laut.de-Kritik
Country mitten ins Herz.
Review von Lisa RupprechtEin Typ und ich sprachen mal über Musik – wir saßen gerade in seinem WG-Zimmer, das mehr nach improvisiertem, verrauchtem Soundcloud-Trap-Studio als nach Wohnraum aussah. Irgendwann fiel der Name Dolly Parton, und er starrte mich nur verwirrt an. "'Jolene' kennst du nicht?" Er schüttelte den Kopf. Stattdessen fragte er mich, ob ich Carlo Waibel kenne, "Das ist Cro" sagte er und schaute mich mit genau der gleichen Verwirrung an, wie ich davor. Wie man diese beiden Künstler in einem Satz nennen kann, ist mir bis heute ein Rätsel.
Zwei Wochen später hat mir dieser Typ das Herz gebrochen, war ja klar. Wer Dolly Parton nicht kennt, hat vermutlich auch noch nie von dieser tiefen, sehnsuchtsvollen, fast schmerzhaften Liebe gehört, von der sie singt. Diese Liebe, die man nicht fassen, geschweige denn vergessen kann. Stattdessen: schnelle Autos, Kiffen und ein bisschen Autotune. Wow, romantisch.
Dolly Parton singt auf ihrem Album "Jolene" von Schmerz, Hoffnung und dem bittersüßen Akt des Loslassens. Die damals 28-Jährige öffnet sich vollkommen und berührt damit ein internationales Publikum. Es war ihr erstes Album, das über die USA hinaus große Aufmerksamkeit bekommen hat, und gilt bis heute als Meilenstein ihrer Karriere.
Die Platte ist in den 1970er Jahren entstanden, in dieser Zeit hat sich für die Sängerin viel verändert. Parton begann, sich emotional und künstlerisch von Porter Wagoner zu lösen, ihrem langjährigen Duett-Partner und Mentor. Als Duo feierten sie große Erfolge in der "Porter Wagoner Show" und veröffentlichten haufenweise Projekte. Doch Dolly wollte mehr: mehr Eigenständigkeit, mehr kreative Kontrolle und mehr Raum für ihre eigene Stimme.
1974 verließ sie die Show, eine Entscheidung, die schmerzhaft war, aber nötig, um weiterzukommen. Das Album ist das erste, das nach der Trennung veröffentlicht wird. "I Will Always Love You", wahrscheinlich einer ihrer bekanntesten Songs, schrieb Dolly 1973 als einen ehrlichen Abschiedsbrief an Wagoner. Es war eine respektvolle Liebeserklärung an jemanden, den sie loslassen musste. Später wurde der Song weltberühmt, als Whitney Houston ihn 1992 für den Film "The Bodyguard" coverte.
Ihr größter Hit ist der Titeltrack der Platte, und die Geschichte hinter "Jolene" ist mindestens so legendär wie der Song selbst: Die Inspiration soll eine Bankangestellte gewesen sein, die sich etwas zu sehr für Dollys Ehemann interessierte. In einer Live-Performance von 1988 erzählt sie augenzwinkernd, dass es zu einer Prügelei gekommen sei, anscheinend hat Dolly gut was abbekommen. Fest steht: Zu Hause musste sich ihr Mann genauso eine Standpauke anhören, wie die ganze Welt danach den Song.
Anstatt einen Disstrack zu schreiben, überhäuft Parton Jolene mit Komplimenten. "Your voice is soft like summer rain", eine Zeile, so schmeichelnd, dass sie fast weh tut. Für Dolly muss das gesessen haben. Doch genau das ist die Magie dieses Songs: Er ist kein Angriff, sondern ein flehendes Bekenntnis, verletzlich, ehrlich und irgendwie solidarisch. Vielleicht ist Dolly eben doch ein "girl's girl".
Ihre Musik erzählt nicht nur dramatische Geschichten, sondern fängt auch zarte, leise Momente ein. Die Künstlerin malt stille Bilder von Liebe, Verlust und Erinnerung. Ihre Lyrics drängen sich nicht auf, sondern setzen sich auch manchmal sanft in den Hintergrund: "And there's nothing quite as sad as a one-sided love, When one doesn't love at all and the other loves too much." Genau so ein Lied ist "When Someone Wants to Leave", eins, das nicht schreit, sondern flüstert. Kein Streit, kein großer Knall, sondern der leise Moment, in dem klar wird: Einer geht und der andere bleibt. Es ist ein Song über das Festhalten, obwohl man längst loslassen müsste. Sich selbst einzugestehen, dass Liebe nicht zu retten ist, wenn sie nur von einer Seite kommt.
Was bleibt, wenn jemand gegangen ist? Nicht immer Wut oder Groll, oft ist es einfach Leere. In "Living on Memories of You" beschreibt Dolly genau diesen Zustand. Die Person ist weg, aber ihr Schatten bleibt. Ihre Stimme im Ohr, ihre Gewohnheiten im Alltag. Die Erinnerung wird zum ständigen Begleiter, nicht tröstend, sondern bohrend. "And all of these tears can't put out this fire, Your memory just won't turn me loose."
Und dann ist da noch der Moment, der alles verändert. Der Moment, in dem man realisiert: Da kommt niemand mehr zurück. "Lonely Comin' Down" fängt genau dieses Gefühl ein. Die Einsamkeit ist nicht abstrakt, sie wird greifbar, spürbar – als würde sie wortwörtlich das Gesicht runterfließen. "Then I felt the lonely dripping down my face, As I realized no one could take your place." Hier geht es nicht mehr ums Festhalten oder Erinnern, sondern um das Begreifen: Dieser Platz bleibt leer, und niemand kann ihn füllen.
Alles sehr deprimierend, doch auf demselben Album gibt es auch einen kleinen Hoffnungsschimmer. "It Must Be You" klingt wie ein Versprechen, das mühelos ausgesprochen wird. Die Liebe hier ist nicht kompliziert, nicht schmerzhaft, sie ist einfach da. Natürlich, selbstverständlich. "Just like the tide goes with the sea, We belong together, you and me." Zwischen all den melancholischen Stücken wirkt dieser Song fast wie ein Luftholen, ein Moment des Ankommens. Nicht jede große Liebe muss laut sein, um wahr zu sein.
Dolly ist nicht nur eine Künstlerin, die Country und Pop geprägt hat, sondern auch eine clevere Geschäftsfrau. Unter den 69 Studioalben, die sie aufgenommen hat, ist "Jolene" zweifellos das wichtigste.
Es begann in einem verrauchten WG-Zimmer, irgendwo zwischen Aschenbechern, einem MIDI-Keyboard und einer halb ausgetrunkenen Mate. Ich sprach über Dolly, er über Cro, und wir verstanden uns nicht - was im Nachhinein betrachtet ziemlich passend war. Ich habe viel aus dieser Zeit mitgenommen, vor allem die Erkenntnis, dass ein gebrochenes Herz besser klingt, wenn Dolly darüber singt.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare mit einer Antwort
Hach, die schönsten Liebesbeziehungen sind halt einfach meistens die, bei denen eine emotionale Verbindung zueinander insbesondere auch durch geteilte Liebe für dieselbe Kunst entstehen konnte. ♥
"geteilte Liebe für dieselbe Kunst"
Hornhautraspeln, Schlammcatchen...komm zurück Conny
Gehört klar zu ihren besseren LPs aus den 70ern und danach hat sie mit kleinen rühmlichen Ausnahmen leider nie wieder dieses Niveau erreicht, aber Meilenstein? Nur, weil ihr bekanntester Song drauf ist? Mir fallen mindestens drei essenziellere Dolly-LPs ein.