laut.de-Kritik
Der leuchtende Zwilling von "Immunity".
Review von Sven KabelitzFünf Jahre Leben trennen uns von der letzten Jon Hopkins-Platte "Immunity". Dieser Geschichte einer Clubnacht, die im exzellenten Titeltrack gipfelte. Das Album, das es 2013 vollkommen zurecht an die Spitze mehrerer Jahrescharts schaffte.
Kurz darauf folgte auf "Ghost Stories" eine weitere Zusammenarbeit mit Coldplay. "Midnight" zählt zu einem ihrer wenigen interessanten Stücke dieses Jahrhunderts. Alles sah danach aus, als würde Hopkins nun durchstarten. Doch stattdessen zog er sich zunehmend zurück. Eine EP, die nochmals auf "Immunity" zurückgriff ("Asleep Versions"), ein mediokrer Soundtrack ("How I Live Now") und die Compilation "Late Night Tales" - viel mehr gab es nicht zu erzählen.
Der Brite zog nach Los Angeles. Um dem Tourstress zu entfliehen, begann er mit Meditation. Er schluckte Magic Mushrooms und unternahm Ausflüge in die Wüste, um sich selbst zu finden. Ein großes Om, an dessen Ende "Singularity" steht. Ein psychedelisch angehauchtes Album unter dem imaginieren Sternbild Dimethyltryptamin. Ein musikalischer Neuaufbruch ist es jedoch nicht geworden, eher eine Art "Immunity 2.0". Hopkins dreht an den richtigen, aber eben selben Reglern. Er setzt noch mehr auf den Ambient-Teil, ohne die Beats außen vor zu lassen.
Selbst die Herangehensweise gleicht dem Vorgänger. Wieder stülpt der Londoner seinen Stücken ein Konzept über. "Immunity" funktionierte gerade aufgrund der Einfachheit, die in der Idee einer von uns allen schon erlebten Partynacht liegt. "Singularity" bleibt vage und ebenso wenig greifbar wie nachvollziehbar. Diesmal erkundet Jon "die Dissonanzen zwischen urbanem Leben und grüner Natur, die Verbindung von Geist, Klang und Umwelt". Eine hochtrabende Aussage, die nach so viel klingt und so wenig bedeutet.
Auch in der Aufteilung der Songs geht Hopkins den selben Weg wie zuvor. Bestimmen Beats die erste Hälfte, übernehmen überwiegend ruhige Klänge die zweite. Eine Trennung, die diesmal noch deutlicher ausfällt und die man in dieser Form von David Bowies "Low" und "Heroes" kennt.
Um das schwammige Konzept noch mehr aufzupumpen, beginnt "Singularity" mit der gleichen Note ("die emotionale Ehrlichkeit"), mit der es endet. Ein alter Taschenspielertrick, mit dem man den Wert der Musik dazwischen aufzuwerten versucht. Diesen Überbau hätte "Singularity" gar nicht nötig. Die Energie, Schönheit und Brillanz des Vorgängers reicht auch für eine zweite Runde. Zwar fehlt diesmal der Übertrack, doch dessen Intensität verteilt sich dafür gleichmäßiger über die einzelnen Stücke.
"Emerald Rush" beginnt mit zaghaften Ambient-Klängen, die stark an Jean Michel Jarres Glanzzeit in den Siebzigern erinnern ("Oxygène"). Über sie legt Hopkins ein zartes Piano, das uns im Verlauf des Albums noch häufiger begegnet. Abrupt lässt der Song seinen Beginn hinter sich. Den weltfremden Vocals, Trance-Klängen und den raukantigen Beats wohnt aber weiterhin etwas Tröstendes inne.
Mit dem zehnminütigen Herzstück "Everything Connected", das Hopkins selbst als "massiven Technobastard" bezeichnet, erreicht die erste "Singularity"-Hälfte ihren Höhepunkt. Hier fügen sich seine beiden Welten perfekt zusammen. Zeitgleich weist der Song auch deutliche Parallelen zu "Open Eye Signal" ("Immunity") auf und wirkt wie ein erleuchteter Zwilling. Während die Beats klar auf dem Boden bleiben, treiben die Synthesizer das Lied immer weiter in die Sterne. Nur um sich gegen Ende gemeinsam in tiefen Tropfsteinhöhlen wiederzufinden. Ein wahrliches Klangerlebnis.
Den Bruch zur zweiten Hälfte des Longplayers stellt "Feel First Life" dar. Inspiriert von einer schwangeren Freundin, die zum ersten Mal den Fußtritt ihres Kindes spürt, fährt Hopkins so überlebensgroß auf, dass er fast im Kitsch ertrinkt. Aus Knarzen und einem einsamen Piano erwächst ein engelsgleicher Chor. Ein himmlisches Ambient-Glanzlicht, das Schönheit bis zu ihrer Schmerzgrenze austestet.
Eine Höhe, von der spätestens "Luminous Beings" zurück in den Wüstendreck führt. Verzerrt, bedrohlich brummend und klickend, wirkt es zuerst wie ein spannender Gegenentwurf. In der Folge gliedert es sich aber zunehmend in das "Singularity"-Klangkonzept ein, wehrt sich aber zwölf Minuten lang widerborstig, kratzt und knarrt. Schließlich findet es im alleinstehenden Piano sein Ende, das durch "Recovery" zurück zur – hüstel – "emotionalen Ehrlichkeit" führt.
2 Kommentare
fühle das album schon ein wenig
Was JH seit mehreren Alben abliefert ist sehr beachtlich, mir gefällt sie sehr gut. mindestens 4/5