laut.de-Kritik
Vitaler Nachhall der Flower-Power-Ära.
Review von Philipp KauseWer die letzte längere Deutschland-Tour von Crosby, Stills und Nash noch erlebt hat, hatte Glück. Kurze Zeit später erhitzten sich die Gemüter dieser großen Folk-Köpfe so sehr, dass es aus war zwischen den Woodstock-Legenden. Draußen bei den Open Airs war's dagegen kühl, zu kühl für Crosby. Nur 13 Grad und ein tiefgrauer Himmel begleiteten die hiesigen, dreistündigen Auftritte von Crosby, Stills und Nash Ende Juni 2013. "Is this the German summer?", maunzte David Crosby ins Mikrofon, kuschelte sich in einen Kapuzenpulli, Hände in die Känguru-Innentasche geschoben. Gelegentlich verschwand er für etliche Minuten, um sich aufzuwärmen. Bald darauf begannen Crosbys Herzprobleme.
Der gesündeste war er schon lange nicht: Hepatitis C, transplantierte Leber, Diabetes. Trotzdem schob er seither fünf Solo-Alben nach. Eines davon, "Croz", spielte auf seine eigene Marke für Cannabis-Produkte, 'Mighty Croz', an. Und zuletzt erschien dieses Live-Album mit jüngeren Kolleginnen, noch im Dezember 2022. Sein erstes eigentlich: "Live At The Capitol Theatre". Der CD liegt eine DVD mit der identischen Trackliste bei. Das letzte Studioalbum überkreuzte sich zeitlich gier damit, sodass man hier auf neue Highlights wie "Rodriguez For A Night" verzichten muss. Der Titelsong von "For Free" (2022) kontrastierte das abgehobene, stressige Leben von Musikstars in Hotels, ihre Gagen und Tantiemen mit einem Straßenmusiker, der einfach gratis spielt und Spaß daran hat.
Im Herzen blieb der Schnauzbartträger mit dem zotteligen Haar wohl immer selbst so ein Hippie. Seine kritischen Positionen zur Rolle der US-Regierung als Weltpolizei änderten sich nie, wie auch Nash, Stills und Neil Young engagierte er sich als Teil der Anti-Vietnamkriegs-Generation gegen George W. Bushs Feldzug im Irak. Hier auf "Live At The Capitol Theatre" geht's jetzt weniger um aktuelle Anlässe der Texte als darum, eine Hinhör-Stimmung mit akustischen Versionen zu entwerfen. Manchmal auch darum, sattsam bekannten Klassikern wie dem alten "Guinnevere" (1969) ein neues Live- und Unplugged-Umfeld zu gönnen.
Besonders wenn die Tunes eben nicht mit CSN(Y) entstanden waren, so wie Crosbys Solo-Stück "Laughing" (1971), oder das extrem regierungskritische "What Are Their Names", hier neu als Acapella zu hören (ursprünglich 1971, komponiert mit Neil Young und Jerry Garcia). Bei "Woodstock" glückt super effektvoll das Verteilen der Strophen auf mehrere Stimmen. Der Einsatz von Michelle Willis und Becca Stevens als Ko-Stimmen zündet überhaupt an mancher Stelle als vitalisierender Impuls, um aus einsamen Songwriter-Gedanken Dialoge zu machen.
Die meisten Tunes stammen aus den Solo-Alben "Lighthouse" (2016), nach dem sich die hier aufspielende Lighthouse Band benannte, und aus "Here If You Listen" (2018). Der verschrobene und dissonante Alternative-Funk-Diamant "The City" sticht als unerwarteter Bruch aus den harmonischen Folk-Hymnen hervor. Crosby wandelt dort stilistisch auf den Pfaden von Meshell Ndegeocello und Bruce Hornsby und fusioniert Jazz-Vibes mit rustikalem Americana. Clever gemacht und einer der Songs, die ein bisschen atemlos machen auf dieser sonst eher stillen Scheibe voller Anmut.
Der zweite Song-Gigant, den man sich unbedingt anhören sollte, "Carry Me" zeigt die enorme Macht und Ausstrahlung, die man mit wenigen Mitteln transportieren kann, mit Akustikgitarre, dreistimmigen Vocals und zwei wichtigen Geschichten. "Einst liebte ich dieses Mädchen / jünger als ich / ihre Eltern sperrten sie in ihrem Umfeld ein / und sie weinte nachts / wünschte sich, frei zu sein. / Meistens, so erinner ich mich / lachte sie, während sie / uns beim Spielen zusah, die Musik schien sie mitzunehmen / und sie sang 'trage mich mit über die Welt hinaus'." - Zudem schildert Crosby die letzten Lebenstage seiner Mutter auf dem Sterbebett, matt und auf den erlösenden Moment wartend. Der wenig bekannte Track aus dem Jahr 1975 geht sehr ans Herz. Und er entspricht Crosbys typischer Art, Lieder übers Loslassen und über Nähe und Distanz zu formen. Das war sein Ding, sein Lebensgefühl, sein ewiger Spannungsbogen.
"The Us Below" zieht mit herzlicher Wärme und stillem Staunen über das Universum sofort Aufmerksamkeit - auf einen bedachtsamen Moment in einer schnell gelebten Zeit. 2016 schrieb der Woodstock-Zeitzeuge das Lied über die mickrige Rolle des Menschen im All. Greta würde ihm wohl widersprechen. Demselben Album von 2016 entstammt "Things We Do For Love", das ebenfalls als zartes, andächtiges Unplugged bezirzt.
Auch wenn man in den Ansagen aufgrund der Soundqualität und des lauten Applauses nicht so gut versteht, was Crosby murmelt, wird anhand der Reaktionen spürbar, was für ein witziger Typ er war. Ein Musiker, der den Draht zum Publikum, womöglich eine spirituelle Verbundenheit suchte und vielleicht deswegen trotz schwerer Krankheit nie von seinen Tourneen und Releases lassen konnte: Im Gegenteil, in seinem letzten Lebensjahrzehnt drehte er die Schlagzahl an Output nochmal so richtig hoch.
Als Crosby im Jahr 2018 den Song "1974" rausbrachte, setzte er abermals ein Statement seiner unprätentiösen Art. Denn das Lied auf "Here If You Listen" war ein unfertiger Entwurf, wie er auf seinem YouTube-Kanal kundtat: "'1974' war das Demo eines Songs. Und das wirklich Faszinierende ist: Man kann mich hören, wie ich den Song ausarbeite. Da bin ich tatsächlich dabei, die Melodie zu finden, und den Song zu schreiben. Ich hatte beim Komponieren ein Tonbandgerät laufen. Ihr könnt hören, dass ich überglücklich darüber bin, wie ich den richtigen Dreh finde. Und dann übertrugen wir das Stück von 1974 in die Jetztzeit. Dabei behielt ich das ursprüngliche Demo bei. Total aufregend für mich! Ich liebe es!" Dem Tour-Album des Jahres 1974, "CSNY 1974" – 2014 erst von Crosby bearbeitet und veröffentlicht - gehörte dieses Überbleibsel noch nicht an. "Wir (...) gaben dem Ding den letzten Schliff, und so wurde der Song 44 Jahre nach seiner eigentlichen Entstehung geboren", sagt Michael League, der auf "Live At The Capitol Theatre", die Lead Guitar spielt. Das Stück fügt sich perfekt in die Akustik-Sammlung ein, nachdem es so lange schmoren musste. Zu viele andere Hits wie "Love The One You're With" (von Kollege Stephen Stills), "Helpless" und "On The Beach" (von Neil Young), bis hin zu "Teach Your Children" (von Graham Nash) konkurrierten bei CSNY, in dieser Gruppe der vier großen, kreativen Egos. Sehr selten verfassten sie Lieder zu zweit, fast nie zu dritt (wie bei "Music Is Love" von 1971) - und nie zu viert. "Déjà Vu", Titelsong des 1970er-Albums von CSNY, lebt jetzt in seiner Verträumtheit noch einmal live als einer der besten Folk-Classics der Flower-Power-Ära auf.
Während die ergänzenden Musikerinnen Becca Stevens (38) und Michelle Willis (36) und Michael League (38) von Snarky Puppy überwiegend für die Arrangements und das Drumherum sorgen, steuern sie doch auch eigenes Liedmaterial bei. Becca Stevens lässt das schwebende "Regina" aus ihrer gleichnamigen CD vom Stapel - mit ätherischen Lead Vocals in einem traumhaften Ensemble aus getupften Klängen, zerbrechlich wie aus Glas. Musik für sensible und sanftmütige Menschen.
Auch die andere Kollegin, die Crosbys Tochter oder gar Enkelin sein könnte, bietet eine Eigenkomposition auf. "'Janet' ist ein Lied von Michelle Willis, einer der talentiersten Musikerinnen, mit denen ich je gearbeitet habe. Von allen. Jemals. Eine der allerbesten. In einer Liga mit Joni, Aretha und Bonnie", erzählte David auf Facebook über die Soul-Folk-Tastenspielerin aus Kanada. "Zudem kann sie schreiben, sie spielt auch dieses wundervolle funky Klavier, sie ist eine brillante Keyboarderin, eine brillante Frau. Wir bettelten sie um dieses Lied an. Sie wollte es für ihre eigene Platte aufheben, aber wir flehten sie an. Der Song ist so stark, der tritt dir in den Arsch!" - Ja, David, das stimmt definitiv!
Vielleicht aufgrund seiner Klarheit, seiner Straightness und seiner Wertschätzung für andere, gewann der Westcoastler stets so viele Persönlichkeiten, die er haben wollte: Grace Slick und Paul Kantner von Jefferson Airplane, Phil Collins, Marc Cohn, Wynton Marsalis, Mark Knopfler, ... Events wie das Monterey Pop-Festival bestärkten ihn in seiner Einschätzung, dass die Rockmusik immer gesellschaftsrelevanter wurde, das Publikum politische Positionierungen begrüßte.
Die großen Hits bei CSN(Y) schrieben zwar meist die anderen, doch "Live At The Capitol Theatre" unterstreicht ganz klar: Das hatte Gründe, die wohl vor allem in der Gruppendynamik lagen. Denn tolle Songs hatte David immer mehr als genug im Gepäck. Und er bleibt mit seiner schnörkellosen, manchmal mürrisch und wurstig wirkenden Art, zugleich höchsten Präzision im Gesang, an der Rhythmusgitarre oder sporadisch an den Tamburin-Schellen ein einmaliger Typ in der Popgeschichte.
2 Kommentare
philipp kause schreibt ein stück musikgeschichte und überzeugt durch klarheit und feine rhetorik
Die Cosby Show habe ich damals gefeiert (ist halt auch black history, y‘know). Aber ich weiß nicht, warum ich mir die Musik von so einem alten weißen Mann anhören soll, der mit dem Namen von Bill Cosby ein albernes Wortspiel gemacht hat.