laut.de-Kritik

Von diesem Weihnachtsalbum darf man keine Wunder erwarten.

Review von

Jede Redaktion hat ihre düsteren Geheimnisse. Bei laut.de gibt es zum Beispiel zwei im verborgenen agierende Erasure-Fans, die nach wie vor die Großwerke "The Innocents" und "Chorus" abfeiern. Ja, Herr Schuh und ich gehen sogar so weit, die diesjährige Weihnachtsfeier zum Leidwesen der Kollegen mit den extra bestellten exklusiven "Snow Globe"-Socks aufzusuchen. Da Nostalgie aber nur die Sehnsucht ist nach einer Zeit, in der man auch schon nichts zu lachen hatte, sind wir uns ebenso bewusst, dass die ehemaligen Helden mit katastrophalen Totalausfällen wie "Light At The End Of The World" und "Tomorrow's World" zunehmend Grütze verzapft haben.

Nun soll es also ein Album richten, das sich ausschließlich der Adventszeit widmet und ausgenudelte Klassiker neben neue, selbstgeschriebene Songs stellt. Gar nicht mal so abwegig, wenn man in das Jahr 1988 zurückblickt. Damals erschien die EP "Crackers International" und sorgte für Wirbel in der R7a der Heinrich-von-Kleist-Schule. Im Grunde stellt "Snow Globe" nur die logische Weiterführung des damaligen Gedanken dar.

Seit nunmehr zwanzig Jahren passiert im Erasure-Kosmos, wenige Feinjustierungen ausgenommen, nichts Spannendes mehr. Ein neuer Longplayer stellt immer auch eine Reise mit der Zeitmaschine dar. In eine Epoche, in denen nicht Morlocks sondern Roxette, Vanilla Ice, EMF, Enigma, C+C Music Factory und Heavy D & The Boyz über die Charts regierten.

Wie um dies zu unterstreichen, könnte der Opener "Bells Of Love (Isabelle's Of Love)" mit seinen behaglichen Synthesizern und dem melancholischem Optimismus ebenso aus der "Chorus"-Ära stammen. Hat man dies erst einmal akzeptiert und erwartet keine soundtechnischen Wunderwerke, stellt man schnell fest, dass sich unter der stark angestaubten Oberfläche gerade in der ersten Hälfte von "Snow Globe" ein paar brauchbare Tracks verstecken.

Im letzten Jahr verlor Andy Bell, selbst HIV-positiv, seinen Partner, mit dem er über 25 Jahre zusammen war, an die Epidemie. Für ihn stellt "Snow Globe" einen ersten Schritt zurück ins alltägliche Leben dar. Um so erstaunlicher, dass er sich mit seinen besten Aufnahmen seit langer Zeit zurückmeldet. Wenn Erasure von der Leistung des Sängers schwärmen, kommt dies nicht von irgendwoher. "Ich habe Andy niemals besser singen hören", gibt Vince Clarke in der Presseinfo zu Papier. "Ich habe meinen inneren Chorjungen wiedergefunden", ergänzt Bell: Ich dachte, er sei verloren, aber er war immer da."

In "Make It Wonderful" geben sich die beiden Engländer kraftvoll wie lange nicht mehr. In Textur und Songwriting beweist der schummrige Track mit spitzfindigen Arrangement und turbulenten Riffs eine Dramatik, wie sie eigentlich seit Jahren verloren schien. "Blood On The Snow" zeigt Erasure von ihrer schnell ins Peinliche driftenden, aber hier einwandfrei umgesetzten kitschigen Seite. Eine Gaukelei, in der der Soundtrack eines alten C64-Spiels mit dem Mittelalter kollidiert.

Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit funktioniert auch "Gaudete", die erste Single von "Snow Globe". Wie ein gregorianischer Choral legt sich Bells Stimme in mehreren Ebenen über die schemenhafte und dynamische Orchestrierung des lateinischen Weihnachtslieds aus dem 16. Jahrhunderts. Ruth Hellers "Sleep Quietly" verdrehen Erasure zu einem gespenstischen und zeitgleich feenhaften Wiegenlied, wie aus der grotesken Welt eines frühen Tim Burton-Film geschlüpft.

Leider reicht die neu gefundene Lebenskraft der Briten nicht einmal bis zur Hälfte des Longplayers. In der minimalistischen Umsetzung von "Silver Bells" und "Silent Night" mag eine Menge Mühe stecken. Am Ende bleiben es aber doch die alten Schmonzetten von Samplern mit Karel Gott, Peter Alexander und Roy Black, mit denen einst Mutter alle Jahre wieder die Bescherung beschallte. Gesellt sich dazu noch der banale Kinder-Pop "There'll Be No Tomorrow" erfüllen sich letztendlich alle Befürchtungen, die man bei der Kombination der Wörter Erasure und Weihnachtsalbum hegt.

Nur im schrullig entrückten "White Christmas", mit seinem fast durchgängigen Drone, verpassen Andy und Vince einem der Schmachtfetzen eine ganz eigene Note. Glitzernd wie die Erinnerung an glückliche und längst vergangene Stunden mit der Familie, dringt Bells gedämpfter Gesang durch die altmodischen Keyboardflächen.

Zwar dringt kein Glöckchen und keine Flöte durch "Snow Globe", trotzdem steht am Ende eine Platte, die Familienvater Vince Clarke seinem achtjährigen Sohn Oscar (für den er sich den Namen beim analogen Synthesizer OSCar borgte) ohne große Bedenken unter den Weihnachtsbaum legen kann. Das Material hätte ohne weiteres für eine gelungene "Crackers International"-Fortsetzung im EP Format gereicht. Auf Albenlänge geht der Fokus jedoch schnell verloren. So müssen wir weiter auf ein gelungenes Comeback unserer Helden warten. Auf den Moment, in dem wir freudetrunken in unseren bunten Socken hinaus in den frischen Schnee tänzeln.

Trackliste

  1. 1. Bells Of Love (Isabelle's Of Love)
  2. 2. Gaudete
  3. 3. Make It Wonderful
  4. 4. Sleep Quietly
  5. 5. Silent Night
  6. 6. Loving Man
  7. 7. The Christmas Song
  8. 8. Bleak Midwinter
  9. 9. Blood On The Snow
  10. 10. There'll Be No Tomorrow
  11. 11. Midnight Clear
  12. 12. White Christmas
  13. 13. Silver Bells

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