28. Januar 2022

"Ich fand deutsche Musik immer zu poliert"

Interview geführt von

Indie-Deutschland hat einen neuen Darling. Sein Name ist Edwin Rosen, Anfang 20, aus Stuttgart und bekannt für kontrolliert-hypnotischen Post Punk.

Heute hat Edwin Rosen mit "Vertigo" mal wieder einen neuen Song veröffentlicht. Das kommt bei ihm so tröpfchenweise, aus gutem Grund, wie er im Gespräch erläutert. Seine Tour im Mai ist bereits komplett ausverkauft.

Anfang 2020 begann alles mit "leichter/kälter". Ohne Label oder Promoagentur im Hintergrund erschien der Song schlicht bei Spotify. Ansonsten war da nichts. Kein Bild, keine Biografie, einfach nur dieser eine Song. Inzwischen ist es November 2021, auf "leichter/kälter" sind vier weitere Songs gefolgt. Dazu noch eine Selbstbeschreibung: "neueneuedeutschewelle".

Es ist ein veritabler Hype. Edwin Rosen ist kein Internet-Phänomen mehr, sondern ein aufstrebender Musiker, der inzwischen auch live spielt. Dabei immer an seiner Seite: Fellow-Stuttgarter Max, der als Flawless Issues eine düstere Sektion der New Wave bedient als Rosen selbst. Schon beim Maifeld Derby in Mannheim waren die beiden mehr als nur ein Geheimtipp. Das Konzert im Karlstorbahnhof Heidelberg ist schon lange ausverkauft. Davor bekomme ich noch die Gelegenheit, mit Edwin über seinen Aufstieg, die andauernde Anziehungskraft von Wir Sind Helden und die Stuttgarter New Wave-Szene zu sprechen.

Hi Edwin, wie geht's dir?

Gut soweit. Wir haben gestern in Darmstadt gespielt, das hat unsere Erwartungen komplett übertroffen. Oft ist das Publikum bei der Vorband ja etwas reservierter und es dauert, bis die Leute warm werden. Gestern aber war das Publikum schon bei der Vorgruppe Metty super laut. Da haben wir im Backstage schon richtig Lust bekommen, zu spielen. Darmstadt war auch die erste Show, die wir mit 2G Plus gespielt haben, also geimpft/genesen und getestet. Da war es einfach noch mal besser, so ein dynamisches Publikum zu haben, das auch noch eng beieinanderstehen und tanzen konnte. Ich hoff jetzt natürlich, dass die Leute auch gesund geblieben sind.

Das ist ja immer die Hoffnung zurzeit.

Genau.

Du hast ja mit Live-Auftritten in der Pandemie angefangen. Direkt mit Restriktionen und nochmal einem weiteren Unsicherheitsfaktor ...

Es geht eigentlich. Die ersten Shows, die wir gespielt haben, waren ja auch Corona-Shows. Die waren, glaube ich, im Juni 2021. Dann haben wir noch im späten August beziehungsweise Ende September gespielt und da waren schon alle Shows mit Mundschutz und Stehplatz, den man nicht verlassen durfte. Deswegen ist der Unterschied eigentlich gar nicht so groß. Ganz im Gegenteil. Es ist eher ein Wechsel, dass das Publikum jetzt so nah zusammenstehen darf, tanzen darf. Das ist ein ganz schöner Wechsel, das macht super viel Spaß.

Bei einer von den Shows hab ich dich gesehen, in Mannheim auf dem Maifeld Derby. Davon ist mir vor allem dein "Bitte Nur Ein Wort"-Cover in Erinnerung geblieben. Für Leute Anfang 20 scheinen Wir Sind Helden eine Art von Generationenband zu sein ...

Wenn ich zurückdenke, liegt das vor allem an den alten Singstar-Spielen. Da war "Nur Ein Wort" oder "Denkmal" dabei, also in der "Deutschpop"-Edition. Dann lief das alles noch im Radio und ich war in dem Alter, Musik bewusster wahrzunehmen. Ich war kein Kleinkind mehr, sondern so acht, neun. Dann bleibt das einfach mehr in Erinnerung und jetzt bin ich nochmal drübergestolpert. Die Bassline hat ja total die Peter Hook Charakteristik. Daraus entstand dann die Idee, um die Bassline herum ein richtig New Wave-mäßiges Cover zu basteln. Ich mag das Lied einfach sehr gerne und dann hat sich das einfach angeboten. Ich glaube, dass es vielen so geht. Vor allem in YouTube-Kommentaren kommt häufiger der Vergleich zu "Where Is My Mind ?", weil die hohen Synthies so ähnlich klingen. Wir Sind Helden haben als Band einfach coolen deutschen Indie gemacht. Wenn man sich das jetzt im 'reiferen' Alter anhört, sind das einfach immer noch starke Sachen.

Seh ich auch so. "Von Hier An Blind" war eine meiner allerersten CDs.

Ach, die mit dem Rucksack ...

Ja, genau. Aber du hast das Cover auf dem Maifeld ja nicht alleine gespielt, sondern mit Drangsal. Wie kam das zustande?

Ich fand deutsche Musik immer zu poliert und es gibt nichts krass Nischiges, was mich anspricht. Deshalb hab ich immer nach Musik im fremdsprachigen Raum gesucht. Irgendwann bin ich dann über das Musikvideo zu "Allan Allign" gestolpert und war echt überrascht. Das war auf Deutsch und hat mich total abgeholt. Von da an war Drangsal für mich in der deutschen Musik total wegweisend. Dann hat er mich mal in seinem Podcast "Mit Verachtung" erwähnt und danach haben wir ein bisschen auf Instagram geschrieben, das war super freundlich. Als wir uns dann im Backstage unterhalten haben, hab ich ihm von dem Cover erzählt und er hatte Bock drauf. Wir hatten schon vorher ein bisschen darüber geschrieben, ich hatte ihm eben erzählt, dass wir das Cover spielen wollen. Im Backstage hab ich ihn dann nochmal gefragt. Das war dann natürlich auch wie ein kleiner Ritterschlag, wenn dein Musikidol mit dir auf der Bühne steht und ein Lied mit dir singt. Das hat Sau-Spaß gemacht.

Das finde ich auch einigermaßen auffällig. Du hast inzwischen ziemlich hohe Streamingzahlen, Drangsal ist eine fixe Nummer in der deutschen Musikszene, generell scheint alles Post Punk-mäßige zurzeit super durch die Decke zu gehen. Kannst du dir das irgendwie erklären?

Ich glaube das ist so ein Zeitgeist-Ding. Es ist super lustig, in den Kommentaren unter einem Interview von mir wird geschrieben, dass Post Punk in Deutschland immer noch eine Nische ist. Da hat dann jemand drauf geantwortet, dass Post Punk in den 80ern hier riesig war. Es war halt nur nie Mainstream. Klar, in den 80ern war es präsenter als jetzt. Aber auch aktuell trifft es wieder einen Nerv bei Jugendlichen, die einfach einen Weltschmerz, ne das passt nicht wirklich, eine Unzufriedenheit oder Unsicherheit haben, die durch diese Musik eben angesprochen wird. Die fühlen sich in dieser Melancholie oder Nostalgie irgendwie aufgehoben. Das spricht ihre Gefühle an. Auch, weil es durch amerikanische, englische, schwedische, dänische und vor allem Bands aus dem, ich sag mal russischsprachigen Raum, so populär wurde. Molchat Doma aus Belarus haben ja einen riesen TikTok-Hit gelandet. Gerade sowas pusht die Musik natürlich und mehr Leute hören sie.

Bist du auch so zum Post Punk gekommen?

(Lacht) Bei mir war der Weg lustig. Ich hab bei Pop Punk angefangen, dann Melodic Hardcore und von da in den Hardcore und dann in den Post Punk. Das ist von den Namen auch ne ganz logische Entwicklung. (lacht) Blink 182, zum Beispiel, waren für mich eine super wegweisende Band. Die hatten dann einen Song mit Robert Smith von The Cure. Das hat mich interessiert, warum der dabei ist und ich hab den Namen gegoogelt. Dann hab ich gesehen, dass auf dem MTV Tribute Album von The Cure Blink-182 "Letter To Elise" gecovert haben, das muss also eine bedeutende Band für die sein. Als nächstes habe ich meine Eltern gefragt und mein Vater hat mir die "Disintegration"-Kassette gegeben. Die hab ich mir dann angehört. Auf dem "Skate 3"-Soundtrack war dann Joy Division drauf. Diese ganzen Einflüsse haben dann unterbewusst auf mich eingewirkt. Es vielleicht mehr so, dass ich Bands mochte, die von diesen Bands beeinflusst waren. Irgendwann habe ich dann tiefer gegriffen, als nur die Musik die ich höre. Also das waren ganz viele verschiedene Einflüsse über die ich zu Post Punk und New Wave gekommen bin.

Dazu habe ich eine etwas seltsame Frage. Nick McCarthy von Franz Ferdinand meinte mal im Interview mit laut.de, dass er nicht so die 80er-Nostalgie hat, weil er in Rosenheim aufgewachsen ist. Da hat er eben nicht The Cure und The Smiths gehört, sondern die Spider Murphy Gang.

Aber es gibt doch so viele deutsche Bands, die wegweisende Musik gemacht haben. Ich liebe EA80, die kann man glaube ich (überlegt kurz) Düster-Punk nennen. Fliehende Stürme gab es noch, die haben wunderschöne Texte und auch Post Punk Charakteristika. Die haben auch sehr auf den Drum Computer-Sound gesetzt. Natürlich waren die jetzt nicht so groß wie die Spider Murphy Gang. Es gibt natürlich noch Hubert K., X-mal Deutschland, DAF und so viele weitere, die coole Musik gemacht haben. Man hätte auch in den 80ern coole Musik in Deutschland hören können. Es ist auch zu einfach gesagt, dass man in den 80ern die Spider Murphy Gang gehört hätte. Nur weil ich heutzutage lebe, höre ich ja nicht zwangsläufig Mark Forster oder Wincent Weiss, nur weil die gerade die Größten sind. Wenn man musikinteressiert ist, findet man ja immer was. Natürlich hört man unausweichlich mal das, was gerade bekannt ist. Aber man findet auch immer andere Sachen. Die Nostalgie nach den 80ern kommt bei mir auch eher über den Sound, nicht über die Zeit.

Ich fand nur, dass deine Entwicklung zum Post Punk hin sehr 2010er mäßig klang. Dieses auf YouTube ein Tribute entdecken und dann in das Rabbit Hole fallen, das ist für mich eben diese "Post"-Bewegung, bei der verschiedene Einflüsse zu etwas Neuem vermischt werden. Hast du deinen Aufstieg schon so wirklich kontextualisieren können?

Nicht so richtig. Ich hab eigentlich mit Musik angefangen, weil ich unbedingt im Komma Esslingen auftreten wollte. Luca, einer meiner beiden Manager, ist da oft mit seiner Band Die Selektion aufgetreten und hat auch Konzerte gebucht. Immer, wenn ich gesehen habe, dass er in Stuttgart ein Konzert gebucht hat oder Post Punk gespielt wurde, bin ich einfach hingegangen. Egal ob ich die Band kannte oder nicht. Dann hatte ich den Wunsch, dort mal Support zu spielen. Der Weg dahin war halt, selbst Musik zu machen. Die habe ich dann einfach veröffentlicht. Ich habe mich einfach gefreut, wenn sich Leute dafür interessiert haben. Das hat dann schnell eine Dynamik entwickelt, von der ich immer noch nicht weiß, woher die kam. Oft schiebt man das auf die Pandemie, dass sich Leute in dem Sound gefunden haben. Es ist immer noch supersurreal, vor allem wenn man, wie gestern, vor 250 Leuten steht und die den Song teilweise lauter mitsingen als ich selbst. Ich weiß noch, wie ich früher auf Konzerte gegangen bin und vorne stehen das Größte war. Vor allem im Pop Punk oder Melodic Hardcore, wenn das Mikro ins Publikum gehalten wurde und man eine Zeile reinschreien durfte. Es ist so verrückt, den Platz gewechselt zu haben. Es wirkt nicht normaler, also man versteht, dass es jetzt passiert, aber es ist noch nicht ganz klar, wie ich damit umgehe. Es ist eine vollkommen neue Welt und auf eine schöne Art überwältigend.

"Ich verwende eigentlich immer denselben Drum-Beat"

Aktuell konsolidiert sich dein Erfolg ja auch. Du bist jetzt bei Irrsinn / Universal Music unter Vertrag, obwohl du ja schon davor einiges an Erfolg hattest. Trotzdem bist du zum Majorlabel gegangen und hast dort deine erste EP "mitleerenhänden" veröffentlicht, also in den klassischen Musikbetrieb. Was war für dich da der Anreiz?

Das ist mir super schwergefallen. Vor allem, weil ich ja aus dem Punk komme. Ich habe Jawbreaker sehr geliebt und die sind irgendwann zu EMI Music gegangen, das Album "Dear You" war dann eines ihres besten und viele Fans halten es für eines ihrer schlechtesten, einfach weil es bei einem großen Label herausgekommen ist und sie jetzt "Sellouts" sind. Ich liebe einfach Musik und höre viel Musik und bewundere Leute, die alles selbst machen und nichts aus der Hand geben. Da habe ich dann auch den idealistischen Gedanken, alles selbst zu machen. Aber ich studiere nebenher noch, und dann alles selbstzumachen, ist einfach ein bisschen zu viel. Durch ein Label wird einem einfach Struktur gegeben und Hilfe gestellt. Ich war echt skeptisch. Luka und Fabian (die Manager, Anm. d. Red.) meinten dann zu mir, dass ich ja trotzdem noch alles Kreative selbst machen kann. Das Label greift dir einfach unter die Arme. Das ist das Schöne daran und ich kann mich echt null beklagen. Es war auf keinen Fall ein Fehler. Die kreative Freiheit bleibt bei mir und ich hab auch nicht mehr Druck als sonst. Man merkt halt, wenn man einen Wunsch hat, hat jemand Kontakte. Dadurch entfällt ein Stück weit Arbeit.

Was studierst du eigentlich?

Englisch und Philosophie auf Lehramt.

Ich hab auch ein Semester Englisch studiert und das stolz abgebrochen.

Ich hatte in Ethik und Englisch die besten Abinoten und habe mir dann gedacht, vielleicht sollte ich das studieren.

Wie funktionieren Musikkarriere und Studium gleichzeitig?

Der Zeitpunkt ist für mich ganz günstig. Ich sag das ungern, aber Corona hilft da wirklich. Alles ist online. Wenn wir im Februar unsere Tour spielen, also falls die stattfinden kann, sind alle meine Prüfungen online. Ich kann also meine Prüfungen auf der Tour schreiben, direkt vor dem Soundcheck. Ich bin immer nach dem Prinzip gefahren, meine Zeit so gut wie möglich zu nutzen. Dadurch kann ich die Balance halten, mein Studium nicht zu sehr zu vernachlässigen und trotzdem genug Raum für meine Musik zu haben. Natürlich lässt man das eine mal mehr schleifen als das andere.

Ich schaff kaum Musikkritiker und Student zu sein.

Was studierst du noch?

Politikwissenschaft und Soziologie hier in Heidelberg.

Auch nicht so schlecht. Kennst du "Wohlstand für alle"?

Natürlich.

Ole Nymann (einer der beiden Podcast-Hosts, Anm. d. Red.) studiert glaube ich auch Politikwissenschaft und Germanistik, wenn ich mich nicht täusche. Klingt auch immer ganz gut was der davon erzählt. Der liest aber lieber Thomas Mann als seine Unisachen. Auch ganz cool.

Bisher hast du eine EP veröffentlicht, in einem für die Musikbranche sehr gemächlichem Tempo. Hast du schon Pläne für ein Debütalbum?

Bisher gar nicht. Bis jetzt habe ich die Musik ja ohne Plan rausgebracht. Ich hatte eine Single, dann kam die nächste und ich hab das einfach veröffentlicht, egal ob ich noch was im petto hatte. Momentan komme ich leider nicht mit dem Texte schreiben hinterher. Ich hatte auch einen Moment, wo ich mir überlegt habe, mich hinzusetzen und zu zwingen, Texte zu schreiben. Aber ich will einfach nicht die Freude an der Musik verlieren und will mir deswegen diesbezüglich keinen Druck machen. Wenn was kommt, dann kommt es. Ich setz mich jetzt nicht hin und sag, heute schreibe ich ein Album. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht zufrieden mit einem Album wäre, das ich einfach nur um des Schreibens willen aufgenommen habe. Die Musik ist für mich ja auch etwas Persönliches. Wenn ich jetzt einfach ein Album rausbringen würde, weil es gerade gut wäre, dann wäre das nicht dasselbe, wie Musik machen, wenn etwas passiert. Jetzt ist erstmal "mitleerenhänden" draußen und ich schau mal, wie sich das so entwickelt. Ich will meinen Arbeitsweg nicht verändern, weil der mir meinen Spaß lässt. Einfach was machen, wenn was kommt und ansonsten abwarten. Irgendwann wird schon etwas kommen. Dazu gibt es auch eine coole Analogie von David Lynch. Der meinte, Ideen bekommen ist wie Angeln. Du sitzt da und wartest und überlegst und irgendwann beißt eben eine Idee an. Das finde ich ganz passend. Man hat eben keinen Einfluss. Ich selbst angle jetzt nicht, aber wahrscheinlich gibt es da Tage, da beißt ein Fisch an. Mit Ideen ist es gleich.

Angeln ist ein seltsames Hobby.

Aber irgendwie auch geil. Ist eine gute Entschuldigung, nichts zu tun. Einfach ruhig dazusitzen, ne Packung Snacks dabei und was trinken. Einfach nichts tun im Camo-Outfit (lacht).

Du führst bei deinen Texten ja auch die Post Punk-Tradition der spärlichen Texte fort. Was ist dein Umgang mit Texten? Ist bei dir zuerst die Musik da oder die Texte?

Der Prozess bei mir ist immer derselbe (lacht). Ich hab eigentlich immer denselben Drum-Beat (demonstriert den Beat auf dem Tisch), ganz typisch Kicksnare-Kicksnare. Ich hab richtig oft rumprobiert und gedacht, ich kann doch nicht immer den gleichen Schlagzeug-Rhythmus nehmen. Aber sobald ich irgendwas Komplexeres mache, denke ich, dass da viel zu viel passiert. Es funktioniert viel besser, wenn weniger drinnen ist. Bei Texten ist das ähnlich. Ich bastel die um den Beat herum. Ich hab eine Melodie, bau da drum weiter und hab dann einen Loop. Mein Songwriting-Prozess ist super stumpf. Ich setz mich einfach hin und hör diesen Loop, bis mir etwas einfällt. Ich lalle irgendwelche Worte, hab einen Satz, der mir gefällt, versuche da etwas drum zu bauen. Das Instrumental ist also immer zuerst da, danach kommt der Text, wenn überhaupt.

"Grauzone sind eine wegweisende Band"

An der Stelle muss ich die klassische Frage für alle deutschsprachigen Künstler*innen stellen: Warum auf Deutsch?

Ich finde es blöd zu sagen, dass es eine Herausforderung ist. Ich mag, wie die deutsche Sprache in der Musik klingt. Gerade mit so Bands wie eben EA80 oder Fliehende Stürme, die wirklich, wirklich schöne Texte auf Deutsch schreiben und damit Gefühle in Worte packen können und inhaltsvoll sind. Auf Englisch klingt vieles gut, aber wenn du die Texte dann übersetzt, klingen die super langweilig. Ich versuch ja nicht, mich hinzusetzen und meine Texte irgendwie aufzuplustern. Bei Grauzone finde ich das super beeindruckend, wie viel diese wenigen Texte aussagen. Die deutsche Sprache hat so eine ganz besondere Charakteristik. Die Selektion haben auch auf Deutsch gesungen. Das war für mich ein Klickmoment, an dem ich gemerkt habe, dass tanzbare Musik mit einer gewissen Mystik möglich ist. Im Englischen geht das total schnell verloren, da reimt sich alles sofort. Im Deutschen ist das einfach anders. Zusätzlich ist Deutsch meine Muttersprache, da ist das auch ganz naheliegend, auf Deutsch zu singen. Um nochmal kurz auf das Studium zurückzukommen: Als ich angefangen habe, auf Deutsch Texte zu schreiben, hab ich mir gewünscht, statt Anglistik Germanistik zu studieren. Vielleicht lernt man da ja Sachen, die einem helfen. Aber gut, jetzt mach ich es eben in meiner Freizeit.

Von deiner Grauzone-Leidenschaft hatte ich schon gelesen und das hat mich ein bisschen überrascht. Einfach, weil Grauzone so viel roher klingen als deine Musik.

Es ist aber oft so. Es ist jetzt wieder das Typische: (äfft scherzhaft nach) Eigentlich höre ich andere, viel kreativere Musik, aber es ist einfach so. Ich liebe so Lo Fi-Charakteristik in Musik. Also Drums und so nicht krass abgemischt, alles ist simpel gehalten. Grauzone sind ja eine wegweisende Band und "Eisbär" hat wieder einen kleinen Hype bekommen in letzter Zeit. Ich mag einfach dieses Rohe und 'Echte', da ist nicht zu viel reingesteckt. Ich versuche ja auch, die Lieder nicht zu vollzupacken. Meine Spuren im Aufnahmeprogramm sind immer sehr übersichtlich. Es ist immer Drums-Spuren. Bass-Spuren, Vocals-Spuren und vielleicht noch ein paar Effekt-Hits und Percussions. Ich mag minimalistisch gehaltene Musik, vor allem rohe. Das würde ich viel lieber machen. Ich hab jetzt auch wieder meinen Tape Recorder ausgepackt, weil ich mit dem auf vier Spuren beschränkt bin. Außer man bounct. Ich finde, diese Limitation kann Kreativität fördern, wenn man sie richtig einsetzt und nicht auf ihr beharrt. Die Story zu "Eisbär" ist, glaube ich, dass der Drummer damals den Takt nicht richtig clean spielen konnte, obwohl der wirklich nicht komplex ist. Deswegen haben die den Schlagzeug-Rhythmus mit einem Tape-Loop gemacht, der dann das ganze Lied clean durchlaufen konnte. Wenn man solche Sachen hört, klingen die so krass anders als die Möglichkeiten heute. Aber es hat voll was, für mich zumindest.

Warum spielst du eigentlich Bass?

Ich liebe es einfach, Bass zu spielen. Ich komm vom Gitarrespielen, das war mein erstes Instrument, auch wegen Blink-182. Irgendwann hab ich mir dann einen Bass gekauft und hatte sofort Spaß dran. Es gibt ja so Bassriffs, die sind super eingängig, die von Peter Hook zum Beispiel. Die hörst du dir einmal an und denkst dir, krass, das ist das perfekte Bassriff. Meine Musik hat ja auch keine Gitarrenchords, ich würde also immer Melodien spielen. Der Bass ist da als rhythmisches Instrument einfach geeigneter und begleitet die Stimme besser, auch weil er nicht so komplex ist.

Ich hab auch mal wegen Green Day Gitarre gespielt.

Die waren bei mir auch ein Einstieg zum Pop Punk, dann kamen Blink-182 und haben das übernommen.

Ich wollte mit dir noch über Stuttgart quatschen. Ich komme eigentlich aus Karlsruhe und immer wenn jemand sagt 'Mein Kumpel macht Musik' bekommst du eine sehr mittelmäßige Demo vorgelegt. In Stuttgart ist das ne ganz andere Geschichte, da klingen solche Sachen meistens geil. Woran liegt das?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich hab das auch schon gemerkt. Luis Ake, der heute Support ist, der kommt auch aus Stuttgart und war auf der gleichen Schule wie ich. Max Rieger von den Nerven, der ja wirklich einer der wichtigsten Indie-Produzenten Deutschlands ist, witziger Weise auch auf derselben Schule. Luca von Die Selektion kommt auch aus dem Raum Stuttgart. Peter Schilling kommt auch aus Stuttgart, Hubert Kah aus Reutlingen, Fliehende Stürme sind auch aus Stuttgart. Levin Goes Lightly kommt auch aus Stuttgart. Also viele solche wavige Acts, wo ich nicht genau weiß, warum. Ich find es aber cool, dass man dem nicht entgehen kann, vor allem an Levin Goes Lightly kommt auf Konzerten in Stuttgart nicht vorbei. Vielleicht ist da einfach ein großer Einfluss durch die Bands, die es schon in Stuttgart gibt. Freut mich auf jeden Fall, dass aus Stuttgart coole Musik kommt. Ansonsten bekommt Stuttgart ja nicht unbedingt die beste Kritik (beide lachen).

Find ich auch verständlich, ich habe ausschließlich Respekt vor der Musikszene. Aber dann will ich dich gar nicht länger aufhalten und dir ein gutes Konzert wünschen.

Dankeschön.

Das Konzert sollte dann auch tatsächlich sehr schön sein. Schon bei Luis Ake heizt das Publikum gut auf. Während sich Ake in seiner wilden Mixtur aus Technophilie, Schlager und Herzschmerz verliert, feiert das Heidelberger Publikum schon mal gut vor. Im Stil des großen Showstoppers, der er ist, zieht Ake irgendwann sein durchgeschwitztes Hemd für ein Maximum an Bewegungs- und Feierfreiheit aus. Nach einer schweißtreibenden halben Stunde betreten dann endlich Edwin Rosen und Flawless Issues die Bühne. Der New Wave des Quasi-Duos entwickelt sofort einen Sog, vor allem bei "leichter/kälter" gibt es kein Halten mehr. Vor der Bühne entwickelt sich eine Art Moshpit, weiter hinten kann Luis Ake vor Freude kaum an sich halten, als Songs von Flawless Issues‘ Soloprojekt gespielt werden. Leidenschaftlich krakelt er "Maaaaaaaaaax!". Irgendwann, nach einer Zugabe, die aus einer weiteren Aufführung von "Verschwende Deine Zeit" besteht, entlassen Edwin und Max das Publikum und sich selbst in den Abend. Natürlich nicht, ohne davor geduldig am Merchstand zu stehen, dem schon nach Kurzem die T-Shirts ausgehen.

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