laut.de-Kritik
Die Grande Dame des deutschen Traps tischt auf.
Review von Anastasia HartleibDie Grande Dame des deutschen Traps tischt im noch ziemlich jungen 2018 ordentlich auf. Mit Majorlabel im Rücken droppt Haiyti nun ihr erstes offizielles Album. Wieder einmal: Eigentlich sollte schon "Follow Mich Nicht" als Debüt gelten, wurde kurzerhand aber doch noch zum Mixtape degradiert. Dass Haiyti es diesmal ernst meint, merkte man schon an der Promophase: Die existierte nämlich tatsächlich. Satte drei Monate im Vorfeld wurde bekannt, dass diesen Jänner "Montenegro Zero" ansteht.
Dem eingefleischten Haiyti-Fan verengt sich da gleich die Magenhöhle. "Sell Out!" "Kapitalistische Schweinerei!" "Das versaut doch die ganze Kunst!" So schreit der kopfinterne Wutbürger. Eigentlich macht ihre unvermittelte Spontaneität einen Großteil von Haiytis musikalischer Wirkung aus. In der Tat hätte "Montenegro Zero" durchaus mehr Wucht, wenn nicht schon seit Anfang November bekannt wäre, dass es existiert. Wie das eben so ist, mit dem Überraschungseffekt.
Diese Tatsache ändert jedoch nichts daran, dass das jetzt nun tatsächlich wirklich richtig erste Album ziemlich ins Ohr geht. Wie schon die Singles ahnen ließen, gerät der Langspieler deutlich poppiger als Haiytis bisherige Releases. Zwar spielte die Pop-Note schon immer eine gewisse Rolle in ihren Songs, doch so viel Raum wie auf "Montenegro Zero" hatte sie noch nie - und sie steht ihr verdammt gut.
Klassische Dancehall-Vibes wie auf "100 000 Fans" schmiegen sich an eiskalte Trap-Schneestürme, die wiederum mit süffigen Pop- und R'n'B-Nummern den Engtanz üben. Dass dazwischen auch ein Wave-Beat Platz hat, erscheint in diesem irren Chaos vollkommen logisch.
Haiyti mischt frische Inspirationen mit altbekannten. Ihr Alter-Ego Robbery ist mittlerweile ein fester Bestandteil: Das Gangster-Leben zwischen Cash-Money, fetten Karren und Drive-Bys im Kugelhagel bekommt ausreichend Platz. Mit lässiger Abgebrühtheit erzählt sie von ihrem "Mafioso"-Onkel, der scheinbar der Grund dafür ist, dass wegen ihres Namens Blut fließt und der Moneyclip zu breit für ihre Bluejean ist. Du musst wissen: "Die Kleine macht jetzt Kasse."
Auch schmachtendes Zerfließen aufgrund sweeter Boys kommt bereits bekannt vor. Für den, der die Zigaretten raucht wie James Dean, macht Haiyti einen "Sunny Driveby" und schenkt ihm einen der stärksten Songs des Albums: "Gold". Der sanfte, im selben Moment allerdings ziemlich dynamische Beat gibt den perfekten Schlagtakt zum Herzausschütten vor.
Das schafft die Hamburgerin, wie immer, irgendwo zwischen eisiger Härte und der Zerbrechlichkeit einer Porzellanpuppe: "Die Hand voller Stempel ist normal, alles andere als sober / suche dich auch in den dunkelsten Straßen, die Tränen, sie glitzern / bin wieder auf Party." Dazu eine Hook, die sich einmal quer über die Hirnrinde brennt. Soweit alles wie immer, also.
Neu allerdings sind die wirklich eindeutigen Bekenntnisse zum Dancehall. Selten sing-sang-te Haiyti so melodisch über Rhythmen, auf denen Busy Signal locker den "Moneytree" schütteln könnte - wie in "Bahama Mama". Dass KitschKrieg wieder einmal die arrangierende Feder in der Hand halten, muss man eigentlich nur noch der Vollständigkeit halber erwähnen.
Spannend auch: der gemeinsame Ausflug in die Wave-Szene. Auf "Berghain" erscheint Haiytis Flow einerseits den platten, aus dem Rhythmus klatschenden Stil eines Frauenarzts zu imitierten, gleichzeitig aber das Flair von anfänglichen NDW-Songs aufzugreifen. (Für die Freunde des schlechten Geschmacks: Nein, nicht das von Fler. Bildet euch, verdammt!)
Zugleich gibt sich die Trap-Queen aus dem hohen Norden zunehmend gesellschaftskritisch. Während sie in "Berghain" die wilden Storys aus ebenjenem von den Lisas und Jonasen dieser Welt anzweifelt, prangert sie in "Serienmodell" zu einem schnuckeligen Dudel-Beat die Gleichförmigkeit aller an: "Ich bin ganz anders, ganz speziell / ich bin ein Serienmodell / wenn ich komm', komm' ich bestellt / und jeder Mensch kennt meine Welt."
Noch härter an die Schmerzgrenze geht sie in "Haubi", einer nüchternen Betrachtung des farblosen Alltags am Hauptbahnhof. "Früher hattest du noch einen Job / jetzt machst du alles für den Stoff / schwarze Tränen, der Mascara tropft / Überdosis und dein Atem stoppt." So emotionslos wie diese Zeilen erscheinen, sie treffen den Kern der Sache mit einer erschütternden Genauigkeit. "Hier kommst du nicht mehr raus, mein Sohn / wie gepfändet und nicht abgeholt."
"Montenegro Zero" kann sich zwar in der Schlagkraft nicht mit ihren bisherigen Relases messen, steht ihnen jedoch in seiner Bandbreite in nichts nach. Haiyti tobt sich wie immer kräftig aus, ohne dass ihr dabei die Luft auszugehen scheint. In ihrer Wandelbarkeit und mühelosen Flexibilität kann ihr hierzulande kaum einer das Wasser reichen. Während sie mit brechender Stimme eine Hook säuselt, lässt sie im nächsten Moment brachial Trap-Türme einstürzen und reicht dazu kritische Beobachtungen unserer Zeit.
Der Pressetext jedoch tut ihr Unrecht, wenn er behauptet, sie gehöre selbst nicht wirklich zu ihrer besungenen Welt dazu, sondern beobachte lediglich. In Wahrheit steht Haiyti mittendrin und ist aus keiner dieser Realitäten wegzudenken. Das macht sie so einzigartig.
23 Kommentare mit 53 Antworten
Wird gehört !
Mal wieder ein Hype, den ich komplett null versteh, ähnlich wie bei Haftbefehl. Ich finde das fast unhörbar... Diese Stimme tut teilweise richtig weh im Ohr.
hafti und haiyti sind halt legit die beiden interessantesten rap artists in deutschland. keine ahnung, dann würde ich vorschlagen, dass du einfach wieder mark forster oder kontra k hören gehst...
haiyti locker einer der wenigen deutschen acts, die einen zu interessieren brauchen
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Auf Krampf Anti und einfach unhörbar
W zudem ack!
Montenegro Zero. Erstmal schicker Titel.
Das oben gefeierte "Mafiosi" mag ich mitunter am wenigsten. Den Streettalk gabs schon besser von Ihr. "Bitches" geht auch in die gleiche Kerbe.
Sonst hat die Dame gehörig aufgetrumpft. Diesmal mit echter Abwechslung. Nicht wie viele Rapper es behaupten (muss ständig an PA's HAZE-Promophase denken, lach). Hier sind verschiedenste Einflüsse da. Auch verdammt viel Pop. Guter Pop:
monacco CODEIN FIRE
Sunny Driveby, POP BANGER
Berghain, ULTRA TECHNO VIBE
American Dream, FEEL GOOD COUNTRY
serienmodell, DANCE POP WAHNSINN
kate moss, 5CM FREIHET
haubi, HB SOUNDTRACK
gold, LIEBESWAHNSINN
100.000 Fans, STAMPF BALLADE
Finde nur Perlen. Deutliche Weiterentwicklung zu den Mixtapes davor. Im Moment mag ich "Gold" und "Haubi" am Liebsten. Letzteres hat die Überhook "Ich schieße eine Taube tot". Herrlich.
Was hat die eigentlich für ein Problem?
Wenn der erste (durch loungige Synths) halbwegs hörbare Track mit Monacco erst kurz vor dem Ende erscheint, weil sie hier mal sowohl den hysterischen Erdbeerwochen"flow" wie auch die Anzahl der Worte auf ein Minimum reduziert, dann ist das nix für mich. Generve auf Albumlänge, verdrugte Texte, die zum Coverbild passen
Im Team mit Trettmann z.B oft durchaus hörenswert, aber das ist mir zu schräg und anstrengend
"Grande Dame"..naja da muss Deutschland wohl noch einiges mehr zu den Staaten aufholen, als die hiesige Journaille es gerne hätte
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Achja und wirklich nix gegen die tollen Produktionen, ich bin ja ein absoluter Fan von Kitschkrieg geworden, aber wenns der Interpret vollends versemmelt, bringts auch weniger