laut.de-Kritik

Meisterhafte Geburtsstunde von Kurt Cobains Lieblingsband.

Review von

Die Pixies sind die erste Band von Charles Thompson IV aka Black Francis aka Frank Black aus Boston. Keine herumblödelnde Schülercombo, keine zum Scheitern verurteilte Coverband. Sondern direkt eine der einflussreichsten Bands der letzten 30 Jahre. Nicht, dass er es darauf angelegt hätte. Aber das Pixies-Debüt "Surfer Rosa" und alles was danach kam, lässt keine Zweifel an der Klasse dieser Gruppe, die selbst nie daran gedacht hat, jemals so gut zu werden.

Manche Personen sind die geborenen Rockstars, dazu veranlagt, im Rampenlicht zu stehen und aufgrund der öffentlichen Bewunderung immer ein kleines bisschen verrückter zu werden. In den Achtzigern, als Glamrockbands und digitale Synthieposers einen ewigen Image-Kampf bis an den Boden jeder Hairspraydose ausfechten, sind die Pixies eine der ersten Bands für die Uncoolen. Sie selbst sehen aus wie Vizepräsident, Lagermeister und Schatzmeister des lokalen Schachclubs, stehen aber trotzdem auf Gitarren. Derweil basteln zeitgleich Kollegen wie Sonic Youth und R.E.M. an einem intelligenten Gegenentwurf zum Hollywood-Strip.

Dabei steckt hinter alledem keine Rebellion, schon gar nicht Kalkül und auch kaum eine gebeutelte Künstlerseele. Die Pixies taten es einfach, ohne lange darüber nachzudenken, wie und was jemand davon halten könnte. Black Francis wachte auf und wollte eine Band gründen. Und genau die Art von Musik machen, die ihm mit Anfang 20 vorschwebte.

Kein Wunder, dass solche Integrität fernab von den damals gängigen Heldenbildungen schließlich auch Herren im Format von Kurt Cobain, David Bowie und Thom Yorke ins erklärte Fanlager der Pixies berief, was gemeinhin für alle möglichen Ritterschläge und Kaiserkrönungen innerhalb der Musikwelt reichen sollte. Es waren die Songstrukturen der Pixies, ihr Drumsound und ihre generelle, alternative Position, die den Weg für alles ebnete, was in den folgenden 25 Jahren Gitarrenmusik passieren sollte.

Im Jahr 1986 ahnte noch niemand etwas von dieser Zukunft. Zu Francis' Mitbewohner Joey Santiago und der per Anzeige angeworbenen Kim Deal stößt David Lovering auf Empfehlung von Deals Ehemann - fertig sind die Pixies; gegründet ebenso beiläufig wie sie sieben Jahre später auch auseinander brechen sollten. Noch bevor sie jemals eine Bühne – geschweige denn ein Studio – betreten, hat Francis schon die größten Hits der Band geschrieben. Mit den 13 Songs für ihr Debüt sperren sie sich auf Anraten des Labels in das Bostoner Studio Q Division mit Soundtechniker und Produzent wider Willen Steve Albini (später umstrittener Produzent von Nirvanas "In Utero").

Albini trifft die vier Musiker in einer Zeit, als jede Snare einer Rockband wie ein Meteoriteneinschlag klingt, stellt sie in einen Raum und versucht, das Spiel der Band in einer bestmöglichen Art und Weise festzuhalten. Ohne viele Gimmicks – Gesangsaufnahmen im ausgefliesten Badezimmer sind da schon die Ausnahme. Albini war schon damals bekannt dafür, dass seine Aufnahmen perfekt ausbalanciert, direkt und vor allem ehrlich rüberkommen.

Noch heute klingt "Surfer Rosa" so unmittelbar, als würde die Band nach Drücken der Play-Taste direkt im Wohnzimmer auftauchen, Francis sich in den abgenutzten Ohrensessel werfen, die Gitarre einstöpseln und los schreien. Der direkte Sound geht natürlich konform mit dem Songmaterial. Etwas, das Black Francis von Stunde Null an zu beherrschen schien, ist ein feines Gespür für dynamische Gegensätze, sowohl instrumental als auch lyrisch.

Ein ständiger, spielerischer Wechsel zwischen Laut und Leise, zwischen Hart und Weich, durchzieht das Album. Reduzierte, flüsternde Strophen, die manchmal graduell, manchmal urplötzlich in krachige Geräuschrefrains aufgehen. Eine Stream of Conciousness-mäßige Aneinanderreihung von Worten, die sich mit einfachsten Kinderreimen abwechseln. Verzerrte, bellende Vocals gegen engelsgleiche Chöre. Alltagsbeobachtungen, pointiert mit Tabuthemen, meist sexueller Natur. Das Spiel mit Schwarz und Weiß legen die Pixies nuanciert auf alles um.

13 Songs in 33 Minuten zu verpacken erzählt auch von einer sehr klaren Vorstellung, was auf einem Album passieren kann und darf. Das Hauptriff nach dem schmetternden Schlagzeug-Intro von "Bone Machine" klingt eigentlich schon nach Highlight, nach großem Finale, nach Festivalhymne, während Francis in den Strophen so gar nicht singen will und Zeilen von sich gibt wie "He bought me a soda and he tried to molest me in the parking lot", bevor er kurz und bildschön mit Kim Deal harmonisiert. Sein Gesangsstil reicht von dahingemurmelten Wörtern über gellende Schreie und Kreischereien; für die großen Melodien greift sich Deal beherzt die zweite Stimme.

Aber Reime und Gesang müssen bei den Pixies ja nicht immer sein. Diese Nichtbeachtung des gängigen Songschemas allein bedeutet schon einen frischen Wind in der Musikszene Ende der Achtziger. Aber das ist nur der Startschuss zu einer Reise durch die erwähnten Gegensätze, die sich in schier perfekter Sequenz auf "Surfer Rosa" zusammenfügen.

Da raucht der Ska-Punk in "Something Against You", noch bevor es den Begriff Ska-Punk überhaupt gibt. Punk selbst beginnt im galoppierenden "Broken Face" zu brennen, wenn sich die Band wieder und wieder in die Refrains hechtet. Danach nehmen eine wiegende Bassline und die gehauchten Vocals von Kim den Sturm und Drang etwas heraus ("Gigantic"). Der dreiteilige, stufenhafte Aufbau des Songs mit seinem riesengroßen Chorus sorgt für eine Blaupause des Alternative Rock und verankert Deal schlussendlich so sehr in den Herzen der Pixies-Fans, dass ein unwiderruflicher Konflikt mit Black Francis daraus entsteht. Aber das ist eine andere Geschichte.

Denn mittlerweile sind sie bei der letzten Minute von "Gigantic" angekommen, dessen drei Akkorde sie mit voller Überzeugung in Grund und Boden rocken. Eine schneidende und klirrende Gitarrenline leitet über zum "River Euphrates" und eröffnet beispielhaft, wie Gitarrist Joey Santiago seine Parts anlegt. Fernab von einer Funktion als klassischer Lead-Gitarrist versteht er sich eher als Veredler und Verziehrer von Parts, als Geräuscharchitekt, der nicht selten für die heftigeren Dynamiken zuständig ist, siehe "Vamos". Und wie im Falle des mächtigen "Where Is My Mind?" auch charakteristische Gitarrenhooks mit zwei, drei Tönen kreiert.

"Where Is My Mind?", eine der besten aller Indie-Hymnen, zentral platziert in der Albummitte, findet heute in fast jeder Fernsehserie Platz. Trotzdem ist es ein Song, der auch noch in hundert Jahren Relevanz haben wird. Das in "River Euphrates" begonnene Thema von Isolation, Wüste und Aufbruch setzt sich fort, indem Francis nun am Strand angelangt ist. Die entspannte Gitarre und Kims Walgesang werden durch Santiagos Sirenengitarre in die Luft gehoben, das lockere Tempo und der Nicht-Chorus tun ihr übriges, um diese Stimmung von dem leicht kaputten Bild der heilen Welt, der etwas heruntergekommenen, alternativen Umwelt aufrecht zu erhalten.

So auch "Cactus", der beunruhigend-abgeklärte Wunsch eines Häftlings, seine Freundin möge ihm doch ihr getragenes, durchgeschwitztes und mit ihrem Blut benetztes Kleid schicken. Eher minimal gehalten, stellt dieser Song auch das Ende der mehrteiligen musikalischen Beruhigung in der Mitte von "Surfer Rosa" dar. Mit dem Surfrock von "Tony's Theme" krakeelen sich Black Francis und Kim Deal durch den Chorus, drehen dann mit dem ebenso kurzen punkigen "Oh My Golly!" noch am Geschwindigkeitsrad und rasten schließlich im ausufernden und kruden Noise-Duell "Vamos" ("We'll have our sons, they will be all well hung") gänzlich aus.

"Throw on your clothes, the second side of Surfer Rosa and you leave me with my jaw on the floor", sangen vor ein paar Jahren die Laufband-Turner von OK GO. Tatsächlich fegt die zweite Hälfte mit energischem Krach nur so aus den Lautsprechern, dass es eine Freude ist. Santiago darf aus seiner Gitarre mehr wilde Sounds quetschen, Francis' Schreie in "I'm Amazed" könnten nicht inbrünstiger sein und die Hooks von "Oh My Golly!" und "Vamos" sind in ihrem simplen Gegensatz zum jeweils restlichen Song einfach nur catchy.

"It's not time for me to go" singen Francis und Deal in schöner Harmonie schlussendlich auf "Brick Is Red" und schließen ein Album ab, das die Pixies und ihre Art der Komposition fest in der Musikgeschichte verankerte. Das zweite Album "Dolittle" folgte bald, und hielt auch noch einige größere Hits für die Band bereit. Doch in ihrer reinsten, unumstritten bestklingendsten und zügellosesten Form zeigen sie sich auf "Surfer Rosa".

Das Album steht für die Grundidee des Grunge, dass coole Rockmusik nicht mehr von überlebensgroßen, geschminkten, lebensbejahenden Spandexträgern kommen muss. Als sich die breite Masse dessen bewusst wird, sprechen die vier Pixies schon nicht mehr miteinander. 1993 löst Francis die Band nach einem Interview auf. Die Mitglieder verständigt er per Fax. Zwischenzeitlich nennt er sich Frank Black und gründet mehrere Solo-Bands. Besser als diese erste war keine.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Bone Machine
  2. 2. Break My Body
  3. 3. Something Against You
  4. 4. Broken Face
  5. 5. Gigantic
  6. 6. River Euphrates
  7. 7. Where Is My Mind?
  8. 8. Cactus
  9. 9. Tony's Theme
  10. 10. Oh My Golly!
  11. 11. Vamos
  12. 12. I'm Amazed
  13. 13. Brick Is Red

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