laut.de-Kritik
Besteht die Bewährungsprobe des zweiten Albums locker.
Review von Martina KellnerDa liegt sie vor mir, die neue ¡Forward, Russia!-Scheibe. Kategorie "Zweites Album". Mich beschleichen Nervosität und Aufregung. Da bekommt die Musik-Weisheit vom "Angstmacher Zweit-Album" sogleich neue Bedeutung. Wer hat eigentlich gesagt, das Debüt-Nachfolger nur Bands auf die Probe stellen und nicht auch die Nerven des angespannten, ungeduldigen Hörers?
Zugegeben, meine Erwartungsmesslatte ist nicht gerade niedrig angesetzt, doch zum Glück kann Entwarnung gegeben werden! Das zweite Album des Leeds-Vierers klingt definitiv anders, vor allem anders, als man es erwartet hätte. Hier und da ungewohnt brav, überraschend melodisch und doch auch unglaublich explosiv, eckig, wirr, nervenaufreibend, kratzig, ungelenk. Eben genau das, was man von ¡Forward, Russia! und ihrem experimentellen Debütsound schon kennt – nur eben einige Stufen durchdachter und in ein harmonischeres, üppigeres Gewand gekleidet. Will heißen, "Life Processes" amalgamiert all das Gute, Überraschende, Innovative des Erstlings mit mehr epischer Komplexität und viel musikalischer Finesse. Ach ja, mit den durchnummerierten Tracks ist jetzt tatsächlich endgültig Schluss.
Doch das sind nicht die einzigen Unterschiede. Entstand "Give Me A Wall" noch auf Gitarrist Whiskas' Dance To The Radio-Label (The Pigeon Detectives, Sky Larkin, Grammatics), so entschied man sich diesmal dafür, die Vermarktung anderen zu überlassen: "A Band member 'in charge' of other members deemed 'unhealthy' and never good", so die durchaus einleuchtende Erklärung.
Hörte man dem Debüt die Kürze und etwaige Eile des Aufnahmeprozesses teilweise auch an, so wirkt der Neuling insgesamt doch weitaus runder und überlegter. Altmeister Matt Bayles, der schon an den Songs so unterschiedlicher Künstler wie Pearl Jam, Mastodon, Blood Brothers oder Minus The Bear frickelte, verhilft den Engländern zu einem geschliffeneren, feineren Sound. Auch an Länge haben die meisten Stücke merklich gewonnen, was erfreulicherweise nicht mit Langatmigkeit, sondern mit gesteigerter Intensität und Tiefe einhergeht. Das zeigen Sechs-Minüter, wie "Some Buildings" oder das dramatische "Gravity & Heat" eindrucksvoll.
"We Are Grey Matter" und "Don't Reinvent What You Don't Understand" reihen sich klanglich nahtlos an "Give Me A Wall" an und rufen rastlosen Dance-Punk à la "Nine" oder "Twelve" ins Gedächtnis. Doch Woodhead und Co. halten nicht steif an ihrer bewährten Methode fest. Das Gros der Stücke wirkt einerseits gesetzter und zugleich kraftvoll, episch und dennoch eindringlich. Zeitweise vermisst man das Aufwieglerische eines "Fifteen Pt. I" oder die Keyboard-Ausschweifungen eines "Thirteen". Dafür belohnen die ruhevollen und spannungsreichen Kompositionen auf "Breaking Standing" oder "Welcome To The Moment (The Rest Of Your Live)", das gekonnt zurückhaltende sowie klanggewaltige Parts verbindet.
Tom Woodheads Stimme ist nach wie vor omnipräsent und zentrales Gestaltungsmittel, klingt mal manisch oder screamoartig aufheulend, dann und wann auch distanziert oder leise flüsternd – irgendwo zwischen The Cures Robert Smith, Pere Ubus David Thomas und Ex-Blood Brother Johnny Whitney. Am Ende des Albums stimmt dann auch Keyboarderin Katie Nicholls gesanglich mit ein. So endet "Spanish Triangles" trotz neun Minuten Länge in wuchtigen Gitarren und leidenschaftlichem Chorus und schließt so fulminant ein nicht minder begeisterndes, anderes, vor allem aber gelungenes zweites Album ab, das die Bewährungsprobe eindeutig bestanden hat.
8 Kommentare
Mies
4/5 ist eindeutig zu viel.
Drei Lieder gehört - find ich bisher alles super. Album kommt.
Album hat 4/5 auf jeden Fall verdient, wie ich auch schon in meinem Thread angedeutet habe. Freu mich drauf, das Artwork zu begutachten.
@.ashitaka (« blablablablabla »):
heul doch
vielleicht 6 von 10.