laut.de-Kritik

Dystopisch-frostige Oper: Das Progrock-Album des Jahres.

Review von

In den Weiten des Progressive Rock haben es sich Jem Godfrey und seine Frosties mittlerweile recht behaglich eingerichtet. Mit jedem Album der Engländer stieg ihr Bekanntheitsgrad ein wenig an, sicherlich vor allem wegen den ausgefeilten Arrangements und den Fähigkeiten der Musiker an den Instrumenten. Nun schicken sich die Herren Jem Godfrey, John Mitchell (u.a. Asia und Arena), Nathan King (Level 42)und Craig Blundell (Bruce Dickinson, Steven Wilson, Steve Hackett) an, den Bandnamen ein für allemal fest im Genre zu verankern. Womit? Mit einem der besten Prog-Rock-Alben des Jahres.

Rauschen leitet "Life In The Wires" ein, eine Stimme fragt "can you hear me?" Es folgen verspielte Klänge, die an eine Spieluhr erinnern. Das Intro "Skywaving" beginnt melodramatisch: "Can you hear me? So I wait. Lying still with dust in my eyes. All through these years. Dreaming of the day we will fly." Nach knapp zwei Minuten ballert es richtig los, wenn Schlagzeug, Bass und Gitarre dem Hörer verfrickelte Breaks um die Ohren hauen, ehe die Uptempo-Nummer "Life In The Wires, Pt. 1" durchstartet. Die scheinbar wahllos gesetzten Rhythmen sind eigentlich ein Morse-Code. Zusammengesetzt ergibt das die Eingangsfrage "Can you hear me?".

Ein Konzept-Album haben Jem und seine Kumpels mit "Live In The Wires" auf die Beine gestellt, das sich um die Figur des 'Naio' dreht, der in einer dystopischen Welt ein altes Radio findet und daraus eine Stimme vernimmt, der er nachgeht und Freiheit, Geborgenheit etc sucht. Der Name der Heldenfigur ist ein Anagramm von 'Aion', was unter anderem für die griechische Gottheit der Ewigkeit steht. Neben diesem erzählerischen Überbau servieren uns Frost* auch noch knapp 90 Minuten Musik. Auf Tonträger sind das vier LP-Seiten oder zwei CDs. Hört man sich die 14 Nummern in einem Rutsch als Stream oder Files an, merkt man gar nicht, wie viel Zeit hier an einem musikalisch kurzweilig vorbeifliegt.

Noch ehe man sich versieht, klimpert Jem in "This House Of Winter" eine vermeintlich hübsche Klavierballade, ehe John Mitchell im Mittelteil ein wirklich unfassbares Solo aus dem Ärmel schüttelt - hier werden instrumental alle Register gezogen. Ohne Unterbrechungen zwischen den Tracks nehmen Frost* den Hörer auf eine akustische Reise mit, die in ihrer ausufernden Opulenz und gleichzeitig logischen Abfolge einfach nur fasziniert. Am Ende der fast eineinhalb Stunden fragt man sich wirklich, wo die Zeit geblieben ist. Noch einmal von vorne? Auf jeden Fall!

"Evaporator" markiert Naios Ausbruch aus seinem alten Leben auf der Suche nach einem neuen, das ihm seine Sehnsüchte erfüllt. Wenn man unbedingt ein Highlight auf dem ersten Part heraus suchen möchte, bittesehr: Stakkato-Geklimper auf dem Piano, untermalt mit dräuenden Klängen aus den Keys bilden die Vorhut, ehe die komplette Instrumental-Fraktion mit einem Knall nach vorne stürmt. Jems engagierter Gesang mündet in einem fabelhaften Höhepunkt: "you're a plastic god". Wieder veredelt Mitchell mit doppelläufigen Leads das ausgefeilte Arrangement des Keyboarders.

Lobenswert sind neben den technischen Fähigkeiten der Musiker auch der transparente Sound und die deftige Präsenz des Tieftöners mit seinen wunderbar ausgetüftelten Bassläufen. "Absent Friends" markiert einen wunderbar pathetischen Abschluss der ersten Disc, der sogar mir als konsequentem Balladen-Verächter ein Tränchen ins Knopfloch treibt.

Ohne Gefühlsduselei startet dann der zweite Part. Vertrackt rhythmisiert die Gitarre in den stampfenden Rhythmus hinein, untermalt von allerlei breitwandigen Keyobardflächen. "School (Introducing The All Seeing Eye)" steht für des Helden Gegenspieler, gefolgt von "Propagander" mit satten Gitarren und, einziger Kritikpunkt am Album, cheesigen Keyboard-Fanfaren.

Verzweiflung macht sich bei Naio breit, wenn er in "Sign Of Life" ein Lament anstimmt, dass seine Suche wohl vergebens war. Ein Happy End scheint nicht in Sicht, die Stimme aus dem Radio hat sich als leere Versprechung entpuppt: "I was hoping that I'd find a sign of life. I'm hoping that I'll find a sign of life but you are just a sirene. Nothing but a sirene".

Einen Helden kann das aber nicht daran hindern, trotzdem seinen eigenen Weg zu gehen. Zu optimistischen Klängen heißt es deshalb im anschließenden "Moral And Consequences": "End transmission, time to go now." Abfahrt! Brillant wieder die schönen Solo-Einlagen von Keyboard und Gitarre.

Umfangreiches Gegniedel liefern Frost* auch mit dem letzten Track "Life In The Wires Part 2", wenn sie schon fast Dream Theater Konkurrenz machen. Atmosphärisch bricht sich eine sonnigere Stimmung Bahn. Der Protagonist fühlt sich als tragischer Clown, der dem Publikum noch einmal zuwinkt und dann seinen Weg weitergeht. Im Mittelteil erinnern Godfrey und Co. fast ein wenig an Toto. Das von Pianoklängen eingeleitete "Starting Fires" trieft im positiven Sinne vor Pathos und beschließt ein Werk, das in sich geschlossener kaum sein könnte. "Live In The Wires" ist ein Trip der Extraklasse und sollte im Prog-Genre in jeder Jahresendabrechnung auf den Spitzenplätzen rangieren. Bravo!

Trackliste

CD 1

  1. 1. Skywaving
  2. 2. Life In The Wires, Pt. 1
  3. 3. This House Of Winter
  4. 4. The Solid State Orchestra
  5. 5. Evaporator
  6. 6. Strange World
  7. 7. Idiot Box
  8. 8. Absent Friends

CD 2

  1. 1. School (Introducing The All Seeing Eye)
  2. 2. Propergander
  3. 3. Sign Of Life
  4. 4. Moral And Consequences
  5. 5. Life In The Wires, Pt. 2
  6. 6. Starting Fires

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