Konsequenz zu Ende: "Die Bedeutung von Worten und das Bemühen, sie zu verstehen, behindern die Wirkung von Musik". Lassen wir das mal so stehen.
Aufgrund ihrer umwerfend angenehmen Wirkung sind "Paperskin" und "Companion" absolute Pflichtstücke für Taucher nach Adult Contemporary-Songperlen. Der Verzauberungscharakter dieser Songs liegt bei nahezu 100%.
Wer im Besitz des ganzen Albums ist, nennt einen Schatz sein Eigen. Denn, wie der Opener "Longing For Poetry" klarstellt, dürstet es den Protagonisten nach liedgewordener Poesie. Nicht umsonst nennen sie ihre Mischung aus Jazz, Songwriting und Pop, Songpoesie. Diese eigens beschriftete Schublade verweist u.a. auf den sensiblen und filigranen Einsatz und Charakter von Claas' Stimme. "Ich bin von Natur aus eher introvertiert und im übertragenen Sinne dünnhäutig. Aber ich kann damit leben, wenn ich singe. Die Musik schützt mich auf ihre Weise - wie ein Kokon", gibt sie über sich preis.
Mitunter besitzt Cristin Claas die Zerbrechlichkeit einer Susi Hyldgaard oder die Intimität einer Sidsel Endresen, immer aber ihren ganz eigenen, unverkennbaren Charakter. Das trifft auch auf das Repertoire des Trios zu. Auf "Paperskin" verbinden sie ihre technische Erhabenheit eindrucksvoll mit den, mal bitteren, mal süßen Wahrheiten des Lebens.
Es geht um "emotionale Stimmungen, die sich über meine Stimme einen Weg nach außen suchen", fasst Cristin Claas zusammen. Gut so, denn "wenn du es nicht gelebt hast, kommt es nicht aus deinem Horn!"
2 Kommentare
"als studierter Musiker musste immer alles technisch sauber sein."
Eben. Man hats ja durchaus kapiert seit dem vorherigen Album. Aber SIE ist immer noch da und hörbar. Die manchmal etwas steril anmutende Perfektion. "Glatt" wird sowas ab und an genannt, wenn mans nicht anders beschreiben möchte. Oftmals ist es gerade dann ein Genuss fürs audiophile Volk, im Grunde ja nicht per se verkehrt oder abzulehnen. Bin ich doch selbst ein Freund des möglichst unmumpfigen Wohlklangs, denn nicht umsonst will man ja über die Jahre einen guten Batzen fürs Hifi-Equipment ausgegeben haben.
Aber jetzt nicht zu viel herumkritteln, das Album ist schön geworden.
Ich sehe es bei knappen ****, davon geht ein guter halber allerdings (ehrlich währt am längsten) für den hervorragenden und ausbalancierten Klang drauf. Ich habe sogar das Gefühl, hier ist nur sehr sehr wenig der allerorten ins Gespräch gekommenen "Kompression" bei der Produktion zum Opfer gefallen, das ist schon einmal wert, daß man es anspricht.
Trotzdem nehme ich Obi Wan die 4 Balken aus einem Bauchgefühl heraus nicht so ganz ab.
Meister Kenobi, Du hast dir wirklich Mühe gegeben, deine Wertung zeigt 4 Balken....dein Text aber...........
... schrabbt knapp an den 5 Punkten vorbei
Ganz im Ernst, ich find die Platte total klasse Vor allem Song 4 und 8, "Paperskin" und "Companion".
Aber ich kann deine Kritik sehr gut nachvollziehen ...
außerdem werde ich jetzt hartnäckig versuchen in der Redaktion durchzusetzen, dass ich mit "Meister Kenobi" angesprochen werde