laut.de-Kritik
Black Metal-Parts so voller Wärme hat man zuvor noch nie gehört.
Review von Manuel BergerBei "New Bermuda" sah es trotz des grandiosen Endergebnisses fast ein wenig danach aus, als würden sich Deafheaven in eine Sackgasse manövrieren. Der grenzoffene Blackgaze zog sich nach dem Durchbruch mit "Sunbather" wieder etwas zurück in seine düstere Schale. Die Kalifornier drohten, sich einzuigeln und zu wiederholen. Mit "Ordinary Corrupt Human Love" stoßen sie allerdings in eine gänzlich andere Richtung, lassen viel Licht in ihr Reich, schlagen die softesten Töne ihrer Karriere an, verabschieden sich teilweise komplett vom Metal – und liefern ihr bis dato wohl ausgereiftestes Album.
Die wichtigste Neuerung im Vergleich zum bisherigen Schaffen ist der stark intensivierte Einsatz von Klavier. Das Instrument entzerrt die Kompositionen an vielen Stellen enorm, fungiert quasi als Prisma, das die Zutaten des Songwritings Deafheavens transparent offenlegt. Noch immer pflegt die Band hie und da Raserei, doch während früher bei den Black Metal-Parts manchmal auch monotoner Durchzug begann, klingen die Patterns diesmal insgesamt pointierter, rifforientierter und schlicht griffiger. "Böse" bleiben Deafheaven dabei trotzdem – darin unterscheiden sie sich nach wie vor deutlich von den Genrepionieren Alcest, die selbst in ihren schwarzen Passagen nie wirklich aggressiv werden.
Bis die auf "Ordinary Corrupt Human Love" erklingen, dauert es jedoch eine ganze Weile. Das Album eröffnen Deafheaven mit friedlichem Klangfeld aus Meeresrauschen, Pianoarpeggios und Dreampop-Gitarre. Dazu spricht Gast Nadia Kury einen Spoken-Word-Auszug aus einer Kurzgeschichte des Autors Tom McElravey – Romantik pur. Shoegazer läuft ob der Weichzeichnerkulisse wohl schon jetzt der Saft aus den Lefzen; spätestens wenn George Clarke dieses perfekte Gemälde als verkrüppeltes Horrorwesen infiltriert und die Idylle mit seinem Black Metal-Gurgeln untergräbt, schweben auch die Blackgazer und Fans der ersten Deafheaven-Platten im siebten Himmel.
Untrennbar verknüpft mit dem Auftakt "You Without End" (immerhin schon über sieben Minuten pure Schwelgerei) ist der Elfminüter "Honeycomb". Bei dem kommt zunächst die harte Fraktion auf ihre Kosten. Nun versehen Deafheaven Clarkes Gekeife nämlich wieder mit Distortion, Tremolos, Blastbeats. Trotzdem entsteht mehr das Gefühl von Sonnenbrand als von nordischer Unterkühlung. Ganz ehrlich: Black Metal-Parts voll solcher Wärme habe ich tatsächlich noch nie gehört.
Unbedingt erwähnt seien auch die Lyrics George Clarkes. Er bezieht sich damit oft explizit auf bestimmte Schriftsteller, etwa Graham Greene und Julio Cortázar. Seine Texte erinnern in der Folge auch deutlich mehr an Kurzprosa oder Gedichte denn an Songtexte. Dabei spiegelt er den musikalischen Stil der Band – Kitsch und Abgründiges gehen bei Deafheaven Hand in Hand. So heißt es in "Glint": "Imagining you growing older / Somehow more beautiful / Surrounded by your children and children's children / The midnight blue of your calmness like evening / Chamomile, peppermint / Eyes as morning rosewater / I'm shrinking into your gown, tearing the pink linen / Of your belly, burying into your abdomen, and / Sewing the seam of your skin".
Abgerundet wird "Ordinary Korrupt Human Love" vom schwelgerischen Popsong "Night People". Chelsea Wolfe veredelt diesen, laut Clarke zeichnen sie und ihr Co-Writer Ben Chissholm für etwa 50 Prozent des Songs verantwortlich. Clarke hält sich hier zurück und tilgt somit in diesem Song auch den letzten Rest Metal. "Ordinary Corrupt Human Love" zeigt, dass Deafheaven auch außerhalb davon bestens zurechtkommen.
13 Kommentare mit 19 Antworten
28.09 im Jubez werde ich mir mal anschauen
Passt zu dir, dass du ein räudiger Kallsruher bist.
Als Exilschwabe wäre ich ruhig
Kopfhörer aufsetzen Augen schließen und eine Stunde gute Musik genießen. Feine Platte und von mir bis jetzt auch alle Fünfe
"Die wichtigste Neuerung im Vergleich zum bisherigen Schaffen ist der stark intensivierte Einsatz von Klavier."
Oh yeah. Die Truppe hat eh Potenzial ohne Ende, wie auf den beiden vergangenen Alben ersichtlich. Wird gehört.
bin absout genrefremd und kannte die auch vorher nich. reingehört wegen des interessanten albumtitels und gleich in den bann der musik gezogn worden. was da für (eigtl unmögliche) assoziationen hochkamen. wow.
trau mich gar nich, in alte sachen von denen reinzuhörn, aus angst enttäuscht zu werden, da es vorher wohl doch metal-lastiger bei denen zuging, oder?
Jo mussd uffbassen!
aber die sahneschmelzige scheibe der genrekollegen alcest namens "kodama" wäre sicherlich deins.
hier der titelsong zum anchecken.
https://www.youtube.com/watch?v=IQsXnldCDeU
Versuch dann mal "Sunbather" (ebenfalls Deafheaven), falls die Black Metal parts (die "screams" und die blast drums) Dich nicht verschreckt haben.
Würde auch noch das Album ".neon" der dt Lantlos empfehlen, was ich damals zum Release von Sunbather via Youtube-Algorithmus entdeckt habe. Hat einen ähnlich genialen mix von Black Metal and Shoegaze.
Alcest sind immer was "weicher" geworden mit ihren LPs. Wenn Dir die neuen Alcest Sachen zusagen, die hier gepostet worden, dann kann man im Backkatalog ruhig rückwärts gehen und das etwas "härtere" Zeug ausprobieren, auch wenn diese Richtungen immer von Black Metal Puristen verpönt werden. Aber scheiß drauf - gute Musik ist gute Musik etc.
Was für ein scheiß. Von hinten bis vorne müll.
Ja, dann ändere halt mal was an deinem Leben und beschwer dich nicht immer nur drüber! Das bring doch so nix.
aber bzgl DH macht er durchaus einen Punkt
GNM ist die Gang.
@hohesross
Was ist denn übler, Deafheaven oder Liturgy?! :----)
Beides großartig. Den meisten Leuten fehlt es nur schoichtweg an der Fähigkeit, ihre musikalische Komfortzone zu verlassen. Ich habe über beide Bands auch jahrelang gelästert ohne auch nur mehr als zwei Songs zu kennen. Kanäle wie "Hipster Black Metal" die sich darüber lustig machten, zogen mich eher an. Aber als ich irgendwann endlich damit begann, einfach zuzuhören, erschloss sich mir eine völlig neue Welt und ich war absolut happy mal wieder etwas erkunden zu können.
Wobei ich fairerweise zugeben muss, das sich selbst meine Stirn bei "The Ark Work" in Falten legt. Aber das Album hat mit dem alten Liturgy ja kaum noch etwas gemein, von daher..
'Canary Yellow' hört sich in der "Bridge" verdammt nach Radiohead an, oder täusch ich mich?