laut.de-Kritik
Was soll jetzt noch kommen?
Review von Alexander CordasEin neues Album von Goldfrapp gleicht jedes mal einer Wundertüte. Seit "Felt Mountain" legen Alison Goldfrapp und Will Gregory eine musikalische Neugeburt nach der anderen hin, ohne dass die Qualität deutlich abfallen würde. Zwar war das letzte Werk "Head First" nicht der erwünschte abermalige große Wurf, aber eine Stagnation auf derart hohem Niveau muss man trotzdem erst einmal hinbekommen.
Dass das kongeniale Duo mit diesem Output nicht ganz zufrieden war, drückt auch die erneute Neuausrichtung auf "Tales Of Us" aus. Düster wie lange nicht mehr präsentieren sich Goldfrapp auf ihrem mittlerweile sechsten Album. Die große bange Frage, die nun im Raum steht, lautet: Erreichen sie ungefähr wieder das Level ihrer Großtaten? Die lapidare Antwort: ja.
Auf dem Debüt war man ob der Macht und Größe von Songs wie "Pilots", "Human" oder "Utopia" vor Ehrfurcht ergriffen. Das Zusammenspiel aus Will Gregorys Sounds und Alison Goldfrapps Vokalakrobatik erlangte eine Genialität, die in der Folge nur schwer zu toppen war. Und nun legen sie ein Album vor, dass diesen Spirit fast eins zu eins wiederholt.
Alison singt einmal mehr derart emotional, dass man niederknien möchte. Der sanfte Beginn mit "Jo" ist bereits ein Höhepunkt für sich. Unwiderstehlich aber sachte zieht ihr Gesang den Hörer in das Album hinein. Ein nur kurz einsetzender rückwärts geloopter Streicher-Teppich bereitet den Boden. Kontrabass und Piano übernehmen, ehe die Dame anfängt zu singen. Da ist sie wieder, die Gänsehaut die einem unmittelbar den Rücken hoch und runter kriecht. Fast mutet der Opener wie eine Skizze an, so wenig passiert zunächst instrumental. Allzu viel ändert sich am Klangbild tatsächlich nicht mehr und so zieht der Track einem nebulösen Kurzfilm gleich am Hörer vorbei: Willkommen im Film Noir "Tales Of Us".
Der eigentliche Start ins Album erfolgt erst mit "Annabel". Alison singt eine schier endlos melancholische Melodie, das einem schon beim ersten Hören der Mund offen stehen bleibt. Die vokale Brillanz von Frau Goldfrapp erreicht neue ungeahnte Höhen. Mit einem Schmelz in der Stimme, der seinesgleichen sucht, haucht sie die Töne ins Mikrofon, dass man ob der fragil erscheinenden Schönheit kaum zu atmen wagt. Will Gregory muss diese Magie gespürt haben, als er sich an die musikalische Ausgestaltung machte. Hier sitzt wirklich jeder Ton perfekt an seinem Platz. Er erschafft ein klingendes Gemälde nach dem anderen, in das Alison mit genialen gesanglichen Pinselstrichen die nötigen farblichen Nuancen setzt.
Elektronik als stilistisches Ausdrucksmittel kommt zwar vor, hält sich aber überaus dezent im Hintergrund, so dass "Tales Of Us" organischer und analoger klingt als jedes Album zuvor. Lediglich "Thea" bricht aus dem reduzierten Muster aus, aber wie: Sanft stampfende Sounds, Fußstapfen gleich, bilden den rhythmischen Hintergrund, ehe der Bass der Chose einen etwas drängenderen Charakter verleiht. Wiederum ist es jedoch diese Frau, die dem wunderbar schiebenden Track mit ihrer unfassbaren Stimme die Krone aufsetzt. "Tender and torn, won't leave you now, wanted you so bad" entschwindet sie im Mittelteil in ätherische Welten. Dabei verschluckt sie gerne Buchstaben und sogar manches Wort, so dass keine Ecken und Kanten im Vortrag den Fluss der Melodie stören. Ein Traum.
Der Großteil des Albums baut auf akustische Gitarren, Streicher, Piano und Gesang. Mehr bedarf es nicht, um ein faszinierendes Szenario nach dem anderen in die Hirnrinde des Hörers zu projizieren. "Stranger" eignet sich einmal mehr als Bond-Song. Es stellt sich ohnehin die Frage, wann der Zeitpunkt endlich kommt, an dem Gregory und Goldfrapp jenen Ritterschlag tatsächlich erhalten. Dieses Fan-Wunschdenken hat es ja nicht umsonst schon einmal in die Schlagzeilen geschafft.
In "Laurel" beweist Alison ein weiteres Mal ihre Wandlungsfähigkeit, wenn man sich zu Beginn fragt, welche Gastsängerin denn hier ihre Visitenkarte abgibt. Dieser Track ist instrumental wohl dem Debüt am nächsten.
"Clay" leitet "Tales Of Us" in einer gekonnten, aber unspektakulären Weise aus. Nach der Qualität des dargebotenen Materials hätte sich ein wagnerianischer Wahnwitz-Abschluss mit Pauken und Trompeten zwar angeboten, ist aber nicht zwingend notwendig. Für Alison und Will scheint sich der musikalische Kreis zu schließen, der 2001 seinen Anfang nahm. Und einmal mehr fragt man sich, was hiernach jetzt noch kommen soll.
15 Kommentare mit 4 Antworten
zum Beispiel die Rezension, wenn man auf den Link der Titelseite klickt?
Ah jetzt, ja!
Auch für mich das ergreifendste Goldfrapp-Album seit "Felt Mountain". Wäre ich ein ignoranter Pfosten, würde ich sowas sagen wie: "Alison brauchte fast 14 Jahre, um dorthin zu kommen, wo sie Will Gregory schon 1999 sah..."
Aber quatsch, mir gefallen auch viele Songs der anderen Alben, und "Seventh Tree", neben "Felt Mountain", auch als ganzes.
Die Rezi trifft da schon einige richtige Punkte - Es wirkt wie das letzte Glied, um den musikalischen Kreis zu schließen, das musikalische Fundament für einen modernen film noir. Alison bleibt unangefochten das Chamäleon des Popzirkus.
Bin gespannt, Goldfrapp war schon immer mein Ding.
kaum zu glauben, "Felt Mountain" und "Head First" hatten schließlich auch nur 9 Tracks.
Nun, nur weil ich von Künstlern erwarte, dass sie mindestens mal 12-18 Tracks auf Ihre Platte packen heißt das nicht, dass ich die Platten mit weniger Tracks deswegen nicht zu schätzen weiß, whut.
Wird ein Blindkauf. 5/5
Bin der Meinung vom Rezensenten. Großartige Scheibe. Lediglich Alison's Gesang war auf Felt Mountain (und anderen Platten) schon mal besser. Ich vermisse einfach ihren sehr hohen Gesang - den gibt es auf dieser Platte weniger.
Teuer produzierte Einschlafmusik... esoterischer Crap, mit dem ich nichts anfangen kann. Frag mich gerade, wer dazu seinen Brennesseltee unter der Wolldecke vorm Kamin schlürft und sich danach in der Badewanne die Pulsadern aufschlitzt...?
Fand das Album anfangs unglaublich (mit drei Ausrufezeichen dahinter) langweilig und eintönig, dass ich mich gefragt habe, wie es möglich ist, dass Menschen sich so einen - sorry - drögen Schnarrn anhören können. Dann, sehr viel später, habe ich mir das Album als letztes aller Goldfrapp-Platten zugelegt. Ja, was soll ich sagen: grandios melancholische Soundlandschaft, die etwas reifer und erwachsener wirkt, als die vorherigen Songsammlungen des britischen Duos. Aber immer noch genügend "Goldfrapp" enthalten ist, als dass der für das Duo bekannte Stil in den Müll flöten geht. Vielleicht erst einmal ein wenig langweilig anmutend, andererseits auch gewohnt konsequent durchgezogen. Wertung: sehr solide 3/5 Sternen.