laut.de-Kritik

Eine retro-futuristische Symbiose.

Review von

Gut Ding will Weile haben: Selten hat dieses Sprichwort besser gepasst. Sieben lange Jahre ließen sich Jamiroquai Zeit für "Automaton". Der Titel, das Cover und der Sound der gleichnamigen Vorabsingle verleiten dazu, zu glauben, dass der Space Cowboy nun endgültig gen Science-Fiction-Electronica abdriftet. Die zweite Auskopplung "Cloud 9" gibt jedoch sofort Entwarnung: Jay Kay und seine Mannen bleiben sich treu und liefern formidablen Funk-Pop ab.

Die Messlatte liegt ohnehin sehr hoch. Auf dem Vorgänger "Rock Dust Light Star" bewiesen die Briten ihre außergewöhnliche Klasse. Auf "Automaton" gelingt ihnen das erneut - oder vielmehr immer noch - mühelos: Sie behalten ihre typische Lässigkeit. Dies bringt genügend Frische mit sich, um nicht in alte Muster zu verfallen oder sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, die Band zitiere nur sich selbst.

Paradoxerweise klingt vieles auf der neuen Scheibe extrem vertraut. Durch das lockere "Summer Girl" weht der erhabene Wind aus "Travelling Without Moving" mit verträumtem Arrangement, schöner Gesangsmelodie samt kleiner Jam-Session mit Bongos und Bläsern. "Vitamin" erinnert frappierend an den Vibe von "Synkronized" inklusive Saxofon, und "We Can Do It" atmet den Flair aus der Anfangszeit der Band.

Dieser wohlig-warmen Nostalgie steht die elektronische Moderne gegenüber, wie sie gleich zu Beginn in "Shake It On" aufkommt: spacige Synthies, progressiver House-Beat, knarziger Refrain. Hinzu kommen urtypische Jamiroquai-Trademark-Violinen und die Lyrics eines Astronauten: "I need to find out where I am / before I reach the stars / yeah, before I step on Mars." Fertig ist der perfekte Einstieg.

Der Titelsong knüpft daran mit Giorgio Moroder-Gedächtnis-Synthies an, flankiert von fiependen und zischenden Zwischentönen. Es beherbergt zusammen mit "Dr Buzz" im Übrigen die einzigen, wirklich sozialkritischen Texte. Beim Rest ergötzt sich Kay lieber an Liebschaften und dem Dolce Vita.

Nicht nur elektronische Elemente fließen ein, sondern gar mutige Strukturen. Richtig abgedreht zeigt sich "Superfresh": Stumpf anmutende Zeilen ("I want you to rock with me baby / rock me baby all night long"), gefolgt von wilden Streichern und Jay Kay für einige Sekunden auf Autotune ... öhh, was zur Hölle? Sobald aber der unwiderstehliche Funkbass mit Wahnsinnstempo nach vorne peitscht, ergibt sich daraus ein echter Dancefloor-Hit. Gegen Ende zwirbelt sich Matthew Johnson am Keyboard in weit entfernte Sphären. In "Hot Property" finden sich eine russische Frau und Retro-Future-Sounds wieder, die glatt von Captain Future stammen könnten.

Als kleinen Geheimtipp empfehle ich Quentin Tarantino "Nights Out In The Jungle" für seinen nächsten Film. Der unverschämt groovende Funk-Lick plus der Snare-Beat mit Glockenschlägen bringen ein cineastisches Gefühl in die Gehörgänge. Kays lässiger Falsett-Gesang und seine Coolness ("I'm so early, when I'm late") sowie Cowbell und schroffe E-Gitarre harmonisieren ganz vorzüglich.

Apropos Harmonie: Es ist wie bei jedem Jamiroquai-Album erstaunlich, wie geschmeidig Live-Instrumentalisierung und Programmierung Hand in Hand gehen, so dass exzellente Musik dabei herauskommt, ohne dabei glatt gebügelt zu klingen. Der Sound pumpt stets frisch und mit Elan durch die Boxen.

Ganz ohne Turbulenzen fliegen Jay und Co. trotzdem nicht durch den Soundkosmos. Der sehr straighten und auf treibenden Rhythmen ausgelegte Produktion fällt zum einen Derrick McKenzie zum Opfer. Das Gründungsmitglied an den Drums haut nicht mehr so virtuos wie einst auf sein Instrument, sondern liefert 'nur' solide ab. Zum anderen sucht man entschleunigte Balladen vergeblich, die stets etwas Besonderes waren. Songs wie "Talullah", "Blow Your Mind" oder "Picture Of My Life" hätten dem Album sicherlich gut getan. Daran knüpft am ehesten "Summer Girl" an.

Auf "Automaton" gelingt den Funk-Meistern die perfekte Balance aus Nostalgie und Moderne. Beides verschmilzt zu einer funktionierenden, retro-futuristischen Symbiose. Das hinzubekommen, kann nicht jede Band von sich behaupten, die schon 25 Jahre im Geschäft musiziert: ein würdiges Jubiläumsgeschenk an sich selbst und an die Fans. "Only a fool can walk away from me this time." Auf so eine dumme Idee kommt keiner, da bin ich mir sicher.

Trackliste

  1. 1. Shake It On
  2. 2. Automaton
  3. 3. Cloud 9
  4. 4. Superfresh
  5. 5. Hot Property
  6. 6. Something About You
  7. 7. Summer Girl
  8. 8. Nights Out In The Jungle
  9. 9. Dr Buzz
  10. 10. We Can Do It
  11. 11. Vitamin
  12. 12. Carla

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13 Kommentare mit 40 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Endlich mal wieder was tolles von denen

  • Vor einem Jahr

    Ich frage mich eigentlich immer noch in welches Musik Genre man die Jungs einordnen kann, Funky Jazz? Ist mir aber relativ egal, denn alle Alben von Ihnen sind für mich richtige gute Laune Alben und man merkt dass es alles durch die Bank Vollblut Musiker sind.

  • Vor einem Jahr

    An der Stelle mal ein dickes Danke an soul dafür, dass er hier mal die "Emergency On Planet Earth" und explizit Stuart Zenders/Marta Altesias Bassspiel gejubelpersert hat, das hat mein eigenes Spiel auf jeden Fall gut motiviert und gefördert/gefordert damals.
    Kannte die Band vorher nur, weil meine Mum damals "A Funk Odyssey" oft hörte, aber da war ich noch zu jung für. Finde die Band insgesamt für 1-2 Partybanger auch sehr gut, und die Basslines auf den alten Alben killen oft auch, aber irgendwie kann ich mir das dann auch immer noch nicht auf Albumlänge anhören.