laut.de-Kritik
Disco-Inferno unter der Spiegelkugel.
Review von Sven KabelitzIn einem Land vor unserer Zeit zählte Jimmy Somerville mit seinen Bands Bronski Beat und The Communards zu den Stars. Mit dem Schwulen-Drama "Smalltown Boy" und "Don't Leave Me This Way" gehörten seine Songs in den Achtzigern zum MTV-Standardrepertoire. Sein letzter Hit liegt mit dem Bee Gees-Stück "To Love Somebody" aber mittlerweile 25 Jahre zurück.
Ein Vierteljahrhundert später und mit manch einem trödeligem Album ("Home Again") und unzähligen ungaren Cover-Versionen zu viel im Gepäck, kräht mittlerweile kein Hahn mehr nach Somerville. Doch ist der Ruf erst ruiniert, musiziert es sich ganz ungeniert. Wenn schon niemand mehr auf seine Party kommt, legt er nun trotzköpfig die Songs auf, auf die er Bock hat.
Komplett aus der Zeit gefallen und von jeglichen Erwartungshaltungen befreit, wagt er einen Ausflug unter die Spiegelkugel. Hand in Hand mit dem Sound von Gloria Gaynor, Donna Summer, Chic und The Trammps erschafft Jimmy Sommerville sein eigenes Disco-Inferno.
Während die Comebacks seiner ehemaligen Wegbegleiter Boy George ("This Is What I Do") und Holly Johnson ("Europa") gewaltig gegen die Wand fuhren, lebt Jimmys sechstes Solo-Album von seiner Leichtigkeit. Die große Kunst sollen andere machen, hier pulsiert dagegen das Leben und schillert in allen Farben der Lichtorgel.
Dazu verliert sich "Homage" nicht etwa im zitieren ausgelutschter Klischees. Stattdessen merkt man dem Longplayer in jedem Moment die Liebe zum Genre an. Die Arrangements fahren mit üppigen Bläsern, dekadenten Streichern und schwingenden Bassläufen groß auf. Das Alter hat sich in Somervilles Falsett-Stimme gefressen und hinterlässt angenehm spröde Spuren, Typ Schmirgelpapier Körnung 1000, und steht ihm gut zu Gesicht.
Bereits mit dem Auftakt "Some Wonder" breitet Jimmy seine Flügel weit aus. Wer zu dem packendem Disco-Stampfer nicht munter mit dem Fuß wippt, ist schon längst zum Ganzjahresgrinch erstarrt. Obwohl ihm bei "Back To Me" kein Nile Rodgers zur Seite steht, fühlt sich seine Chic-Homage weitaus ehrlicher an als Daft Punks unterkühltes Imitat "Random Access Memories".
Mit "Travesty", einer Art "You Make Me Feel (Mighty Real)" reloaded, erreicht die Party ihren Höhepunkt. Im Sauseschritt vorgetragen, stellt er unterhalb der überbrodelnden Fröhlichkeit der Sozialpolitik der derzeitigen Regierung seines Heimatlandes ein Armutszeugnis aus. "Scratch the surface and life is raw / Time to wake up, it's a welfare war / This is reality", singt Somerville, nur um danach immer wieder voller Inbrunst und Hoffnung "Life must mean more than this" hinzuzufügen.
Obwohl "Homage" über klare Grenzen verfügt, kommt aufgrund der mitreißenden Refrains wie im honigsüßen "Lights Are Shining" keine Langweile auf. Das einnehmend groovende "The Core" fährt die Geschwindigkeit herunter. Die Wah-Wah-Gitarre, der pumpernde Bass und das tänzelnde Rhodes-Piano lässt das G im G-Funk nicht mehr für Gangsta stehen.
Deutlich mehr auf Gefühl, jedoch keinesfalls auf Kitsch setzt die Soul-Ballade "Learned To Talk". Ein ebenso harmonischer wie prachtvoller Abschluss, den wohl nur noch hoffnungslose Optimisten dem Glasgower zugetraut hätten.
Mit "Homage" gelingt Jimmy Somerville die Platte, die im Grunde anstelle von "Read My Lips" auf den The Communards-Split hätte folgen sollen. Selten klang der Sänger so in sich ruhend, so glücklich und lebensfroh wie auf seinem Disco-Nerd-Album, aus dessen Ecken überall die Sonne scheint. Jimmy, your disco needs you!
4 Kommentare
Sehr cooles Album. Ich liebe Disco und das hier ist Disco at its best. Könnte sofort lostanzen. Ich mochte Jimmy immer vor allem wegen seiner Stimme. Das mit der Körnung stimmt und macht die Stimme um einiges gereifter. Reinhören lohnt sich wirklich. Ne kleine Perle.
Mochte Disko schon zu Lebzeiten nicht, wird sich mit dem Abgesang auch nicht ändern lassen.
Ein Album das wirklich spaß macht
Und wie immer wenn man seinen Traum lebt und sich dabei selber nicht zu ernst nimmt, kommt dabei was richtig Gutes raus.