laut.de-Kritik
Eine Ära neigt sich dem Ende entgegen.
Review von Dominik LippeEine Ära neigt sich dem Ende entgegen. Im Spätsommer vergangenen Jahres gaben die Berufsjugendlichen von Fettes Brot bekannt, sich nach 30 Jahren endgültig dem Erwachsenenleben zuzuwenden. Die vorliegende "Hitstory" destilliert aus ihrer bewegten Karriere die zehn Essentials.
Zugleich schwingt ein wenig Verdruss im Abschiedstext mit. Die "prüden Gralshüter" haben die "drei Flitzpiepen von Gruppe" stets bewundert für "ihr Talent, umwerfende Rap-Dramoletten wie 'Jein' zu droppen, um sie sogleich bitter für ihren Un-Ernst beim Einhalten der 'reinen Hip Hop-Lehre' kleinzuquatschen".
"Was wir heute produzieren, wird erst in Jahren gecheckt. Doch ich will keine Dankbarkeit, ich will Respekt", gab das Trio bereits zum Millennium in "Da Draußen" zu Protokoll. Tatsächlich ringen aktuelle Entwicklungen manchem Song weitere Facetten ab. Während "Du Driftest Nach Rechts" im Grunde nur die nostalgische Sehnsucht nach unpolitischen Zeiten reflektierte ("Du wünscht dir, wir hätten einen starken Führer? Ich wünsch' mir, es wär' zwischen uns wie früher."), hat sich die Aktualität des hier aufgeführten "An Tagen Wie Diesen" sogar noch erhöht.
Das Aushängeschild von "Am Wasser Gebaut" schildert zu einem Sample von Falcos "Jeanny" die Ignoranz und Abstumpfung im Angesicht globaler Gewalt sowie die Empörung, wenn sie den Alltag berüht. "Hör' noch den Nachrichtensprecher: 'Lage wieder mal dramatisch verschlechtert, heute fantastisches Wetter'", beschreibt die Gleichzeitigkeit von Trivialem und Grausamem - wie es nun im Instagram-Feed Alltag ist. Vor allem die schwelende Kriegsangst passt zumindest aus westlicher Perspektive besser ins Heute als ins Jahr 2005: "Sowas kann uns nie passieren - und was wäre, wenn doch?"
Enthemmter fällt "Bettina, Zieh Dir Bitte Etwas An" mit Modeselektor aus, mit dem sich die Band 2008 an die zumeist barbusige Moderatorin des DSF Sportquiz' wandte. Boulevardblätter wie Bild stürzten sich auf das Thema. Dabei bestand Doktor Renz auf den seriösen Hintergrund des "frechen Rap-Hit". Es sei ihnen um eine Kritik an der "Pornografisierung der Gesellschaft" gegangen. "Ich klick' die Maus und mich um meinen Verstand. Zieh' dich aus, ich brauch' nur eine Hand", nehmen sie Bezug auf Online-Pornografie, die mittlerweile andere Bereiche medialer Nacktheit verdrängt hat.
"Weil wir wussten, dass Not am Mann war - Schwule-Mädchen-Propaganda", persiflieren sie bereits 2001 das Wording heutiger Rechtspopulisten, die von einer übermächtigen Homolobby fabulieren. Das aufsehenerregende "Schwule Mädchen" wollte sich damals als "Elektro Power Pop" verstehen, der sich schnappatmend gegen homophoben und frauenfeindlichen Rap positioniert. Zugleich spiegelt sich die sich ausbreitende Aggressivität des Genres plötzlich selbst bei den netten Jungs aus Hamburg wider ("Sondereinheit!", "Kampfeinsatz!") - wenn auch nur eingeschränkt glaubwürdig.
Zwischen den Songs aus den überrepräsentierten 2000er Jahren findet sich selbstredend auch "Jein", mit dem ihnen einst der Mainstream-Durchbruch gelungen ist. Einfach gesagt, dreht es sich darin um die allgemeingültig Frage 'Wer mit wem?', womit die Single in gewisser Weise ihr Äquivalent zu "Die Da!?!" der Fantastischen Vier darstellt. Mit entspannter Trompeten-Untermalung in mexikanischer Western-Atmosphäre gelingt den Broten allerdings der stilvollere Beitrag. Dem gegenüber steht ihre ulkig gemeinte Fixierung auf übergroße Gesäße im strapaziösen Stuss "Erdbeben" aus "Strom Und Drang".
"Echo" schließt als jüngster und einziger Song aus dem Album "3 Is Ne Party" von 2013 die Abschiedskompilation des Trios ab. Optimal auf den Live-Auftritt zugeschnitten, gieren sie darin nach Resonanz: "Wozu all die Gedanken, wenn sie keiner hört? Ich versuche, meinen Weg zu finden, aber wie ohne Echo, Echo, kein Echo?" Es fällt leicht, diesen ersehnten Widerhall als Bestätigung zu lesen. "Fettes Brot is history", erklärt der Pressetext zur "Hitstory". Aber ob es den sympathischen Rappern zukünftig gelingt, ohne diese generationsübergreifende Anerkennung auszukommen, muss sich noch zeigen.
11 Kommentare mit 4 Antworten
Bis zum vorletzten Absatz wähnte ich mich auf leise.de, Europas größtem Lyrik- und Poesie-Online-Fanzine. Aber zum Glück erinnerte ich mich ob "entspannter Trompeten-Untermalung" daran, dass es eigentlich um Musik geht. Würde gerne Male die Rezession eines Intrumentalalbums durch domlip lesen.
Album natürlich leider größtenteils gehört und furchtbarer Schrott. Die Toten Hosen des Deutschrap.1/5
"Am Wasser gebaut" war seinerzeit grossartig. Welchem Genre man das nun auch immer zuordnen möchte. Vielleicht schreibt hier aber grad mein pubertäres ich von vor 15 Jahren.
Mit der Am Wasser gebaut und der Strom und Drang haben Fettes Brot zwei der besten Poprapalben gemacht, dies jemals gegeben hat (mindestens aus Deutschland) und gerade im Mittelteil ihrer Karriere immer solide abgeliefert (der Anfang und das Ende sollte größtenteils in Schweigen gehüllt werden).
Dass sie ihre 30 jährige Karriere auf 10 Songs beschränken sagt allerdings leider viel aus.
Bis auf Jein (96, nicht heutzutage), das damals wirklich technisch stellenweise weit vorne war für Deutschrap-Verhältnisse, kannste die halt kaum ertragen.
Hier in Hamburg geht Nordish by Nature immer
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10 Songs sind frech! und ohne neuen Song, wo bleibt der Mehrwert dieser Compi?