laut.de-Kritik

Mit Jekyll und Hyde im Wilden Westen.

Review von

"Die Glorreichen Sieben" eroberte Ende September auf Anhieb die Spitze der Kinocharts, HBOs neue Serie "Westworld" sitzt im rasenden Hype-Train, und im Wagon gleich dahinter hockt Rockstar Games, die mit der Ankündigung von "Red Dead Redemption 2" die Zockerherzen weltweit zum Infarkt trieben. Keine Frage: Das Westernsetting zieht.

Diese Erkenntnis hat es offenbar bis ins beschauliche Saarbrücken geschafft: Nach Horrorclowns, Aliens und Samurais heißt der Dresscode zur Mottoparty des fünften Albums von Genetikk: Cowboyhut und Revolverhalster. Wer allerdings auch schon die letzten Feten von Karuzo und Sikk besucht hat, der packt besser Pfeil und Bogen ein, steckt sich eine Feder ins Haar und begrüßt jeden Partygast mit wildem Kampfgeschrei: "Fukk Genetikk" zelebriert mal wieder den Außenseiter-Status und schlägt sich im Wilden Westen natürlich auf die Seite der Indianer: "Ich hab das Herz eines Wilden. Schrei' es in die Welt, weil ich frei wie der Wind bin. Ich hab die Geister mit mir. Tanz' mit dem Feuer, tanz' mit dem Feuer!"

Wie schon seine Vorgänger tritt auch Genetikks fünfter Streich von Kopf bis Fuß durchgestylt auf den Laufsteg: Videos, Artwork, Sound – fast verleitet das scheinbar runde Gesamtbild dazu, das eigentlich Wichtige auszublenden. Ja fast lullt Sikk mit seinen erhabenen Produktionen so sehr ein, dass gar nicht mehr wichtig zu sein scheint, was Karuzo mit seiner kratzigen Stimme so einwandfrei über die Beats flowt. Rappte dieser, wie teilweise auf "Mata Cobra", ausschließlich portugiesisch, liefe die Platte bei mir wohl rauf und runter. Nur leider spittet Karuzo auf deutsch, ich verstehe jedes Wort, und jeder weitere Durchlauf bekräftigt die These: "Fukk Genetikk" ist ein Album voller Widersprüche.

Wie auch schon auf "Achter Tag" pendelt Karuzo zwischen zwei Polen: Mal ist er als Dr. Jekyll auf Weltverbesserungstour, schimpft gegen den bösen Kapitalismus und weiß, was wirklich zählt: "Es geht nicht darum, wie reich du bist. Wahres Glück kommt aus dir selbst, es kommt von innen. Füll ihn einmal, dieser Brunnen wird dein' Durst für immer stillen könn'". Dann wiederum mutiert er ohne jegliche Vorwarnung zum geldgeilen Mr. Hyde, dessen Lieblingshobby das Scheine zählen ist: "Und es ist wahr: Geld schläft nicht / Tote Präsidenten zähl' ich ewig / Alles bunt, die Welt dreht sich / Die letzte Runde geht auf Genetikk."

Dieser Sprung passiert so plötzlich und ohne jedwede kritische Distanz, dass alles vorher Gesagte schlichtweg an Glaubwürdigkeit verliert. So wirkt eben auch die immer wieder aufblitzende Kritik des Big Brothers aus den USA aufgesetzt: "American Dream, brainwash machine." Jeder Außenseiter braucht ein Feindbild, gegen das er aufbegehren kann. Wenn im nächsten Moment aber alle Werte, die zuvor noch verteufelt, plötzlich verkörpert werden, erstickt man die eigene Revolution zwangsläufig selbst im Keim.

Und genau das passiert auch mit Tracks wie "Diamant", die beweisen, dass in Karuzo auch ein ganz passabler Storyteller steckt: Der Deutsch-Italiener verwebt die verschiedenen Stationen eines Blutdiamanten zu einer Geschichte, die funktioniert. Schade eigentlich, dass derlei positive Ausreißer im Sud der restlichen, kaum auseinander zu haltenden Songs untergehen: Ob nun "Trill", "TeenSpitit", oder "Saint Laurent" - immer wieder wärmt Karuzo die alte Leier vom Drogendealer auf, der jetzt die goldenen Platten an der Wand hängen hat.

Zu solch nichtssagenden Songs, die Karuzo mit seinem durchgängigen Gefasel von Rothäuten, Pfeilen und Friedenspfeifen fast zu einem verschmelzen lässt, gesellen sich dann noch unnötige Peinlichkeiten, wie der obligatorische Track für die Girls: "Baby ich steh drauf wenn du versaut bist. Du brauchst dich nicht zu schämen, wenn diese Schlampe aus dir raus will."

Und ich muss mich nicht schämen, dass ich Genetikk ernsthaft einmal als eine der vielversprechendsten Crews in hiesigen Gefilden wahrgenommen habe. "Voodoozirkus" und "D.N.A." sind nämlich auch heute noch verdammt gut, haben aber leider wenig mit ihren Nachkömmlingen gemein: Da verzeiht man Karuzo auch Vergleiche wie "Ich hab mehr Kobe-Fleisch als Kobe Bryant" nicht mehr. "Fukk Genetikk" – der Name ist Programm.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Peng Peng
  3. 3. Jordan Belfort
  4. 4. Cash Oder Liebe
  5. 5. TeenSpirit
  6. 6. Fukk Genetikk
  7. 7. Mata Cobra
  8. 8. Tote Präsidenten
  9. 9. C'est La Fukkin' Vie
  10. 10. Trill
  11. 11. Goyard
  12. 12. Spicy Tuna
  13. 13. Diamant
  14. 14. Zombies (feat. A$ap Nast)
  15. 15. Saint Laurent
  16. 16. Luzifer (feat. Joy Denalane)

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