laut.de-Kritik

Die bunten Pillen wirken nicht mehr.

Review von

Kasabian-Alben, das war nie besonders hohe Kunst, aber am Ende doch sehr effektiver Abriss-Dance-Rock. Der satte Bass-Wumms von "Club Foot" oder "Processed Beats" hallt immer noch durch die Ruinen von mittlerweile geschlossenen Indie-Diskotheken. Diesen Zeitgeist konserviert die Band auch Jahre nach dem Urknall erfolgreich, ohne irgendwelche angesagten Trends mit einfließen zu lassen. Und diese Sturheit mögen die Fans, weil die Truppe aus Leicester somit eine ehrliche Zuverlässigkeit ausstrahlt.

"The Alchemist's Euphoria", das erste Album nach dem Rauswurf von Sänger Tom Meighan, ging bereits einen Schritt weg von dem Erwartbaren, mit dem neuen Album "Happenings" wollen Kasabian sich nun Richtung Pop öffnen. Nine Inch Nails, Beatles und gar den Edel-Hip Hop-Produzenten J.Dilla benannte Sergio Pizzorno in einem Interview als Referenzen. Allein, es fehlt der Glaube, weil der nun alleinige Bandchef vor jedem Release das große Besteck auffährt, dem Hörer aber nur solide Hausmannskost nach altbekannter Art auftischt.

"How Far Will You Go" vermittelt erst einmal, dass die bekannten Pfade verlassen werden. Ein überaus hektischer Song, der bereits das ganze Dilemma von Happenings schon vorwegnimmt: viel Wumms, viel Rumms, viel Hektik und absolut keine Idee dahinter. Aus der Verschmelzung von Dance und Punk-Krawall entstehen mitunter großartige Groove-Monster, doch Kasabian gelingt nicht mal ein vernünftiger Beat zum Tanzen, einem Kleinkind gleich hauen sie auf alles darauf, was einen Sound ergibt und erzeugen nicht als eine nervtötende Kakophonie.

Vielleicht dachten sie wirklich, sie könnten damit LCD Soundsystem oder The Rapture das Wasser reichen, aber nicht einmal die wenig subtile Electro-Krachtruppe Enter Shikari würde so etwas auf ihr Album packen. Dabei probieren die Jungs aus Leicester nicht gerade wenig aus, um die Hörer irgendwie bei Laune zu behalten: "Call" klaut ziemlich offensichtlich und schlecht bei Justin Timberlakes "Sexy Back", ohne dabei sexy wirken. Ein quirky Antanzversuch von ungelenken Fourty-Somethings. Es fehlt eben ein großartiger Producer wie Timbaland, der seinem Fast-Namensvetter damals einen Monsterhit schrieb, der 2006 tatsächlich wie die Zukunft klang und mittlerweile als Klassiker gilt. Sein damaliger Interpret Justin fährt derweil sein Auto und die Karriere an die Wand, während Kasabian mit so einem müden Rip-Off auch nicht gerade Erinnerungen an Glanztaten erwecken.

Die Lust am Experiment geht erst ab der zweiten Albumhälfte halbwegs auf, ganz einfach, weil Kasabian wieder ihr grundsolides Handwerk in den Vordergrund stellen. "Passengers" ist wieder viel mehr das alte Indie-Rock-Rüstzeug von 2005, ein Terrain, das Kasabian weitaus besser bearbeiten als der onkelige Ibiza-EDM-Move "Hell Of It" oder das sogar noch schlimmere "Italian Horror".

Hier bricht endgültig die Brandmauer zu den Imagine Dragons, was der miese und oft wiederholte "Oh-Oh-Oh"-Singalong noch mal unterstreicht. Natürlich waren Kasabian nie die großen Innovatoren des Brit-Rocks, aber einen solch deprimierender Vergleich mit einer der schlimmsten Bands der jüngeren Musikgeschichte bleibt trotz allem bitter. "Bird In A Cage" wäre auch fast eine solide Rock-Nummer alter Schule, wenn auch nicht hier ständig ein total unpassender und billig klingender Synth-Sound-Effekt den Flow komplett zerstört. Es gibt Produzenten, die mit so etwas umgehen können.

Der schwedische Hit-Producer Max Martin sagte einmal, dass er seine Pop-Songs auf den kompletten Ohrwurm-Faktor reduziert und dabei keine Note zu viel verwendet. Mit dieser kühlen Präzision hat er sogar den hemmungslosen David Guetta längst übertrumpft und darf nun zum wiederholten Male die alten Herren von Coldplay auf absolut charts-tauglich produzieren.

Wenn man Kasabian wohlgesonnen ist, was sie nach zwanzig Jahren solider Arbeit mehr als verdienen, lässt sich auf "Happenings" nicht unbedingt ein skrupelloser Wunsch nach totaler Mainstream-Beliebtheit erkennen. Sie agieren dabei nur überfordert und planlos. Ein guter Produzent hätte irgendwann eingegriffen, aber Mark Ralph besaß wohl nicht genug Entscheidungsgewalt, um die Band von ihrem Irrweg wieder zurückzuführen. Die veralteten Nullerjahre-Zitate und abgeschmackten Soundeffekte verblassen schon nach Sekunden wieder. Die Höchststrafe für Pop-Songs, denn auch die nervigen bleiben, dank einer aufdringlichen Hook, für ewig im Kopf erhalten.

So wirken Kasabian endgültig abgehängt und überhaupt: einen Edel-Produzenten wie J. Dilla nur zu erwähnen bleibt eine absolute Anmaßung, rein gar nichts erinnert an seinen feinen Jazz-Hip-Hop. Die prollige Ignoranz der Briten besaß ihren Reiz, als sie ihr Füllmaterial mit ordentlichen Banger wieder aufwerteten. Das lahme Pop-Album "Happenings" vermittelt eher den Zustand, dass die in "Club Foot" besungenen Pillen aufhören zu wirken und man nach dem großen Rausch die komplette Substanzlosigkeit dieser Musik erkennt.

Am Ende gibt es noch einen ironiefreien Diss gegen Algorithmen, der Kasabian endgültig wie "Früher noch im Wald schmutzig gemacht"-Opis aussehen lässt. "Taking control/The Robots believing they have a soul / They'll never feel love / Oh, oh, like this" Bittere Ironie: Ein künstliche Intelligenz wie Chat GPT hätte bessere Lyrics als die in "Algorithms" hinbekommen. Eine positive Sache gibt es nach diesem absolut unbefriedigenden Hördurchgang doch noch zu vermelden: "Happenings" dauert nur 28 Minuten.

Trackliste

  1. 1. A Happening
  2. 2. Darkest Lullaby
  3. 3. Call
  4. 4. How Far Will You Go
  5. 5. Coming Back to Me Good
  6. 6. G.O.A.T.
  7. 7. Passengers
  8. 8. The Hell of It
  9. 9. Italian Horror
  10. 10. Bird in a Cage
  11. 11. Algorithms

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