laut.de-Kritik
Die morbide Faszination des Verfalls.
Review von Sven KabelitzSo lange er nicht uns selbst betrifft, geht vom Verfall eine morbide Faszination aus. Ruinen, die von vergangenen Kulturen erzählen, gehören zu den schönsten Plätzen auf unseren Planeten und stellen moderne Architektur oft in den Schatten. Seien wir ehrlich: Boy Georges Stimme ist eine solche Ruine.
Majestätisch überragte sie vor dreißig Jahren die Pop-Landschaft. Aber von seinem kehligen, großspurigen und schmalzigen Vorträgen in "Victims" oder "To Be Reborn" zeigt sich das tiefergelegte und brüchige Organ des Sängers auf "This Is What I Do" meilenweit entfernt. Wilder Wein und Efeu ranken sich an seinen verlotterten Stimmbädern empor. Mehr noch als in den Texten seines wohl persönlichsten Albums hört man in seiner Stimme sein Scheitern, seine Skandale, das Kokain, die Callboy-Exzesse und all die Monate im Gefängnis. Traurig und heiser entsteht aus den angehäuften Narben eine neue Reife und Präsenz.
Bei all der Ehrlichkeit und Unverblümtheit, die seine Stimme auf "This Is What I Do" einnimmt, trifft das missglückte Comeback doppelt hart. Nie kommt der Longplayer so recht in Fahrt. Uninspiriert leiert sich der einstige Culture Club-Barde durch ein Kuddelmuddel aus Pop, Reggae, Soul, Dub und Country. Den roten Faden, den diese Wiedergeburt durchzieht, stellt die Schlafmützigkeit im Songwriting und der Produktion dar.
Die Vorabsingle "King Of Everything" gehört zu den wenigen halbwegs gelungenen Momenten. Irgendwo zwischen großangelegter Elton John-Power-Ballade und Duran Durans Soft-Rock "Ordinary World" angesiedelt, wagt der 52-jährige Brite einen aufrichtigen und pathosbeladenen Blick in den Rückspiegel. "Self-destruction was so cool... / You know I'm sorry for the times I made you cry / I made an art of letting you down."
Auch mit dem Country-Gospel-Herzensbrecher "It's Easy" gelingt George ein kurzfristiger Ausbruch aus der Reizlosigkeit. "Play Me" nähert sich gemeinsam mit Dreadzones MC Spee düsteren und kantigen Dub-Gefilden. In Yoko Onos "Death Of Samantha" packt George, Hand in Hand mit Frau Ono, all den Schmerz seiner vergangenen Jahre. Roh und beißend croont er sich als grillenhafter Leonard Cohen-Verschnitt durch den atmosphärisch dichten Song.
Dafür gipfelt das ennuyante "My God" in einem grotesk zopfigen Gitarrensolo und "Dadadada Dadadadada"-Chören. Egal ob mit dem Anti-Homophobie-Reggae-Stück "Live Your Life" oder mit der von George Harrison inspirierten Tranfunzel "Any Road" - Boy George gelingt es einfach nicht, seine beachtenswerten Texte in mitreißende Songs zu packen. Viel mehr verzettelt er sich auf zu vielen Baustellen. Getreu dem Motto: "If you don't know where you're going, any road will take you there."
5 Kommentare
Klingt ja schon ein bisschen traurig ...
soll sich doch jeder sein Bild selber machen. Mir gefällt das neue Album, die Stimme , das Aussehen....cool Sache!!
suck satans cock
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
,,Play me" finde ich sehr akzeptabel, auch wenn ein hartgesottener Dub/Reggae-Fan bei dem Track schreiend das Weite suchen würde. Der Rest: na ja.
Besonders nervig ist das Pseudo-Vibrato seiner ,,verlotterten" Stimmbänder. Sowas machen doch nur Menschen, die nicht singen können. Er konnte es ja mal.
Schade.