laut.de-Kritik
Darf ich höflich darum bitten, alles zu schütteln, was Sie haben?
Review von Stefan Johannesberg"Auf meinen Lauschern im endlosen Mix / CoFlow, Eminem, DeLa, Organized, die Liks und sonst nix." 1999 gelingt Dendemann und DJ Rabauke aka Eins Zwo mit "Gefährliches Halbwissen" ein Novum in der Deutschrap-Geschichte: Zum ersten Mal kreuzen sich die Skills der amerikanischen und deutschen Rap-Szene auf dem gleichen Level. Zum ersten Mal liegen heimische Künstler in Flow, Reimtechnik, Beats, Samples und Vibe auf dem Niveau der US-Vorbilder.
Angetrieben von Dilated Peoples oder Rawkus Records mit eben jenen genannten Company Flow, bildet der sozialkritische Underground-Rap an West- und Eastcoast den Gegenpol zum Club-Sound. Ein gewisser Junge aus einem Detroiter Trailerpark droppt parallel vertrackte Triplereime und ironisch-übertriebene Wie-Vergleiche, und im Land der Kartoffeln sitzen tausende Halbstarke im Keller der Eltern und kiffen sich das Leben erträglich, zu Zeilen wie "Eins Zwo verlässt grad eben den traumhaften Raumhafen unseres Planeten / Was keiner ahnt: Die Crew will, getarnt in Bus, Bahn und Leihwagen, an Sonn-, Sams- und Freitagen zu guter Stimmung beitragen", Scratches und jazzig-trockenen Beats. Hasch und Rap statt Hasch und Rock.
Eins Zwo haben die Vorstadt-Jugend fest im Griff. DJ Rabauke und Dendemann liefern "Cuts und Raps mit Wortwitz", in denen sich die zugedröhnte Generation Golf verliert und als temporäre Genies im Rausch die Lyrics bis auf den letzten Buchstaben analysiert. Einer von ihnen ist Kollegah. "Es war mir eine Ehre, bei dem Abschiedsmedley für Dendemann dabei zu sein, dessen Musik mich durch meine jungen Jahre begleitet hat. Der Verse aus seinem Song 'Hand Aufs Herz', welchen ich in der Show rappte, saß auch nach 17 Jahren noch wie 'ne 1", postet der Boss 2016 anlässlich Dendes Abschied bei Böhmermanns "ZDF Neo Royale".
Dendemann ist Ende der 90er der Inbegriff des introvertierten, besserwisserischen Nerds, der Eminem für Grübler. "Der Typ mit den Geheimratsecken" ist ein Unikat im deutschen Rap-Game. Er stylt nicht wie Eizi Eiz und flowt nicht wie Samy. Er gibt sich auch nicht als charismatischer Songwriter wie Max Herre und meidet jede Straßenrapper-Referenz. Der "Fan des Fortschritts" flext mit krächziger Stimme, variiert Silben und Tempo, erzählt Geschichten und "schimpft als Kerl mit dem schlimmsten Wortschatz wieder wie ein Rohrspatz". Es braucht maximal zwei Minuten des Debütalbums "Gefährliches Halbwissen", und man gammelt auf der Couch neben Felix Blume, als dieser die multiplen Reimketten und Vergleiche aufsaugte wie später Zigarrengift.
Noch Jahrzehnte später entdecken Hip Hopper mit schütteren Haaren neue Augenöffner, zum Beispiel in "Liebes Logbuch": "Ein besetztes Mic, die Bühne voll harter Roughnecks, und selbst wenn, lass' ich die sprinten wie Vaterschaftstests". "Hip Hops Hundesohn" fürchtet sich vor niemandem, separiert sich aber von den Gangbangern und disst deren männlich-egoistische Aufreißerattitüde im Vorbeigehen. Nebenbei etabliert er Hamburger Szene-Schnack wie "Wort Drauf" im gleichnamigen Track mit Samy und Doppelkopfs Falk.
Überhaupt ist jenes Allstar-Treffen neben "Füchse" die Sternstunde der Hamburger Ära im Deutschrap. Samy boastet die legendären Zeilen "Nenn' mich den Mack ohne Donalds, den King ohne Burger / Ich schreib wie 'n Gestörter jede Nacht neue Burner" durch die Boxen. Dendemann macht mit "Noch im Morgengrauen sitz' ich in meinen Daunen-Wigwams, kick' Flows, fetter als Joes und Big Puns Dickwanst" die Nacht zum Tag, und Falk greift tief in sein Innerstes: "Ihr hier und an jedem anderm Ort auch, geht's euch wie mir, zückt 'nen Stift, nehmt ein Blatt Papier und schreibt ein Wort drauf und kuckt, was wird draus / Schreiben ist wie Reisen, die einzige Therapie, die hilft, doch ich schreib', was ich will."
Über all diesen legendären Zeilen vergisst man schnell den zweiten Protagonisten des Duos. Rabauke, unter anderem Tour-DJ der Fetten Brote, bleibt stets im Hintergrund und ist als Beatbastler sträflich unterbewertet. Sein minimalistisches Beat-Fundament könnte nach dem sechsten Track durchgenudelt erscheinen, doch immer wieder tauchen Loops, Samples und kurze Sequenzen auf. Pete Rock lässt grüßen.
Wie kein anderer (außer vielleicht Primo und MixMaster Mike) kompensiert Rabauke Dendemanns fehlende Hook-Kompetenz mit punktgenauen und melodischen Cuts im Refrain und kreiert eingängige Phrasen. "Hand Auf's Herz", der einzige echte Hit des Albums, stürmt trotz absoluter Abwesenheit von Star-Appeal dank der Schnipsel "Seid doch mal ehrlich" (Eißfeldt in "Rock On" von "Bambule") und "Komm' schon, Baby, beweg dein Arsch" (aus "Hände Hoch" der Massiven Töne) die VIVA- und MTV-Charts.
Leider trennen sich die Wege von Rabauke und Dendemann nach zwei Alben und ein paar EPs. Während Rabauke einen anderen musikalischen Pfad einschlägt, startet Dendemann eine mittelmäßig erfolgreiche Solokarriere. In den 2000ern, als Gangsta-Rap, aggressiver Battle-Rap und digitale Selbstdarstellung das Game übernehmen, findet der "Mitarbeiter Des Monats" keine Aufmerksamkeit mehr. Erinnern wir uns also mit Casper an die guten, alten Zeiten:
"Ich habe mit meiner damaligen Freundin die Schule geschwänzt, um wie die Karstadt-Omas als Erster morgens um 10 vorm Media Markt in Hameln zu stehen und 'Gefährliches Halbwissen' zu kaufen. Wieder zuhause angekommen, habe ich das Teil mindestens 5x am Stück durchgehört. Von da an morgens, mittags, abends. Und dazwischen auch."
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare mit 2 Antworten
Endlich mal ein wirklicher Meilenstein!
ALs 13 jähriger hatte ich mir das Album wegen Danke gut und Hand aufs Herz gekauft. Damals war ich vom Rest enttäuscht. Erst Jahre später, hatte ich die CD mal wieder in den Händen und mir angehört. Seit dem läuft sie immer wieder.
Wie ich finde ist es eins der wenigen Alben aus der Zeit, die man heute noch ohne Probleme hören kann,
Textlich wie Beatmäßig.
Fand das zweite immer noch einen Ticken geiler, kann aber gar nicht gut auf den Punkt bringen, wieso.
Nichtsdestotrotz natürlich verdienter Stein - gab es so vorher in Schland nicht und hat sicher viele beeinflusst.
Mochte ich als 13-jähriger und jetzt immer noch. Absolut grandios und zeitlos. Das Zweitwerk war ähnlich gut. Leider auf keinem Streamingdienst vertreten. Weiss jemand wieso?
Angeblich wegen ungeklärten Samples
Wirklich Schade. Gestern nochmal über Youtube gehört, aber die Qualität ist leider sehr mau.
Hatte ich damals auf CD, diesen Sommer hab ich 230 Euronen fürs Vinyl hingeblättert ... jeden Cent wert.