laut.de-Kritik

Manches was der labert, ist wirklich fünf vor Tom MacDonald.

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Huch, wie ist das denn passiert?! Nachdem sich Eminem im Spätherbst seiner Karriere eigentlich schon selbst so ins musikalische Abseits manövrierte, dass wahrlich kein Hahn mehr nach ihm kräht, ist plötzlich wieder ordentlich Hype um den prominentesten Edgelord der Rap-Welt entbrannt. Alles was es dafür brauchte, war die Abkehr seiner ultimativ gescheiterten musikalischen Emanzipation, die Rückkehr zum eingestaubten Spandex-Anzug und damit einhergehend eine besonders dicke Slim Shady-Karotte, die man seiner alten Hörerschaft vor die Nase hängen kann. Hier guckt mal, "Without Me", kennt ihr noch, oder? Gut, machen wir genauso, nur schlechter.

Im Gegensatz zu seinen letzten Alben hatte "The Death Of Slim Shady" tatsächlich einen richtigen Rollout. Mit Trailern, Singles, PR-Stunts: Alles sollte einem das Gefühl geben, dass wir hier noch mal einen Kurswechsel erleben werden, dass der echte Slim Shady ein letztes Mal aufersteht, bevor er sich für immer zur Ruhe legt. Die Betonung liegt in diesem Fall jedoch auf 'das Gefühl geben', denn die Nostalgie-Karte zu spielen befreit Eminems Musik auch weiterhin nicht von den Mankos, die sich wie ein kackbrauner Streifen durch seinen gesamten Katalog ziehen. Vielmehr addiert es noch einmal neue Gründe dazu, mit den Augen zu rollen.

"The Death Of Slim Shady" beweist in größtmöglicher Arschigkeit, dass die Problematik eines modernen Eminem-Albums weniger die musikalischen Shortcomings seitens der Produktion und des Songwritings darstellen, sondern in allererster Linie auf den Mann zurückzuführen sind, der den Stift in die Hand nimmt und ans Mikrofon tritt. Marshall Mathers ist ein bitterer, alter Mann mit dem Humor eines 15-jährigen Highschoolers, der alle Folgen South Park auswendig kennt, und meint, er hätte das politische System ausgedribbelt, in dem er einfach alle Minderheiten gleichermaßen diskriminiert.

Wo Eminem früher rechts und links verbale Schläge gegen jede Person austeilte, die zufällig in seinem Weg stand, sucht er nun seine Ziele ganz bewusst, was die Derbheit furchtbar konstruiert und angestrengt wirken lässt. Nahezu auf jedem einzelnen Song der ersten Hälfte schießt er gegen die gleichen Ziele: Kleinwüchsige, Christopher Reeve und Caitlyn Jenner. Nicht nur sind viele der Referenzen völlig veraltet, dieser Fokus lässt das Ganze mehr obsessiv als lustig daherkommen. Ohnehin: Der Humor leidet ungemein unter der verkopften Art, wie Eminem seine Bars strukturiert. All die Seitenhiebe fühlen sich weniger nach Jokes an und mehr nach Rage-Bait unter einem Tagesschau-Instagram-Post.

Ein paar Beispiele: "Into them girls who bought tits to get attention /Then get hit on by ugly men who are (Creep) / Not in your league, so you pretend you're a victim / And me-too 'em" ("Habits"); "Do not tell me what I can't say (Why?) / that's gay / And not the good kind of gay either / Where two men fuck each other and hate beaver"("Evil"); "Back to 2003 'cause how did we get stuck in / This woke BS? I'm tryna make it regress, fuck 'em" ("Antichrist"); "'Bout to get retarded on this motherfuckin' shidit / You can't say retarded/ Shut up, midget " ("Habits")

Ganz schlimme Ausmaße nimmt das auf "Road Rage" an, einem Song, der sich weder so anfühlt, als würde hier eine Kunstfigur rappen, die bekannt dafür ist Witze zu reißen, noch überhaupt wie ein Witz. Das, was Eminem da labert, ist wirklich fünf vor Tom MacDonald und so bedeutungsschwanger vorgetragen, dass sich einem die Fußnägel hochrollen. Ich würde mich lieber von ihm als Schwuchtel beleidigen lassen, als seinen Dad-Jokes und musikalischen Twitter-Rants zu Übergewichtigen und Trans-Personen zuzuhören. Seine Meinung dazu ist nicht offensiv, sie ist nicht intelligent oder neu, sie ist die Norm. Das sterbenslangweilige Nirvana der politischen Mitte, umhüllt von einer Verpackung, so edgy wie das Design einer Monster Energy-Dose.

Was Projekte wie "The Marshall Mathers LP" oder "The Eminem Show" auch heute noch zu den stärkeren Offerings der früheren 2000er macht, ist Eminems Sorglosigkeit. Da rappt ein Junge, der sich keine Gedanken darüber macht, was er da eigentlich sagt, und was das für Konsequenzen haben könnte. Da steckt keine politische Agenda dahinter, kein doppelter Boden, kein Konzept, kein fiebriges Abwarten auf eine Gegenreaktion. Ein Hauch davon ist tatsächlich auf "Brand New Dance" zu hören, einem Throwaway-Diss aus "Encore" an Christopher Reeve, dessen Edginess weniger verbissen und bitter daherkommt, dafür tatsächlich ziemlich fies und lustig.

Mit anderen Throwbacks zu dieser Zeit wie "Habits" , "Lucifer", "Evil" oder "Antichrist" versucht Eminem genau diese 'No Fucks Given'-Attitüde wiederherzustellen. Er rappt mit dem gleichen Tonfall wie damals (oder versucht es zumindest), er poliert seine Stinkefinger wieder blitzeblank und rammt sie uns mit Anlauf in die Fresse. So sehr er sich jedoch darum bemüht, uns zu verkaufen, dass es ihn nicht interessieren würde, was wir denn davon denken, wenn er über die Stränge schlägt, gibt einem dieses Album das genau gegenteilige Gefühl: Nämlich, dass es ihn mehr denn je kümmert. Mehr als uns davon zu überzeugen, dass Eminem immer noch ein guter Musiker ist, will "The Death Of Slim Shady" eine entrüstete Reaktion von uns. Ein "Ohh, das hat er gerade nicht gesagt", einen Twitter-Post, einen laut.de-Kommentar, ein Kopfschütteln, ein Augenrollen, bitte, einfach irgendwas.

Diese Reaktion bekommt er auch, aber nicht aus den Gründen, die er sich ausmalt, sondern weil Eminem nicht einmal mehr dazu fähig ist, besonders edgy zu sein. Nahezu jedes einzige Mal, wenn er eine transphobe, sexistische, oder in irgendeiner Form diskriminierende Line droppt, traut er sich nicht, diese einfach so stehen zu lassen. Er muss ständig den Fakt anerkennen, dass er da gerade etwas gesagt hat, das manche Menschen triggern könnte, und sich wahlweise selbst auf die Schulter klopfen, die Chuzpe zu haben, heutzutage so etwas zu sagen. Oder er macht einen Schritt zurück und versucht, das Gesagte zu relativieren. Das ist wie wenn Serdar Somuncu einen Witz über Schwule reißt und auf Nachfrage dann meint, dass er nix gegen Schwule habe, nur gegen Tunten.

Da lobe ich mir fast schon Bizarress Commitment. Der taucht auf “Antichrist” nämlich wieder auf, spittet ohne mit der Wimper zu zucken die geschmacklosesten Bars der LP und haut ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken wieder ab. Canceln, was? Juckt ihn nicht. Eminem ist hingegen besessen davon. Er meint, die ganze Welt wolle ihn canceln, wenn nicht jetzt schon, dann spätestens nach diesem Album. Ein Album, das beteuert, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Ein Album, das man auf jedem einzelnen Streaming-Service hören kann. Ein Album, über das gerade die gesamte Welt redet. Ein Album, das voraussichtlich an der Spitze der Charts einsteigen wird.

Allerdings ist "The Death Of Slim Shady" ja ein Konzeptalbum, und, auch wenn man es anhand dieses Textes wohl nicht vermuten würde, ist dieses Konzept nicht einfach nur möglichst deutlich zu machen wie gerne Eminem gecancelt werden würde, sondern seine persönliche Auseinandersetzung mit seiner alten, problematischen Person. Immer wieder skizzieren Skits einen Kampf zwischen Marshall Mathers und Slim Shady, wobei Ersterer sein blondes Alter Ego davon abhalten will, dummes Zeug zu reden. Dieser Konflikt gipfelt letztlich in "Guilty Conscience 2", in dem die beiden einen theatralischen, finalen Kampf austragen, der mit Shadys Tod endet.

Das Ding ist: Ich mag die Idee. Rein musikalisch gehört "Guilty Conscience 2" zu den stärksten und originellsten Songs der gesamten Platte. Aber, und das ist ein ziemlich großes aber, Eminem nutzt diese Idee nicht wirklich. um etwas Gehaltvolles über seinen musikalischen Werdegang oder seine Beziehung zu seinem Alter Ego zu sagen, er nutzt sie als 'Komm Aus Dem Gefängnis Frei'-Karte für sich und seine Fans, um die die gesamte erste Hälfte rückblickend zu rechtfertigen. Der Fakt, dass sich Eminem bewusst ist, dass die Dinge, die er da sagt ziemlich Panne sind, macht diese Dinge eben nicht weniger Panne.

"Just immature and literally / You're still mentally / Thirteen and still thirsty for some controversy": Applaus dafür, dass er zu dieser Selbstdiagnose fähig ist. Das mag für viele Fans genügen, um Kritikern dieses Albums vorwerfen zu können, sie hätten es schlichtweg nicht verstanden. Aber hier gibt es nichts zu verstehen. Der doppelte Boden ist eine Lüge, die Satire scheitert schon am Set-Up. Eminem macht hier nichts Neues, oder sagt irgendetwas von Gehalt über sich oder andere. Er boxt nach unten, so wie früher, nur mit einem massiven Stock im Arsch, und den kriegt er auch dann nicht rausgezogen, indem er anerkennt, dass da gerade ein Stock in seinem Arsch steckt.

Das ist die ultimative Krux dieser LP, die all die positiven Entwicklungen fast schon zweitrangig werden lässt. Ja, es ist schön, das Eminem tatsächlich wieder flowt wie ein Mensch und nicht wie eine von weißen Vorstadtkids programmierte Rap-KI. Auch die Beats halten einen höheren Qualitätsstandard als seine vergangenen Projekte und klingen nicht länger nach der Resterampe aus Rick Rubins Biotonne. Aber all das nutzt wenig, wenn nahezu jeder einzelne Song dermaßen fatale lyrische Fehltritte enthält, dass man sich am Stuhl festketten muss, um nicht mit dem Kopf die Rigipswand einzureißen.

Oder sich intravenös Red Bull einflößen, um wach zu bleiben. Denn nachdem die Maske gefallen ist und sich Marshall Mathers von Slim Shady lossagt, befinden wir uns schnell wieder im Normalzustand eines modernen Eminem-Albums. Die LP hält abgesehen von "Guilty Conscience 2" und dem starken Babytron-Feature auf "Tobey" keine Überraschungen mehr parat.

Alles, was nach dem thematischen Klimax der LP folgt, ist derselbe Slop, der seit "Recovery" bis in die letzte Ritze seiner Diskografie durchgedrungen ist. Mittelmäßige Hooks, von B-Pop-Stars und Rap-Features, deren Karrieren so isoliert vom Rest der Welt stattfinden, dass sie Mathers zwischen seinen Alben wahrscheinlich in seinem Keller gefangen hält, plus die immer gleichen Themen, dargeboten im gleichen Flow, über die gleichen Beats.

Songs wie "Temporary", "Bad One", oder "Somebody Save Me" sind mitnichten Totalausfälle, aber wieso sollte ich mir diese Tracks über Eminems Beziehung zu seiner Tochter, seinem Überlegenheitskomplex oder seinen Kampf gegen die Drogensucht anhören, wenn er dieselben Themen schon spätestens nach "Relapse" in ihrer bestmöglichen Form ausgearbeitet hatte. Es ist der wiederholte lauwarme Aufguss eines lauwarmen Aufgusses.

Mehr noch als nur eine Handvoll müde, artifizielle Kontroversen liefert "The Death Of Slim Shady" den ultimativen Beweis, dass dieser Mann einfach keine neuen Ideen mehr hat. Am Ende dieses Konzepts über die Lossagung vom Schatten der eigenen Vergangenheit steht derselbe neue alte Musiker, bei dem man sich vor wenigen Wochen noch verwundert die Augen rieb, wie er für ein neues Album überhaupt nur ein Quäntchen Hype generieren konnte. Man kommt tatsächlich ins Grübeln, welche Version von Eminem denn nun schwerer zu ertragen ist. Der blondhaarige mit Scheiße werfende Cartman-Verschnitt, oder der Familienvater mit Minderwertigkeitskomplexen?

Trackliste

  1. 1. Renaissance
  2. 2. Habits (feat. White Gold)
  3. 3. Trouble
  4. 4. Brand New Dance
  5. 5. Evil
  6. 6. All You Got (Skit)
  7. 7. Lucifer (feat. Sly Pyper)
  8. 8. Antichrist (feat. Bizarre)
  9. 9. Fuel (feat. JID)
  10. 10. Road Rage
  11. 11. Houdini
  12. 12. Breaking News (Skit)
  13. 13. Guilty Conscience 2
  14. 14. Head Honcho (feat. EZ Mil)
  15. 15. Temporary (feat. Skylar Grey)
  16. 16. Bad One (feat White Gold)
  17. 17. Tobey (feat. Big Sean & Babytron)
  18. 18. Guess Who's Back (Skit)
  19. 19. Somebody Save Me (feat. Jelly Roll)

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30 Kommentare mit 53 Antworten

  • Vor 6 Tagen

    Okay der Leak ist draußen, meine erste Einschätzung:

    1. Renaissance 6/10 bisschen übertrieben bedeutungsschwanger
    2. Habits 8/10 jo sowas will ich hören, das gabs auf mtbmb,kamikaze und revival nicht mehr. das Billie Eilish feature stört nicht
    3. trouble 8/10 auch sehr catchy und taugt
    4. brand new dance 7/10
    5. Evil 9/10 mit Cameo von royce schön rund
    6 skit

    alles weitere muss ich noch öfter anhören, ein Hördurchlauf genügt hier nicht um eine Wertung abzugeben.

    In Laut Punkten gebe ich eine knappe 4/5 Sterne Bewertung. Finde das Album besser als MTBMT, Kamikaze und Revival. Auf einer Ebene mit mmlp2 mit einigen Schwachstellen aber im Großen ganzen nicht schlecht.

    Geh davon aus dass Habits noch ne Singleauskopplung wird. Tobey kann ich nach wie vor nicht verstehen und die letzen Tracks sind auch nicht so meins

    • Vor 6 Tagen

      Was sagst du zu den traditionell schlechten beats?

    • Vor 5 Tagen

      naja es geht in einer bessere Richtung, die Beats wurden ja erst ab mmlp2 so richtig scheiße und sowas wie revival kommt auch nicht mehr vor. Sind wenigstens solide Rapbeats und nicht irgendwelche Dad Rock Samples.

      Wie findest du die Beats?

      finde tatsächlich hatte Em mal gute Beats: lose yourself, stan, mockingbird, like toy soldiers, 3 am, not afraid, the way i am und eigentlich alle beats auf ES nur um Beispiele zu nennen

  • Vor 5 Tagen

    Okay sorry, ich bin auf ein Hoax reingefallen. Die Tracks die ich gehört hatte waren komplett andere! Sorry an alle die sich auf meine Kritik verlassen haben.

    Höre gerade das offizielle Relase und ich bin krass positiv überascht. Macht mega Spass zu hören, die Beats sind überaschend gut und das geflexe hält sich in Grenzen.

    Erster Eindruck: 5/5
    auch Tobey und Houdini fügen sich in das Album irgendwie besser ein als als Standalone Singles

    Mit Sicherheit besser als Revival, kamikaze und mtbmb
    die Trash-Triologie is over

  • Vor 14 Stunden

    Album ist absurder Kernschrott...absurder ist nur, dass es hier wirklich noch Leute gibt, die diesen Müll feiern...wobei es mich bei Gestalten wie unserem Squalle zB ja eigtl nicht wundern dürfte, dass der komplett die Kontrolle verloren hat ist ja nix Neues. :lol:

    Wer gibt mir jetzt die Lebenszeit zurück, die ich investiert habe um diese Scheisse zu hören? :(

    • Vor 12 Stunden

      Hab nur "Habits" gehört, das hat mir eigentlich schon gereicht. Cringig-lahme, aus der Zeit gefallene Lines über einen noch mehr aus der Zeit gefallenen Schrottbeat. Dazu die Rezi gelesen = dick viel Zeit gespart für den GRIND :D

  • Vor 2 Stunden

    Dieser ganze Wokescheiß und diese Getue um Transen geht mir sowas auf den Keks, kann man sich nicht vorstellen. Summa Summarum, 4/5 Punkte.

  • Vor einer Sekunde

    Meiner Ansicht nach ist der "Innere Dialog" in Em, der hier auf Albumlänge wirklich Song für Song aus verschiedenen Blickwinkeln thematisiert wird, sehr gut gelungen. Beißender Humor, sowohl sich selbst(!!) als auch dem (Ems Ansicht nach) "hysterischen" Gesellschaftsdiskurs gegenüber, aber auch selbtkritisches Reflektieren und Eingestehen der eigenen, teilweise nicht mehr zeitgemäßen, Ansichten und Verhaltensweisen.

    Ebenfalls ist meines Erachtens nach, wenn man mal die "Okay Boomer" Brille ablegt, auch klar die Empathie gegenüber diversen "woke" Themen und Lebenseinstellungen zu hören. Nur wird eben die "Twitter Wokeness" und der aufgeladene Gesellschaftsdiskurs als solches aufs Korn genommen.

    Für mich das beste Album seit Relapse, 4/5 geht auf jeden Fall klar. Schade dass der Autor dieser Review das Thema des Albums so Einseitig behandelt hat.

    PS wen es interessier, ich halte die Theorie zwar für einen Reach aber ein bisschen Fanciction zum Albumkonzept macht doch einfach Spaß :D https://www.youtube.com/watch?v=NcZ2gHXzzEM