laut.de-Kritik
Auf der Suche nach dem perfekten Classic-Rock-Album.
Review von Alexander KrollEigentlich müsste "Misadventures Of Doomscroller" das perfekte Dawes-Album sein. Beim Fazit zur letzten Platte der L.A.-Folkrocker schrieb ich: ""Good Luck With Whatever" ist ein überzeugendes Album, dem vielleicht nur noch ein paar Brüche fehlen, ein paar Wagnisse, damit Dawes noch größer werden". Auf dem achten Album liefert das Quartett nun Brüche und Wagnisse als 45-minütigen Spielplan.
In sechs Tracks plus Outro gönnen Dawes ihren melodischen Americana-Philosophien mehr Zeit und Raum zur Entfaltung. "Wir lassen die Songs wirklich atmen und sich ausdehnen und leben, wie sie es wollen", schwärmt Bandleader Taylor Goldsmith, "Wir wollten, dass diese Platte weniger eine Sammlung von Songs ist als vielmehr eine Sammlung von Musik".
Motiviert durch Progrock- und Jazz-Freiheiten drehen sich die Tracks durch Gegenwartsthemen, zersplittern und fügen sich doppelt und dreifach wieder zusammen. Mit Produzent Jonathan Wilson, der neben Angel Olsen und Father John Misty auch schon drei Dawes-Alben betreut hat, veranstaltet "Misadventures Of Doomscroller" eine Klangreise, die viele Attraktionen bietet, aber auch Punkte erreicht, in denen die Spannung schwindet.
Als Agenda für die epischen Ausmaße des Albums dient die zweigeteilte Single "Someone Else's Cafe / Doomscroller Tries To Relax", die der Band mit einer Laufzeit von rund zehn Minuten den Rekord des längsten Auftritts im US-Fernsehen beschert hat. Beim ersten Teil, der von Tyrannen und Kellnern erzählt ("We're all waiting tables / In someone else's café"), jammen sich die vier Musiker vom Steely Dan-Groove bis zum Dire Straits-Solo in einen rauschhaften Classic Rock-Traum.
Im zweiten Teil steigert sich das Arrangement zu einem bittersüß versöhnlichen Happening. Im mehrstimmigen Laurel Canyon-Pathos erstrahlt die Gemeinschaftsmessage "So let's enjoy each other's company / On the brink of our despair" als trotziger Weg aus der unendlich scheinenden Doomscroller-Krisenschleife. Final inszenieren E-Gitarrensolo und Pianoklänge eine theatralische Balladenlandschaft zwischen dem Kirchenvorplatz von "November Rain" und den hohen Bergen von "Bed of Roses".
Ebenbürtig bis zum Anschlag füllt sich das schließende Gegenstück "Sound That No One Made / Doomscroller Sunrise". Obwohl im Titel von einem ursprungslosen Geräusch die Rede ist, versammelt das Lied in seinen Lyrics die Klangquellen singender Vögel, heulender Sirenen und schaukelnder Bäume in einer Utopie der perfekten Frequenz ("It fuses all together / To find its perfect frequency / And then forever ricochets / Into a sound that no one made").
Mit dieser Ansage zelebrieren Dawes im Abschlusssong die Suche nach dem perfekten Sound. Aus einer noisigen Morgenstimmung heraus entsteht eine großzügig aufgefaltete Erzählung, die sich zunächst im jazzigen Lounge-Modus hart an der Grenze zur Monotonie bewegt, dann aber eine starke Rock-Dramaturgie ins Rollen bringt. Gekrönt werden der Song und das Album durch eine melodisch packende Heartland-Emphase, wie sie Dawes von allen Stilformen immer noch am besten beherrschen.
Gerahmt von den mächtigen Polen der Fast-Zehnminüter bewegen sich die Lieder merklich hörbar zwischen Folkrock-Expertise und unsicherem Neuland. Jackson Browne'sche Softrock-Stories wie "Comes In Waves" und "Everything Is Permanent" verwässern im ausgebreiteten Jam-Format ihre Pointen. Als experimentelle Verstärkung dient dagegen das Instrumental "Joke In There Somewhere (Outro)", das die harmonische Leichtigkeit von "Joke In There Somewhere" in einer sphärischen Pink Floyd-Variation abrundet. "Ghost In The Machine" gelingt im musikalischen Freiraum hemmungsloser, fiebriger Pub-Rock.
Insgesamt erscheint "Misadventures Of Doomscroller" immer wieder wie eine Versuchsanordnung. Ein Test dessen, was gut klingt, was wiederholt, was variiert werden könnte. Ein Test für das perfekte Dawes-Album.
1 Kommentar
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Es ist nicht so eingängig wie alles was Dawes bisher gemacht haben. Aber es ist mit viel Liebe ausgetüftelt und live (!) im Studio eingespielt. Die Einschübe in den eigentlichen Songs erinnern wirklich an Steely Dan. Sehr abwechslungsreich und spannend, auch beim X-ten Hören fallen mir noch neue Details auf. Gleichzeitig auch nicht zu abgefahren, die typischen Harmonien sind immer noch vorhanden. Und die Poesie in den Texten. Bei "Ghost in the machine" kommen mir aber eher die Doobie Brothers in den Sinn. Ganz stark die Solo-Gitarre. Und das Keyboard. Und vor allem Griffin Goldsmith an den Drums. Nur das Artwork habe ich nicht verstanden. Macht nix. 4,5/5