laut.de-Kritik

Avantgarde as fuck!

Review von

"Wer sich auch nur ein bisschen für experimentellen Hip Hop interessiert und diese Platte bis jetzt verschlafen hat, fühle sich nun wachgeküsst", schreibt Kollege Florian Weigl für unseren Lieblingsplatten-Jahresrückblick, und nagelt den Kern des Skandals mit Zimmermannsnägeln auf die Tischplatte: Verschlafen haben wir "Veteran". Schande über uns. Antreten zum Nachsitzen!

Um sich mit diesem sperrigen, zwar elend anstrengenden, dafür aber auch hochgradig spannend und unterhaltsam geratenen Album zu befassen, ist es aber ja glücklicherweise nie zu spät. Unglücklicherweise erscheinen die Zeitgenossen, die JPEGMAFIA dutzendweise abwatscht, auch ein knappes Jahr später ungebrochen abwatschenswert.

Der Mann aus Baltimore bringt sich in Stellung, gegen Donald Trump ("your president", nicht etwa seiner), die Vertreter der Alt Right- und White Supremacy-Bewegung und alle ihre Sympathisanten, gegen Faschismus, Rassismus, die Polizei, Gentrifizierung, Soundcloudrapper, Blogger, Yuppies ... you name it. Morrissey, Varg Vikernes, Tom Araya und die Sex Pistols kriegen im gleichen Atemzug auch noch ihre Portion Fett weg.

Der Closer "Curb Stop" kulminiert in einem Strudel aus Tränen und Wahnsinn. Wenn man nur einen Hauch nachdenkt, im Grunde die einzige adäquate Reaktion auf offenbar komplett verrückt gewordene Zeiten, also: "Motherfuck that flag, we're dying."

Auf dem Papier liest sich das alles, als habe JPEGMAFIA ein verbissenes politisches Manifest vorgelegt. Irgendwie stimmt das sogar - bis auf das "verbissen": "Veteran", gespickt mit einer Flut von Videospiel-, Kino- und Fernsehshow-, Pop- und Nerdkultur-, Box- und vor allem Wrestling-Referenzen wirkt seiner größtenteils ernsten Thematik zum Trotz so spielerisch hingeworfen, dass man nur ahnen kann, wie viel Arbeit hinter dem Eindruck "Einfach mal ausprobieren, was geht" stecken mag.

Dabei sollte auch die Bezeichnung "spielerisch" besser nicht auf den falschen Dampfer führen: Die Beats gehören teils zum Härtesten, das das Jahr 2018 ausgespuckt hat. Völlig irre Tribal-Drums und indianisch anmutende Klänge treiben - zusammen mit einem ODB-Sample - "Real Nega" vor sich her. Die "Thug Tears" kullern zu komplett verhackstückten, flackernden Synthiesounds. Jeder, der Trap für langweilig hält, sollte sich dringend mal geben, wie sich diese Produktion eingefahrenen Hörgewohnheiten fortwährend entzieht: Avantgarde as fuck!

"Dayum", weitgehend instrumental gehalten, klingt so, wie kurz aufblitzende Fernsehbilder zwischen Testbild und Rauschen bei schlechtem Fernsehempfang aussehen. Die abgehackten Endlosloops aus "Baby I'm Bleeding" wirken wie die ungleich jüngeren Geschwister von Steve Reichs "It's Gonna Rain".

JPEGMAFIA blickt aber nicht nur aufs große Ganze: "(Panic Emoji)" etwa beschreibt, plastisch und berührend, eine von Angst, Depression und Suizidgedanken gequälte einsame Seele. Im Hintergrund rauscht die Dusche: Tatsächlich, erklärte ihr Urheber in einem Interview, erzählt die Nummer von einer Panikattacke, die ihn im Bad überwältigte.

Was die Produktionen betrifft, legt "Veteran" einen aberwitzigen Steptanz zwischen Minimaltechno, Trap, Elektro und R'n'B hin. JPEGMAFIAS Vortrag wechseld, passend dazu, in jedem Track ein bis dreimal den Flow. Das, ich erwähnte es bereits, strengt auf Albumlänge ungeheuer an. Die Langeweile hat sich angesichts des Gebotenen aber längst solide eingeschissen und ins hinterste Mauseloch verkrümelt.

Dort kann sie auch gerne bleiben, wir haben dafür eh keine Zeit. Wir müssen ja rausfinden, was zum Teufel a) "1539 N. Calvert" sein soll. Oder b) "DD Form 214". Oder c) dieses "NeoGAF", zu dessen Tod JPEGMAFIA seine Gedanken kundtut: "I don't care." Each one teach one, ich habe gelernt: a) die Adresse eines Studios in Baltimore, b) ein Zertifikat des Amerikanischen Verteidigungsministeriums, das das Ausscheiden aus der Army dokumentiert c) ein aus verschiedenen Gründen in die Kritik geratenes Online-Forum zum Thema Videospiele, geschlossen, nachdem dem Besitzer der Seite sexueller Missbrauch vorgeworfen wurde. Hätten Sies gewusst? Da soll nochmal jemand behaupten, Rap würde nicht bilden.

Trackliste

  1. 1. 1539 N. Calvert
  2. 2. Real Nega
  3. 3. Thug Tears
  4. 4. Dayum
  5. 5. Baby I'm Bleeding
  6. 6. My Thoughts On Neogaf Dying
  7. 7. Rock N Roll Is Dead
  8. 8. DD Form 214
  9. 9. Germs
  10. 10. Libtard Anthem feat. Freaky
  11. 11. (Panic Emoji)
  12. 12. DJ Snitch Bitch Interlude
  13. 13. Whole Foods
  14. 14. Macaulay Cilkin
  15. 15. Williamsburg
  16. 16. I Cannot Fucking Wait Until Morrissey Dies
  17. 17. Rainbow Six feat. Yung Midpack
  18. 18. 1488
  19. 19. Curb Stomp

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