laut.de-Kritik
The Legacy of the Bassist.
Review von Yan VogelEs erscheint einfach, "Senjutsu" entweder in den Himmel zu loben oder über die Klinge springen zu lassen. Schwieriger wird es, sich unbefangen der mittlerweile 17. Studioplatte von Iron Maiden zu nähern. Zu übermächtig thronen die glorreichen sieben Alben der Achtziger über dem Schaffen der Band. Ob man nun der Losung seit "Brave New World" folgt oder nicht. Maiden haben sich immer wieder latent neu erfunden. Dennoch bleibt die Frage bestehen: Firmiert die in der Summe überlange Laufzeit der Platten unter dem Etikett Prog/Metal - oder kann das einfach weg?
Das Cover zeigt, wie auf dem Vorgänger, Maskottchen Eddie als Einzelkämpfer, nur holte sich die Band diesmal Inspiration aus dem Land der aufgehenden Sonne. Die Zähne lassen auf jahrelange Verweigerung jedweder Mundreinigung schließen. Die Number Of The Discs lautet erneut zwei. Warum es, wie "The Book Of Souls", aber ein Doppelalbum sein muss, bleibt offen. Die Spielzeit auf "Senjutsu" liegt mit 80 Minuten noch deutlich unter der von "Book Of Souls". Zudem wirkt sich der Albumtitel wenig auf das Gesamtkonzept aus. Maiden übersetzen "Senjutsu" frei als "Taktik und Strategie". Insofern passt ein Titel wie "Stratego" durchaus ins Bild. Musikalisch verweisen einzig die Drum-Rolls im Opener auf Taiko-Drums.
Wer das Werk der Eisernen Jungfrauen ausgiebig kennt, benötigt für "Senjutsu" keine Anlaufzeit. Die Melodien drehen bereits nach wenigen Durchläufen ihre Endlosschleife im Gedächtnisapparat und entwickeln ein biestiges Eigenleben. Die Platte klingt einerseits spontan, gleichzeitig sind bei der Produktion mehr Details zu hören als bei den Vorgängern. Diesmal lässt die britische Legende um Produzent Kevin Shirley mehr soundtechnische Spielereien einfließen. Im Resultat klingt die bereits im Frühjahr 2019 in Paris aufgenommene Platte zwar roher als die Aufnahmen zu Zeiten von Martin Birch. Einige Effekte auf den Gitarren, man lausche nur den Soli in "Lost In Lost World", führen den Hörer direkt zu "Somewhere In Time" oder "Seventh Son".
Gerade der Gesang ist ziemlich cool umgesetzt, sei es mit entsprechenden Backings oder dezenten Effekten. Die Verteilung der Gitarren-Parts im Soundpanorama gelingt sehr ansprechend. Insbesondere bei den Soli hat sich jeder der drei Musketiere gehörig ins Zeug gelegt. Neben dem geschmeidigen Dave Murray und dem präzisen Adrian Smith überzeugt diesmal auch Jannick Gers mit seinem impulsiven Ansatz, ohne groß aus der Rolle zu fallen.
Die beiden Gers-Songs gefallen aufgrund der Verspieltheit und der leichten Folk-Attitüde. "Stratego" fährt jedes Trademark der Band auf. Einzig die Oho-Chöre fallen hinten runter. Die hochfrequenten Keys im Refrain klingen wie die Chipmunks, die sich am Ghostbusters-Theme versuchen. Rätselhaft, warum die Sounds und das Timing wirken wie die billigen Plugins eines ekstatischen Alleinunterhalters, der die alkoholisierte Dorfgemeinschaft beim Schützenfest aufs Halali einschwört. "The Time Machine" ist mit seinen sieben Minuten äußerst abwechslungsreich, auch wenn die Gers-Nummern "The Legacy" von "A Matter Of Life And Death" und "The Talisman" von "The Final Frontier" unerreicht bleiben.
Den Abschluss von "The Book Of Souls" bildet bekanntlich das siebzehn-minütige Opus Magnum "Empire Of The Clouds" aus der Feder von Dickinson. Möglich, dass Harris sich das hoch gelobte Epos seines Sängers zum Vorbild genommen hat, um seinen eigenen Stücken Profil und Kontur zu verleihen. In Sachen Quantität ist er seinem Fronter zunächst voraus. Für vier Stücke zeichnet das Gründungsmitglied verantwortlich. Die letzten dreißig Minuten Spielzeit gehen zudem gänzlich auf das Konto des Bassisten. Die Frage, ob die nun zusammenhängende Kompositionen darstellen oder doch nur lose Ideensammlungen abgeben, muss jeder für sich beantworten. Der Bandleader ist ein Punk im Prog-Pelz, der bei allem Gestaltungswillen stets impulsiv zu Werke geht. Ein wenig Angst kommt beim bloßem Blick auf insgesamt vierzig Minuten Harris-Longtracks schon auf. Die erweist sich als nicht ganz unbegründet. "Lost In A Lost World" und "Hell On Earth" gefallen, "Death Of The Celts" besticht zumindest mit einem ansprechenden Instrumental-Mittelteil. "The Parchment" langweilt hingegen.
Selbstredend lehnt sich das Sextett auch in Sachen Songwriting an die glorreiche Vergangenheit an. "Death Of The Celts" atmet den würzigen Kilt-Geruch von "The Clansman". Der Mittelteil hingegen schlägt eine Brücke zu "Rime Of The Ancient Mariner". In seiner wilden Kombination wirkt der Song zerfahren. Wenn sich nach sechseinhalb Minuten die Synthies auftürmen und mit dem Bass in eine Art Call-And-Response-Part treten, dann klingt das nicht nur komisch, sondern ist so. Für "The Parchment" lautete der passendere Titel "The Schnarchment". Hier eiern Maiden unmotiviert durch 13 Minuten kostbare Lebenszeit. Daran ändert auch der an den legendären Bandklassiker "Iron Maiden" erinnernde Stolper-Break zum Ende hin nichts. Die Rainbow/Dio-Schlagseite mit den phrygischen Melodiewendungen hat die Band in "The Nomad" oder dem unsterblichen "Powerslave" bereits deutlich stärker umgesetzt.
The Legacy Of The Bassist führt immerhin zu zwei starken Longtracks: "Lost In A Lost World" beginnt mit Lagerfeuer-Romantik. Eine gewisse "Lady In Black" schwingt bei den Chören und der Akkordprogression ihre Hüften im Takt. Neben Uriah Heep wabert auch ein The Moody Blues-Vibe übers Schwarzmoor. Geschenkt, das Intro transportiert Stimmung und baut die Spannung auf, die sich im energetischen Backbeat von Nicko Mc Brain entlädt. Der Refrain mag textlich limitiert gestrickt sein. Immerhin besteht er aus mehr Zeilen als dem Songtitel. Melodisch und rhythmisch atmet er den Geist von "Brave New World". Der Mittelteil drückt ein wenig aufs Tempo. Der Twinguitar-Vortrag ist im Stile einer Nummer wie "Sign Of The Cross" gehalten. In den Soli packt Davey Murray den Synthesizer aus.
"Hell On Earth" beschließt die Platte würdevoll und mit einer Energie-Leistung im letzten Drittel mit den krönenden Zeilen: "Love in anger, love in danger." Der Einstieg mit Bass, Synths und zarten Gitarren-Tupferln hat eine starkes "Fear Of The Dark"-Feeling. Die ersten vier Minuten bleiben instrumental. Die Themen der Strophen und des Refrains intoniert die Band, bevor Dickinson das Zepter übernimmt und durch den Song führt. Gerade dessen Gesangsvortrag verdient gesondert Betrachtung. Der 63-Jährige hat weder Charisma noch Timbre verlernt. Ein wenig tiefer liegt das Register, was seiner Darbietung sowieso entgegenkommt. Auf die gepressten Spitzen verzichtet er vollständig. Einzig die vielen Worte seines Bandchefs bringen ihn an seine Grenzen.
"Days Of Future Past" steht in der Tradition der kurzen, schmissigen Singles der Vergangenheit wie "The Wicker Man", "Different World", "Speed Of Light" oder "Wildest Dreams" und trägt unverkennbar die Handschrift von Adrian Smith. Eben jener Smith zeichnet einmal in Kollaboration mit Harris und dreimal mit Dickinson für die ungewöhnlichsten Momente verantwortlich - und klingt dabei mit Ausnahme von "Days Of Future Past" so gar nicht nach Smith. Der getragene Titelsong, das balladeske "Darkest Hour" und vor allem die bluesige Single "The Writing On The Wall" überraschen hingegen sehr positiv. Die von Churchill handelnde Ballade "Darkest Hour" beginnt mit Meeresrauschen. Gut, Smith ist passionierter Angler, insofern nimmt man ihm das ab. Danach breitet sich eine düster-melancolische Inszenierung aus, die auch auf einer Dickinson-Solo-Scheibe einen guten Platz gefunden hätte. "The Writing On The Wall" mit seinem blueslastigen Einstiegsriff markiert die ungewöhnlichste Single seit "The Reincarnation Of Benjamin Bregg". "Senjutsu" ist ein verdoomt guter Einstand, getragen und wuchtig kündet er von Siegern und Verlieren eines Kampfes, ohne das blutige Geschehen zu verherrlichen.
"Senjutsu" lebt von seiner Stringenz. Erstmals seit "Powerslave" tritt Dave Murray nicht als Songwriter auf, Harris hingegen hat seit Blaze Bailey-Zeiten nicht mehr so viel im Alleingang geschrieben. Dies geht zwar auf Kosten der Vielseitigkeit, andererseits wagen sich Maiden mit Smith und Dickinson immer wieder in untypische Gefilde vor. Dass die Platte locker 20 Minuten weniger Spielzeit benötigt hätte, betrifft im Prinzip alle Scheiben seit der Reunion. Genügend erhabene Schnappschüsse für das heimische Poesiealbum findet jeder Fan auf dem Album. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Achtziger-Relikten geht die größte Metalband des Universums noch immer weiter mutig Wagnisse ein. Auf das sie es noch lange tun, darauf ein donnerndes: Up The Irons!
22 Kommentare mit 18 Antworten
" 'Death Of The Celts' atmet den würzigen Kilt-Geruch" was auch immer das sein soll, es klingt eklig...
Sonst schöne Review. Ich bin gespannt auf meinen ersten Hördurchlauf!
Hab ich mir auch gedacht. Der Geruch ungewaschener, schottischer Hoden.
Wenn die Schotten ihre Klöten nicht waschen würden, wären sie schon längst abgefallen und somit ausgestorben. Letzte Volkzählung, 5,3 Millionen Schotten leben glücklich, trotz oder wegen stinkender Kilts!
Ist der Witz bei Kilts nicht, dass die Glocken immer schön im Wind klingeln?
Nicht jeder Schotte hat so stahlharte Kugeln da zwischen die Beinen, die wie die Glocken vom Kölner Dom klingen. Neidischen Blick zwischen Schwingis Beine werfen möchten, ach daher kommt der Nick, verstehe.
Wir müssen die selten waschen, weil wir sie nicht den ganzen Tag in stickig-heißen, schweißtreibenden Textilnestern aufbewahren. Keine Ahnung, was ihr widerlichen Südleute an dem so Mief findet.
UP THE IRONS
stevie harris, ich will ein kind von dir!!!
Ich finde das Album klasse, nur die etwas billig klingenden Keyboards sind manchmal etwas deplatziert und hören sich auch wirklich ab und an mal so an, als ob sie nicht ganz ins Timing passen.
Kein schlechtes Spätwerk. Leider ist die Produktion, wie viele schon anmerkten bestenfalls ausreichend. Seltsam, dass die Band hier trotz ihres eisernen (sorry) Willens bis ins hohe Alter hinein jung und agil zu bleiben (Haare!) so nachlässig und unambitioniert ist.
Je mehr instrumentale und "progressive" Elemente, desto besser; auch deshalb wieder Stirnrunzeln, dass gefühlt jeder Chorus die selbe Akkordprogression (VI-IV-V) hat ...
Unterm Strich im Prinzip alles gut mit dem typischend "Maiden"-Beigeschmack, dass mit etwas mehr Mühe auch noch etwas mehr drin gewesen wäre.
Schlaf und leblos wie der Schwanz vom Papst
Na ja da ist der Kommentar hier wesentlich schlaf(f)er (Übrigens schreibt man es schlaff und nicht schlaf) und lebloser