laut.de-Kritik

Verloren in der Slowdive-Hommage.

Review von

Adieu Blackgaze-Posterboys. Lange dauert es nicht, bis man feststellt, dass Deafheaven ihre schwarzen Gewänder nun fast vollständig abstreifen - die Vorabsingles hatten es ja schon angedeutet. Vereinzelte Alibi-Rückfälle sind kaum der Rede wert. Angesichts des starken Vorgängers "Ordinary Corrupt Human Love", auf dem die Amerikaner bereits mehr ruhige Parts denn je integriert hatten, schien die Richtung grundsätzlich nicht die verkehrteste zu sein. "Infinite Granite" belehrt leider eines Besseren.

Zunächst das Positive: Atmosphärisch sind Deafheaven nach wie vor eine Macht. Von Beginn an liebkost die Band ihre Hörer*innen mit einer Flut an Wärme, dem sonischen Äquivalent einer Kuscheldecke mit Ärmeln. Ein getragenes E-Bow-Solo, gepaart mit Sounds die an Möwengesang erinnern, verstärkt den träumerischen Effekt bei "In Blur" meisterhaft. George Clarke überrascht mit vielseitigem Klargesang, den man ihm auf Basis bisheriger Gehversuche nicht unbedingt zugetraut hätte.

Um auch nur ansatzweise den Ansprüchen an ein Deafheaven-Album gerecht zu werden, reicht das allerdings bei weitem nicht. Vor lauter Schwelgen in Reverb-Gitarren und Soundeffekten hat die Band offenbar ihren Ideenreichtum im Songwriting eingebüßt. Die Gitarristen Shiv Mehra und Kerry McCoy zwirbeln zwar ein paar Akkorde abseits der Norm, hängen abgesehen davon aber in Blaupausen fest und wechseln im Grunde nur zwischen zwei Modi: entspannter Dream-Pop/Shoegaze mit lang nachhallenden Clean-Tönen à la "Slowdive" und dem obligatorischen Post-Rock-Crescendo. Beides bleibt erschreckend konturlos. Deafheaven hatten schon früher Probleme, regelmäßig memorable Stellen in ihren Songs unterzubekommen. Diesmal erreicht das allerdings ein völlig neues Level. Sänger Clarke trägt daran ebenfalls Mitschuld. Sein Gesang überzeugt zwar für sich, wabert aber oft nur neben dem Song her, statt mit zwingenden Melodien Ankerpunkte zu schaffen. Und um ohne diese einen ganzen Song zu retten, klingt sein Organ dann doch zu beliebig.

Symptomatisch untermauert ein scheinbar oberflächliches Detail die fehlende Abwechslung im Songwriting: Sechs von neun Songs beginnen mit einem Drone-Sound (sogar sieben, zählt man das Meeresrauschen von "Mombasa" noch hinzu). Statt verschiedene Ansätze auszuprobieren, treten Deafheaven wenige Schemata breit. Immerhin sorgen Drummer Daniel Tracy und Bassist Chris Johnson, die im Gegensatz zu ihren Kollegen an den sechs Saiten weniger auf Allgemeinplätze zurückfallen, ab und an für etwas Tiefe. Dass "The Gnashing" zum dynamischen Gewinner wird, verdanken wir zum Beispiel maßgeblich Tracy. Auch sein ungewöhnlicher Groove in "Other Language" zählt zu den spannenderen Momenten der Platte.

Mit der Abkehr vom Blackgaze liegt der Vergleich zwischen "Infinite Granite" und Alcests "Shelter" nahe. Doch während es den Franzosen damals größtenteils gelang, ihre Eigenständigkeit aufrechtzuerhalten, geben Deafheaven die ihre auf. Statt nach "Deafheaven Soft" klingt hier vieles schlicht nach Slowdive plus Post Rock-Klimax ohne Mehrwert (und im langgezogenen Interlude "Neptune Raining Diamonds" nach eindimensionalem M83). Vielleicht lagen die Hater all die Jahre doch nicht so falsch. Am meisten ärgert, dass "Infinite Granite" weder ein besonders gutes noch ein wirklich schlechtes Album ist – sondern vor allem sehr egal. Angesichts Deafheavens Vorgeschichte wohl das schlimmstmögliche Resultat überhaupt...

Trackliste

  1. 1. Shellstar
  2. 2. In Blur
  3. 3. Great Mass Of Color
  4. 4. Neptune Raining Diamonds
  5. 5. Lament For Wasps
  6. 6. Villain
  7. 7. The Gnashing
  8. 8. Other Language
  9. 9. Mombasa

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5 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 3 Jahren

    Das sollten natürlich 5/5 sein. Muss den Herrn Berger beim nächsten Treffen mal an seinem Bärtchen ziehen. :ill:

  • Vor 3 Jahren

    Für immerhin drei von fünf fällt die Kritik eher vernichtend aus. Mein erster Höreindruck ist, dass das Album recht monoton scheint. Die wenigen Black Metal Einsprengsel bilden willkommene Abwechslung, wirken aber auch wie Zugeständnisse. Insgesamt hätte auch George Clarke mehr zwischen den Gesangsstilen variieren sollen, sein Klargesang ist ähnlich eindimensional wie sein Gekeife, aber in der Kombination wäre mehr Spannung möglich gewesen.

    • Vor 3 Jahren

      Kombi aus Klargesang und Gekeife ist seit Metalcore eigentlich komplett durch. Im Fall von Deafheaven wäre das aber echt interessant geworden. Gute Idee von dir.

  • Vor 3 Jahren

    Für mich eine herbe Enttäuschung. Der Biss, den die BM-Einflüsse hatten, sind so gut wie nicht mehr vorhanden. Der Klargesang ist so eindimensional und schlicht langweilig. Die Gitarren sind, wie im Review geschrieben, auch eher so durchschnittlich.

    "Ordinary Corrupt Human Love" hat ja schon sehr viel Klargesang gehabt, fand ich aber durchaus gelungen. Allerdings muss ich zugeben, dass an "Sunbather" gemessen an der Dauerrotation bei mir, danach wenig rankam.

  • Vor 3 Jahren

    Gib dieser Band bei jedem neuen Album mehr als nur eine Chance und du wirst jedesmal belohnt. Die perfekte Mischung war aber meiner Meinung nach beim Vorgänger erreicht. 4/5

  • Vor 3 Jahren

    ...ich kann mir ja vorstellen das es für manche Fans der ersten Stunden schwierig ist wenn eine Platte kommt, die so völlig anders ist... bei mir ist es andersrum... ich fand die alten Sachen musikalisch interessant aber auf Dauer wegen des Gebrülls unhörbar... nunmehr mit Gesang kommt für mich Musik bei raus, die nicht besser sein könnte...für mich ein Debütalbum und eine der besten Platten des Jahres... jetzt schon... 5 von 5 (natürlich)