laut.de-Kritik
Vintage-Horror und Surrealismus: Die inoffizielle "Twin Peaks"-Musik.
Review von Kerstin KratochwillEin schwerer Synthesizer-Ton, der direkt ins Herz eindringt und einsinkt: Damit beginnt der Song "Falling", der ersten Single der US-Sängerin und Schauspielerin Julee Cruise und dem zweiten Track ihres Debüt-Albums "Floating Into The Night". Fallen, schweben, forttreiben sind dann auch die Begriffe, die die Musik von Cruise umfassen und umarmen – allesamt komponiert und getextet von Angelo Badalamenti und David Lynch, den Masterminds hinter der legendären Serie "Twin Peaks" von 1990, zu dem die instrumentale Variante von "Falling" auch der gespenstig gänsehauttreibende Theme-Song war. Cruise spielte darin eine Nachtclubsängerin und sang mehrere Songs, die auch auf ihrem ersten Album zu hören sind.
"Falling" ist dabei mit seiner Slo-Mo-Atmosphäre, ihrem unverwechselbar gehauchten Gesang und dem Vorgreifen eines ganzen Genres - nämlich Dreampop und seinen Vertretern wie Beach House, Mazzy Star oder Beach Fossils – ein Lied, das die ganze Faszination von "Twin Peaks" musikalisch umfasst: absolut romantisch und abgründig brutal zugleich, geheimnisvoll schillernd und genial seifenopernhaft inszeniert, zeitlos schön und aus der Zeit gefallen wie eine schiefe Fünfzigerjahre-Ballade.
Und auch leicht jazzig angehauchte Songs wie "I Remember" – mit seinem leicht surrealistisch anmutenden Innenteil – oder das scheinbar harmonisch harmlos schwingende "Rockin' Back Inside My Heart" mit drohend dosierten Bläsereinsätzen, das von ihr in der "Twin Peaks"-Episode gesungen wird, als endlich der Mörder von Laura Palmer aufgedeckt wird, sind melancholisch unheimliche Variationen einer Ära, in der Rockabilly und Swing als unschuldiger unbeschwerter Teeniesound zelebriert werden. Doch unter dieser Fassade lauert wie in der Serie die ganze Grausamkeit der Teen-Angst.
Und so wird "Floating Into The Night" auch als eine Art inoffizieller Soundtrack zum Mystery-Meisterwerk "Twin Peaks" in Erinnerung bleiben, zumal Julee Cruise in der letzten Folge der lang ersehnten Fortsetzung der Serie 2017 auch "The World Spins", den letzten Track ihres Debüt-Albums, erneut performt – womit sich natürlich eine ganze Welt aus Serie und Sound entfaltet und ein Kreis wunderbar schließt.
Nicht alle Songs stammen aus "Twin Peaks", aber doch aus dem Universum David Lynch: So auch "Mysteries Of Love", das entstand, weil aus urheberrechtlichen Gründen der von Lynch favorisierte Track "Song To The Siren" von Tim Buckley nicht verwendet werden durfte. Cruise ätherisch gesungenes Lied ist ein Echo von diesem. In Buckleys Lyrics heißt es "Long afloat on shipless oceans, I did all my best to smile (...) And you sang sail to me", während Cruise singt "Sometimes a wind blows and you and I float in love".
Von Liebe sollte nach dem 1993 erschienen Nachfolgeralbum "The Voice Of Love" zwischen Badalamenti, Lynch und Cruise allerdings dann keine Rede mehr sein. Es kam zum Streit, da Cruise ebenfalls an den Songs mitschreiben wollte – und man sprach sieben Jahre lang kein Wort mehr miteinander, bevor man sich schließlich wieder versöhnte.
Zeit scheint bei diesen Protagonisten aber keine Rolle zu spielen, und in ihrer Art, Musik zu schreiben, sowieso nicht: Die Songs auf "Floating Into The Night" sind deshalb auch wie Zukunftsboten, die in einer alten Jukebox gefangen sind und die man per Münzwurf befreit. Sie verströmen und verbreiten im ganzen Raum fortan eine narkotisch warme und hypnotische Atmosphäre eines alten vernebelten Gruselfilms, aber auch die Utopie einer neuen Musik, gewebt aus Ambient, Shoegaze und Americana.
Die jazzig schiefen Ausbrüche inmitten der Songs erinnern dabei an David Bowies Ansätze auf "Outside" oder "Blackstar" – einem anderen Meister des Science-Fiction-Surrealismus, der ebenfalls in der Welt von "Twin Peaks" zuhause ist und darin einen verschollenen FBI-Agenten spielt, der plötzlich wieder (auf die Erde) aufschlägt. The World Spins ... Forever And Ever.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare
Das Twin Peaks-Theme ist einfach zeitlos gut!
Geile stimme
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Ich liebe es, wenn Motive variieren, so wie bei "Floating" und "I Float Alone". So etwas gibt es einfach zu selten in der Musiklandschaft - Mike Oldield und Manu Chao haben's gerne gemacht.
Da hier in der Rezi ja schon die Szene, in der Lauras Mörder offenbart wird, angesprochen wird: Zum Abschluss dieser grandiosen Szene geht das angesprochene Lied direkt in "The World Spins" über. Ich werde niemals mehr diese Atmosphäre im Roadhouse vergessen. Diese Szene ist für immer in meinem Koof an das großartige Lied geknüpft.
Meilenstein geht klar; ich mag zwar nicht alle Songs, aber die Twin Peaks Songs und Mysteries of Love rechtfertigen das schon.