laut.de-Kritik
Eskapismus für alle!
Review von Anastasia HartleibWir schieben es jetzt einfach mal auf die Pandemie, dass noch nicht alle Welt über Ferge X Fisherman spricht. Die beiden Franken haben bereits 2020 mit "Blinded By The Neon" ein beachtliches Debüt rausgelegt, das zwischen Jazz, Soul und Hip Hop förmlich zum Eskapismus einlädt. Eigentlich doch der perfekte Anlass, um dem Wahnsinn dieser Welt wenigstens für eine gute Stunde zu entkommen, oder nicht?
Nun ja, hoffen wir, dass die Welt jetzt ein bisschen hellhöriger für Eskapismus ist. Mit "Duality" legen Ferge X Fisherman nun ein Album nach, in dessen vielschichtig arrangierten Beats man und frau sich erneut verlieren können. Produzent Ferge macht seine Sache gewohnt großartig und verschmilzt die Instrumentalisierungen der Lake Side Boys gekonnt mit atmosphärischen Synthie-Flächen und trockenem Boombap der feinsten Art.
"Duality" wirkt noch etwas roher als der Vorgänger, allerdings handelt es sich hierbei immer noch um runde, wohlfeile Arrangements, die wärmer gar nicht sein könnten. Doch zwischen die eher klassisch anmutenden Songs drängen sich immer mal wieder gut anderthalbminütige Einspieler, die sich nicht so recht an nur einen Rhythmus binden wollen. Hinzu kommt, dass die jazzlastigen Tracks immer mal wieder durch leiernde Elemente aus ihrer Wohlfühl-Wolke gezerrt werden. Hintenraus sorgt hier und da ein Vocoder für mehr Kante.
Es ist gar nicht so leicht, aus den Beats von "Duality" ein paar Lieblinge auszuwählen. Gleich zu Beginn wäre da "Trust", das die "Drunk On The Moon"-Thematik des letzten Albums erneut aufgreift und gegen Ende förmlich ins All entführt. Der Bass-geleitete Piano-Loop verliert sich protestierend in flimmernden Sound-Flächen, die den Sternen einen Klang verleihen, während sie glitzernd und weit entfernt an einem vorbeigleitend. Wunderschön und bedrückend zugleich.
Dann ist da noch "Reality", das nach dem etwas vernebelten "Growth" wieder in verträumtere Sphären abdriftet, die nur noch durch den Bass mit der hiesigen Welt verbunden scheinen. Für diesen Track holten sich Ferge X Fisherman nicht nur den US-amerikanischen Rapper Black Milk ins Boot, sondern auch den Jazztrompeter Takuya Kuroda. Und der sorgt dafür, dass Realität bald kein Begriff mehr ist. Während der Hook findet sich der Japaner langsam in den Song und bespielt Ferges Arrangements virtuos. Eine großartige Paarung, die nach mehr verlangt.
Wo wir schon bei den Features sind - die Gäste auf "Duality" machen allesamt eine hervorragende Figur. Neben den bereits erwähnten sind da noch die Münchner Sängerin Victoryaz, die auf der Singleauskopplung "Pace" ihre soulig-kräftige Stimme zum besten gibt. Hunter Rose bringt auf "Home" fast ein wenig R'n'B-Flair mit und ihr "But that don't say nothin' 'bout my love though" bleibt auch noch einige Zeit danach im Ohr. Auch der Berliner Future Soul-Sänger Noah Slee bringt seinen ganz eigenen Einschlag mit und fügt dem ohnehin schon vielschichtigen Album eine weitere Ebene hinzu.
Thematisch verarbeitet Rapper Fisherman die Eindrücke seines Alltags. Zerrissen zwischen dem Wunsch nach den ganz großen Bühnen dieser Welt, der harten Realität des Musik-Business und den Verlockungen der Liebe verzweifelt sein Protagonist immer wieder an dem eigenen Käfig im Kopf. "Met my demons last night, yeah / free like a kite / I tied myself to the business / so many Mona Lisas - I'm not even seing a difference / most must be fake and I'm stuck in a maze at this glass pyramid" rappt er bereits in "Business".
Gefangen zwischen selbst gemachtem Druck in "Time" und "Showboating", also dem mühsamen Versuch, sich nichts von der eigenen Misere anmerken zu lassen, fällt er dabei immer wieder über die eigenen Füße - wie in "Home": "I been circling nobody but you, but 'pressure, pressure, pressure" just doesn't fit the mood / so I do what I do best - I jet and act like I'm bulletproof / and you shoot."
Zwar macht man sich mit Texten übers Business in den wenigsten Fällen unsterblich - trotzdem dürften Fishermans Lines vielen kopfgeplagten aus der Seele sprechen. Das Verlangen nach schneller, besser, weiter, dem die eigenen Ansprüche nur selten genügen, steht oftmals in Konkurrenz zum sehnlichen Wunsch nach Geborgenheit - auch wenn es das gar nicht muss. Doch unter unserem selbstgemachten Druck stumpfen wir immer mehr ab. "I need a risk just to feel something" beschreibt Fisherman das Gefühl in "Growth".
Letztenendes ist diese Zerrissenheit zwischen der Realität und den eigenen Gedanken wohl genau die Dualität, auf die Ferge X Fisherman ihre Hörer*innnen aufmerksam machen wollen. Bleibt zu hoffen, dass die dieses Mal bereit dafür sind.
3 Kommentare
In deutschen Maßstäben gemessen ein Traum. Für mich auch textlich der beste englischsprachige Rap eines Nicht-Muttersprachlers seit den ersten, guten Looptroop Alben. Inhalt, Flowvarianz etc. Rezi hab ich nicht gelesen, bin zu faul. Aber von der Musik bin ich positiv überrascht, ist bisher an meinem Erdloch vorbeigegangen. Wenn es zu R&B mäßig wird, isses mir manchmal zu öde, das ist aber meinem Geschmack geschuldet.
Ja schwierig. Geb' keine Wertung ab. Für eine s.g. deutsche Produktion sehr gut, aber halt derbe belanglos.
Finde es wieder ganz ausgezeichnet, vor allem was Musik und Sprachfluss betrifft immer noch beeindruckend geschmeidig. Inhaltlich fehlt mir vll. ein bisschen ein Aufhänger wie der Tom Waits-Bezug beim Vorgänger, auch wenn hier und da schon Bezüge hergestellt werden. Also nicht, dass man sowas grundsätzlich machen müsste, aber mir persönlich hat es geholfen, den Rap, der ja weitgehend auf punches jeder Art verzichtet, als griffiger zu empfinden. Aber schon tolle Platte, auch im Gesamtpaket. Wenn ich meine Sommergrippe bis dahin loswerde, schau ich mir das am Dienstag in der Hebebühne wohl mal an.