laut.de-Kritik

Kohl'sches 82er-Vokabular samt konservativem Provinz-Charme.

Review von

Was haben wir mit Herbert gelitten. "Mensch", was war das nur für eine tragische Geschichte. Vor fünf Jahren durfte die Öffentlichkeit die Bewältigung der Tragödie bestaunen. Mit dem Vorgängeralbum gab Herbert seinen Fans und denen, die sich einfach so voyeuristisch engagieren wollten, ein vermeintliches Schlüsselloch zur geschundenen Künstler- und Menschenseele an die Hand. Vielleicht konnte die Katharsis auch nur so funktionieren.

Wie meinte der Bochumer doch selbst im letzten Jahrtausend: "Es Bleibt Alles Anders". Wir schreiben das Jahr 2007 und trotzdem hat der Slogan nach wie vor eine scheinbar zeitlose Geltungsdauer. Oder würden wir nicht alle plötzlich vor Erschrecken zusammen zucken, wenn er statt typisch quäkender Stimme auf einmal in tiefem Blues-Bariton zu singen begänne? Herbert baut auf Bewährtes. Das umfasst nicht nur das in leichten Nuancen variierte Klangkostüm, sondern bezieht auch die textliche Seite mit ein. Fortschritt zeigt "12" im Hinblick auf die augenzwinkernde Durchnummerierung der Trackliste. So beraubt er seine Songs zwar eines Teils ihrer Identität, geht jedoch mit CD-Hörern konform, die sich ja ohnehin nur über die Nummern der Songs verständigen.

Auch auf seinem zwölften Album beherrschen sozialkritische Beleuchtungen des Alltagslebens das Programm. Selbstverständlich im ebenfalls bekannten raumgreifenden Pathos, den Grönemeyer so gerne und oft zur Schau trägt. "Lied 1 - Stück Vom Himmel" thematisiert das Verhältnis der Menschen zu Gott (welchen Glaubens auch immer) und das zu Mutter Erde. Massig Streicher-Arrangements, heftig einsetzende - nach japanischen Monsterdrums klingende Schlagzeug-Parts unterstreichen die bedeutungsschwangeren Worte "Ein Stück vom Himmel, ein Platz von Gott, ein Stuhl im Orbit, wir sitzen alle in einem Boot". So hübsch die Melodie auch klingt, man fühlt sich etwas erschlagen vom üppigen Bombast und den sloganartigen Zeilen. Zwar lockert ein flirrender Pianolauf im Mittelteil die Stimmung etwas auf, aber insgesamt fährt Grönemeyer etwas zu viel wagnerianischen Übermut auf.

Wie eine Karikatur dieser barocken Instrumentierung klingt "Kopf Hoch, Tanzen", das dank furztrockener Beats und Retro-Keyboards mit einem hübschen Achtziger-Charme flirtet. Das perfekte Gleichgewicht aus Emotion und Pathos serviert er mit der Gänsehaut-Nummer "Du Bist Die". Glückliche Frau, auf die diese Schmachtballade, diese Ode an die Liebe, dieser Sermon des Glücks, gemünzt ist. Man kann jetzt schon unzählige, weniger wortgewaltige Vertreter des starken Geschlechts vor Augen sehen, die ihre Angebetete vor die heimische Anlage zerren und mit Blumenstrauß bewaffnet zu Herberts Klängen anbeten. Das geht auch okay so.

Trotz aller Ernsthaftigkeit und Moll-Töne macht Grönemeyer das Fenster weit auf: Die Trauer von einst weicht optimistischeren Klängen. "Flüsternde Zeit" ist quasi die Fortsetzung des WM-Songs "Zeit, Dass Sich Was Dreht". Die Party ist vorbei, aber außer ein paar Wochen Eierkuchen kam nicht wirklich was bei rum. Dabei zielt seine Kritik etwas inhaltsleer auf die Regierenden, die die angeblich herrschende Supi-Stimmung in der Bevölkerung nicht in zählbare Erfolge umsetzen kann, inklusive Phrasenschwein-Parolen aus dem Fußball, die die Welt nicht braucht.

Das ist dann doch bedauerlich wenig von einem Sänger, der Scheiße ehedem eindeutig beim Namen zu nennen vermochte. "Ihr steht auf der Bremse, wir wollen die Wende". Was nach Kohl'schem 82er-Vokabular klingt, besitzt eben diesen vermufften und konservativen Provinz-Charme. Ist es das, was Grönemeyer anno 2007 auszeichnet? Ein Schaudern macht sich breit. Wendet sich Herbert jedoch mit seinen Texten simplen Befindlichkeiten zu, ist von derlei schwacher Lyrik nichts zu spüren.

Letztendlich bleibt "12" hinter manchem Album seiner Diskographie zurück, ohne wirklich zu enttäuschen. Einige wirklich hübsche Songs ("Du Bist Die", Spur", "Kopf Hoch, Tanzen") zieht der Sänger aus dem Hut. Genug, um wieder einmal die Stadien der Republik auszuverkaufen.

Trackliste

  1. 1. Lied 1 - Stück Vom Himmel
  2. 2. Lied 2 - Kopf Hoch, Tanzen
  3. 3. Lied 3 - Du Bist Die
  4. 4. Lied 4 - Marlene
  5. 5. Lied 5 - Flüsternde Zeit
  6. 6. Lied 6 - Leb In Meiner Welt
  7. 7. Lied 7 - Ich Versteh
  8. 8. Lied 8 - Ohne Dich
  9. 9. Lied 9 - Spur
  10. 10. Lied 10 - Zieh Deinen Weg
  11. 11. Lied 11 - Zur Nacht
  12. 12. Lied 12 - Liebe Liegt Nicht

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Vor seinen ersten Plattenerfolgen arbeitet er als musikalischer Leiter des Schauspielhauses Bochum und als Filmschauspieler - unter anderem im Welterfolg …

30 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    @rainbow18 (« Ich finde die Kritik an der Platte nicht gerechtfertigt. Soll Grönemeyer weiter in Melancholie an seine Frau schwelgen und nur noch schwermütige Songs singen und schreiben? »):

    Steht das in der Rezi?
    Offensichtlich war der Rezifuddeler doch zufrieden mit dem Album. Es ist halt nicht so gut wie andere Sachen, die Grönemeyer in seiner Discographie hat (würde ich unterschreiben), aber deshalb noch lange kein Reinfall ... Setzt man die Scheibe in Relation zu anderen Alben, würde ich sagen, daß die drei Punkte in Ordnung gehen.

    Kann ja nicht alles wie einst beim Ocean Orchestra sein :D

    Gruß
    Skywise

  • Vor 16 Jahren

    @Screwball (« Wirklich ein gutes Album - Der Anfang ist zwar etwas schwach, bis auf "Stück vom Himmel", aber ab Lied Nr. 5 "Flüsternde Zeit" gehts steil bergauf!

    4/5 »):

    du wirst mir immer sypmhatischer merk ich grad :D

  • Vor 16 Jahren

    Heute früh mal aus dem CD-Schrank gebuddelt und am hören :)
    Also ich finde das Album klasse!!! Also ganz im Sinne von Floor und Screwball :D