laut.de-Kritik
Die letzte Platte der großen Folk-Dame.
Review von Giuliano BenassiEine Portion Wehmut kommt schon auf, nun da die vermutlich letzte Platte der großen Dame der US-amerikanischen Folks erschienen ist. Als 1960 ihr Debüt auf den Markt kam, war Joan Baez gerade mal 19 Jahre alt. Ihre Stimme, die sie selbst als Geschenk Gottes bezeichnete, schien so klar und kraftvoll, dass sie Mauern zum Einstürzen bringen konnte. Was sie tatsächlich auch tat, denn so sonnig ihr Lachen war, so kompromisslos setzte sie sich für die Abschaffung der Rassengesetze und das Ende des Vietnam-Kriegs ein.
Freundliches Äußeres, harter Kern. Selbst einem US-Präsidenten und seiner Gattin, für die sie große Bewunderung hegte, schlug sie einen Wunsch aus: Michelle Obama fragte sie, ob sie 2010 bei einer Zeremonie im Weißen Haus "If I Had A Hammer" spielen könne. "Ein furchtbarer Song. Hätte ich einen Hammer, würde ich mir damit auf den Kopf hauen. Mach ich nicht", lautete ihre Antwort. Stattdessen gab sie einen weiteren Klassiker der Friedensbewegung, "We Shall Overcome", zum Besten.
In Erinnerung wird sie vielen auch wegen ihrer Beziehung zu Bob Dylan bleiben. Erst verliebte sie sich in seine kraftvollen Texte (und war maßgeblich daran beteiligt, ihn zum Superstar zu machen), dann in ihn selbst. Als sich Dylan Mitte der 60er Jahre seiner Akustikgitarre und ihr entledigte - von Politik wollte er seit jeher nichts wissen - stürzte sie in eine Krise, die sie 1975 in ihrem Song für die Ewigkeit verarbeitete, "Diamonds And Rust".
Der größte Teil von Baez Repertoires besteht jedoch aus Coverversionen, von Dylan und vielen anderen, Gospels und Traditionals. Auch diesmal hat sie auf Stücke anderer zurückgegriffen und eine durchaus interessante Wahl getroffen.
Hoch im Kurs stehen Josh Ritter, der eigens zwei Stücke für sie schrieb ("Be Of Good Heart" und "Silver Blade"), sowie Tom Waits. Der Opener stammt aus seinem Album "Bone Machine" (1992) und scheint vom Titel her fast schon einen Anspielung auf Dylans "Blowin' In The Wind" zu sein, auch wenn es dafür keine wirklichen Anhaltspunkte gibt. "Last Leaf" war dagegen auf Waits' bislang letztem Album "Bad As Me" (2011) zu hören, eine Ballade, die er dort mit seinem Kumpel Keith Richards so schief sang, dass es unter die Haut ging.
"Ihre Stimme klang wie die eine Sirene auf einer griechischen Insel. Sie bezirzte dich", erläuterte Dylan einst. Dass Baez nach wie vor bezirzt, verdankt sie Ausstrahlung und Erfahrung. Wie eine Sirene klingt sie aber nicht mehr, denn die letzten Jahre hat ihre Stimme spürbar nachgelassen: Selbst im Vergleich zum Konzert zu ihrem 75. Geburtstag, das 2016 stattgefunden hat. Besser als Waits, oder gar Richards, trifft sie die Töne natürlich trotzdem noch.
Um so wichtiger war es, einen Produzenten zu finden, der das richtige klangliche Bett erschaffen würde. Das ist Joe Henry wie gewohnt gelungen. Diesmal hält er sich mit seiner Hausband noch mehr zurück als gewohnt, ist mit Schlagzeug, Klavier, Bass, zweiter Gitarre und gelegentlich weiteren Instrumenten (etwa eine wunderbare Säge zum Schuss des Openers) aber immer zur Stelle, wenn es Sinn macht. Doch bleiben Baez und ihre Akustikgitarre - dieselbe, die sie auf ihrem Debüt spielte - stets im Mittelpunkt.
Nur einmal verzichtet sie auf sie, in einem obskuren Stück, das sie beim Autofahren im Radio hörte. Sängerin Zoe Mulford verarbeitete darin den Amoklaufen eines jungen weißen Mannes, der sich 2015 in den Gottesdienst einer schwarzen Gemeinschaft in Charleston gesetzt, plötzlich eine Pistole gezogen und neun Menschen erschossen hatte. Präsident Obama sprach bei der Trauerfeier und improvisierte am Ende einen Gospel.
"But no words could say what must be said / For all the living and the dead / So on that day and in that place / The president sang Amazing Grace", lautet der Refrain. Sie habe rechts ranfahren müssen, so sehr habe sie das Stück getroffen, erklärt Baez. Noch lange habe sie weinen müssen, als sie es selbst auf der Gitarre spielte. Die Pianobegleitung auf dem Album half ihr offenbar, gefasst zu bleiben.
Bleibt noch Zeit für zwei Kolleginnen (Mary Chapin Carpenter, "The Things That We Are Made Of" und Eliza Gylkinson, "The Great Correction"), Anohni (auch wenn "Another World" aus "The Crying Light" von 2009 stammt, als die New Yorker Künsterin noch Antony & The Johnson hieß) und Henry selbst, der "Civil War" 2007 für sein gleichnamiges Album aufgenommen hatte. Seine berühmte Schwägerin zeigte sich übrigens begeistert, als er ihr schrieb, dass er Baez produzieren würde. "She's a fucking warrior hero", antwortete Madonna laut Rolling Stone.
Ein melancholisches letztes Album, also. Natürlich hätten noch ein paar mehr Stücke Platz gehabt, doch auch so dauerte die Aufnahme zehn Tage, unüblich viele für Henrys Verhältnisse. Ein eigenes Stück fehlt ebenso, doch die Quelle sei schon lange versiegt, so Baez. Dafür nimmt sie zum Schluss eines, dessen Botschaft heute ebenso relevant bleibt wie im 18. Jahrhundert, als es entstand: "I Wish The Wars Were All Over".
Ein Problem, dessen Bekämpfung und Lösung Baez nun an jüngere Generationen weiterreicht. Nach einer letzten Welttour, die sie auch in den deutschsprachigen Raum führt, möchte sie sich der Malerei widmen. Finanzielle Engpässe muss sie nicht befürchten, schließlich kaufte sie sich Anfang der 1970er Jahre ein Anwesen außerhalb von San Francisco. Damals noch in der Pampa gelegen, befindet es sich nun im Herzen der Silicon Valley, gleich um die Ecke von Apples glitzerndem Stammsitz. Also in einem der mittlerweile teuersten Wohngebieten der Welt.
Dort gewährte sie dem Spiegel anlässlich der Veröffentlichung ein lesenswertes Interview. "Wenn ich vor 57 Jahren, als meine erste Platte erschien, eine Vorstellung davon gehabt hätte, was der Endpunkt sein könnte - dies wäre er gewesen. Melancholische Songs, die aus einer kaputten Gegenwart zurückblicken, gesungen mit meiner Stimme, die in diesen Jahrzehnten eine ganze Oktave tiefer geworden ist", so ihr Fazit. Einen unglücklichen Eindruck machte sie nicht.
1 Kommentar
was für ein schöner text für diese großartige künstlerin.