laut.de-Kritik
"So ein Pimmel ist doch was Witziges, oder?"
Review von Artur SchulzDer erste Kontakt mit Ina Müllers Doppel-CD/DVD fand an Halloween statt. Eingeklemmt zwischen dem grandiosen Tele 5-SchleFaz "Monster Des Grauens Greifen An" und der früheren Festplatten-Aufzeichnung dieser Reihe ("Perry Rhodan - S.O.S. Aus Dem Weltall"), wollte Ina noch nicht so recht zünden.
Doch auch einen Tag später lässt einen der Auftritt ratlos zurück: Ist das nun ein satirisch-kabarettistisch angehauchtes Programm? Oder handelt es sich um fest verankerte, persönliche Ansichten? Dann nämlich würde das Ganze richtig gut zum Schlefaz passen.
Die Scheinwerfer in der vollbesetzten Flens-Arena flackern, und mit "Wenn Ich Wegguck" eröffnet Ina den Abend. In schwarzer Pluderhose, schwarz-weiß gestreiftem Oberteil und gülden schimmernder Halskette begrüßt sie ihr Publikum mit "Meine Homies, meine Schnullerbacken". Die Angesprochenen danken mit beglücktem Applaus.
Und bevor es so richtig weitergeht, nimmt sie erstmal hautnahe Schnack-Tuchfühlung mit der vordersten Reihe auf: Fortan findet sich das Ehepaar Jürgen und Renate im weiteren Konzertverlauf immer mal wieder im Fokus. Ina Müller ist und bleibt nun mal eine Sabbeltante vor dem Herrn, und lässt ihrer Obsession hier freien Lauf.
Dabei hinterlässt sie mit ihren Aussagen, Sprüchen und Meinungen durchaus mal (in erster Linie) pikierte Herren zurück, wie manche Großaufnahme zeigt. Denn gut kommen die Herren der Schöpfung bei ihr nicht sonderlich weg, oft reduziert auf den kleinen Geschlechterunterschied: "So ein Pimmel ist doch was Witziges, oder?" Naja. "Ina Spricht Übers Fremdgehen" ist randvoll mit tiefergelegten Erkenntnissen: "Ihr guckt den Frauen auf'n Hintern, und denkt: Ooooh, ist das ein Arsch. Wir gucken in euer Gesicht und denken dasselbe".
Denn so ein Spruch, "das schockt auf jeden Fall". Das zu einem Gros aus Ü45iger-Pärchen zusammengesetzte Publikum goutiert derlei allerdings durchaus amüsiert, wie später die Erkenntnis: "Die älteren Frauen werden nicht mehr befruchtet, weil sich die älteren Männer mit ihren Pimmelchen längst in Richtung jüngere Frauen aufgemacht haben". Erklingt nach derlei Passagen dann das pflichtschuldige Gelächter, schiebt sie noch rasch ein unschuldiges "Ihr seid Schweinigels" nach.
Die angeblich wissenschaftliche Erkenntnis, dass Männer "alle 20 Sekunden an Sex denken", darf dann natürlich auch nicht fehlen. "48 Live" lässt den Klischees freien Lauf, und handelt alle (vermeintlichen) Frauenthemen zwischen Handy, Notgeilheit und Zalando zügig ab. Doch nicht vorschnell urteilen: Müllers Schwanzfixierung hat womöglich einen ernsten Hintergrund. Den erläutert sie ausufernd in der Passage: "Ina Redet Über Wallungen". Sprich, die Wechseljahre. Wenn das limbische System durchdreht, gilt es, Frauen allerlei nachzusehen. Wie etwa die Beschäftigung mit Philosophie ("Ina Redet Am Flügel"): "Wenn Schwimmen schlank macht, warum sind Wale dann so fett?"
Hat die Künstlerin das Thema Beziehungen am Wickel, findet sich keine, die glücklich ist (oder war). Entweder gibt's Seitensprünge, der Kerl ist weg/doof/unbedarft, und das alles ist eh "Drei Männer Her". Dann schwadroniert sie auch noch "Über Sex", "Über Essen Und Die Folgen", "Über Ihre Kindheit", und spricht "Mit Sarah Jane Und Ulla", die an diesem Abend den Part der Backgroundsängerinnen übernehmen. Richtig - es ist ja eigentlich ein Konzert, und Musik findet neben all dem Gedöns auch noch statt.
Die musikalische Umsetzung von Songs aus den bisherigen Alben gestaltet sich solide-professionell, und recht handzahm. Niemand muss Gefahr laufen, von womöglich extremen Soli oder unerwarteten Neuinterpretationen geliebter Titel verschreckt zu werden. Die Griffe in abgeschmackte Mario Barth-/Stefan Raab-Kisten während der Erzähl-Passagen schmälern den Gesamteindruck allerdings erheblich.
"48 Live" eignet sich wahrscheinlich vorzüglich für regelmäßige Leserinnen von Frauenzeitschriften, für Enddreißigerinnen, die das Klimakterium fürchten, oder generell für am Leben leidende Mütter und deren mitleidende Lebensabschnittspartner. Und wehe, man bezichtigt mich hier der Verwendung diskriminierender Klischees.
8 Kommentare mit 7 Antworten
Sehr anstrengende Frau, die so subtil ist wie ein Bohrhammer.
Och das ist ja ne verdammt "freche Frau", aber ich glaube da wurde schon genug gelästert.
Ist halt Zielgruppenmusik und die Zielgruppe sind mittelspießige Frauen Ü 40 mit Desigual Klamotten. Muss man nicht wertend verstehen.
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
Kenn' weder Musik noch Bühnenprogramm, aber die Rezension lässt mich erschaudern. Und ich will auch ganz sicher nicht mit Ina Müller im Fahrstuhl stecken bleiben.
Aber: An und für sich find' ich die ganz sympathisch. Versteh' nie so ganz, warum die so viele unmöglich finden.
Die Berufsjugendliche lässt die Milf-Station ausfallen und schreitet übergangslos ins Gilf-Gebiet. Sodi, wäre die noch was für ne späte Stunde voller Marille und düsteren Ecken? Oder hört der Spaß da schon auf?
Auf einem Gitterbett 3*3 m mit Handschellen weich auf eine Latexmatraze fesseln und großen Knebel für das lose Mundwerk. Rammstein "Ich tu dir weh!" per Apple Ipod und gescheitem Sennheiser bei ihr auf die Ohren. Ganz langsam entkleide ich mich, ca. 3:58 min. So lang läuft zumindest das Rammsteinvideo auf der 5*3 m Leinwand. Ok den Rest überlase ich euch. Eins noch:
" "48 Live" eignet sich wahrscheinlich vorzüglich für regelmäßige Leserinnen von Frauenzeitschriften, für Enddreißigerinnen, die das Klimakterium fürchten, oder generell für am Leben leidende Mütter und deren mitleidende Lebensabschnittspartner. Und wehe, man bezichtigt mich hier der Verwendung diskriminierender Klischees. "
Ausdrücklich unterschreibe ich das nicht.
Die Idee klingt jedenfalls nicht unkreativ! Hat was theatralisches!