laut.de-Kritik

Als habe man Jan Delay mit Massiv gekreuzt ...

Review von

"Eine ganz besondere Überraschung" als Ersatz für ein Solo-Album hatte Kollegah im letzten Jahr für 2009 in diversen Interviews angekündigt. Recht hat er behalten. Ich bin überrascht. Aber leider nicht ansatzweise positiv. Denn was Deutschlands hoffnungsvollste Buchstaben-Schnellfeuerwaffe auf seinem ersten Kollabo-Album abliefert, ist angesichts seiner bisherigen Veröffentlichungen schon fast desaströs. Doch rollen wir das Feld von hinten auf.

"Jung, Brutal, Gutaussehend" - das sind 15 Tracks ohne Firlefanz, ohne Skits, ohne Lückenfüller. Leider aber auch ohne herausragende Produzenten-Leistung. Man hat bei Selfmade gut daran getan, das Schwanensee-Mashup "Mitternacht" vorab zu veröffentlichen. Denn abgesehen davon, dem flächigen "Schwarzgeld"-Stakkato und einem malerischen Sirenengesang, der "Die Härtesten Im Land" untermalt, ist nicht viel geboten.

Für den Rest greifen die beteiligten Soundarchitekten, allen voran Woroc und Rizbo, nicht all zu tief in die kreative Trickkiste: Gunshots, Chöre, Synthies und eine finstere Drumprogrammierung heben das Duett nicht unbedingt aus dem Einerlei der zeitgenössischen Großmaulkunst hervor. Auch das Cembalo, das man den Herren "Gangbanger" zur Seite stellt, habe ich andernorts schon mehrfach vernommen.

An sich noch kein Beinbruch. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass eine gewisse Sorte Inhalt eine entsprechende Präsentation braucht. Da wird der Hit-Korridor einfach verdammt eng. Aber wenn es im wie im Fall von "Alphamassaka" auch handwerklich noch hapert, dann sei ein kritischer Stirnrunzler schon mal erlaubt. Zumindest im Eurodance-Ersatzteillager hat man sich dieses Mal nicht bedient. Ob das dem Album allerdings zum Vorteil gereicht, sei dahin gestellt. Seis drum: Abwechslung wurde bei dieser Veröffentlichung von Vornherein klein geschrieben, das haben die beiden Protagonisten ja ausreichend prophezeit.

Womit wir denn auch beim Kern des Problems angekommen sind. Es mag sein, dass sich Farid und Kollegah privat bestens verstehen. Schön. Dass ihnen allerdings niemand eröffnet hat, dass dies kein zwingender Grund für ein gemeinsames Album ist: weniger schön. Kollaboration bedeutet Zusammenarbeit. "Jung, Brutal, Gutaussehend" klingt wie das Gegenteil. Nicht, dass sich die zwei abwechselnd die Show stehlen würden - leider nein: Beide büßen ihre jeweiligen Stärken ein.

Farid Bang, bei dem ich manchmal das Gefühl habe, man könne ihm beim Denken zusehen, würde ich sein Straßengehabe mit viel Wohlwollen und aus purer Lust am Entertainment ja vielleicht noch irgendwie abnehmen. Sein teilweise schmerzhaft überschaubarer Einfallsreichtum und die fragwürdige Souveränität im Vortrag, der noch dazu klingt, als habe man Jan Delay mit Massiv gekreuzt, verhindern das allerdings bravourös.

Wenn er, wie in "Sonnenbank Pimps", schlussendlich auch noch zur Double-Time ansetzt, bricht das empfindliche Kartenhaus, das da Unterhaltung heißt, endgültig zusammen. Ein Bangsches Lyrik-Kleinod der Kategorie 'So schlecht, dass es schon wieder gut ist' gefällig? "Muskulatur / Kuck' auf die Uhr." Und das ist noch nicht mal aus dem Zusammenhang gerissen. Es gibt nämlich keinen. Ergo: Seine Stärke ist, nicht neben Kolle am Mic zu stehen.

Kollegah, bei dem ich wiederum manchmal das Gefühl habe, er könne schneller sprechen als ich zuhören, setzt indes den "Chronik II"-Trend fort und lässt auf weiten Strecken die Double-Time-Triple-Rhyme-Architektur missen. So funktioniert das Prinzip Kollegah aber nicht mehr vernünftig. Denn durch Wortspiele alleine zeichnete er sich nie aus. Wenn aber selbst diese dann auch noch in niedriger Frequenz, sinkender Originalität und obendrein gefühlt wiederholt auftauchen, lässt mich das doch langsam am Alpha-Genpool zweifeln.

Auch sein drittes Markenzeichen, der ultra-überhebliche Flow, krankt neuerdings hörbar an dem Versuch, immer noch ein Spur desinteressierter zu klingen. Der Klempner sagt: Nach fest kommt ab. Ich sage: Nach tight kommt schwach. Es scheint, als weiche die coole Arroganz eines hungrigen Newcomers nach und nach der gelangweilten Müdigkeit eines neureichen Pimpfs, der sich nun auf seinen - zu recht verdienten - Lorbeeren ausruht.

Hinzu kommt, dass sein Partner Bang ziellos und auffallend aggressiv im gesamten Rap-Zirkuszelt herumballert. Vor allem das Deluxe-Lager und deren nahezu altehrwürdiges Oberhaupt bekommen ordentlich Breitseite. Eine derart offensive und inflationäre Beef-Kanonade seitens eines Greenhorns irritiert, wirkt peinlich ungelenk und wirft drittens ein unschön-indirektes Licht auf den zweiten Mann im Boot.

Man wird den Eindruck nicht los, der Gute hebe einfach überall pro forma sein Beinchen, um zu sehen, ob nicht einer von den Großen zu bellen anfängt. "Ich rap' besser als Samy Deluxe", ließ er gar unlängst verlauten. Aha. Aber gut, ohne das Maß an Größenwahn, das das Genre per se fordert, hätte es auch jener seinerzeit nicht weit gebracht. Bei ihm hatte ich jedoch nie Zweifel, dass auch die besten seiner Lines aus eigener Feder stammen.

Kollegah bleibt dissbezüglich eher sparsam und lässt sich nur zu einem soften Touché in Richtung Sido hinreißen. Allerdings stellt er sein Licht mit der drastischen Verknappung seines eh schon sehr sportlichen Themenrepertoires nicht nur unter den Scheffel, sondern pustet es fast aus: Die durchgängig deklamierte Beischlaf-Zwangsverpflichtung sämtlicher Mütter, Töchter, Schwestern und Nutten aller Herren und Länder steht dem Kanada-Germanen in dieser Fülle einfach nicht zu Gesicht.

"Die asozialste Platte seit den Zuhälter-Tapes" sei es dank dieses Kunstgriffs geworden. Je nachdem, wie man 'asozial' heute einorden darf, kann ich dem voll, bzw. gar nicht beipflichten. Fest steht: Toni will "für die Fans" auf Biegen und Brechen zurück zu einem Image, das nie der Grund dafür war, warum man ihn heute feiert. Davon abgesehen gibt es bewiesenermaßen keinen gangbaren Weg von der Skyline zum Bordstein zurück.

Fest steht aber auch, dass viele seiner Parts Rapdeutschland immer noch in die Schranken verweisen. In Tracks wie "Banger Und Boss" oder "Die Härtesten Im Land" scheint dann auch das volle Potential immer wieder mal durch. Nur hat der unterhaltsamste und eloquenteste Prollrapper Deutschlands hier eben viel von seinem meilenweiten Abstand zur Konkurrenz verschenkt.

Gerade wenn man so weit vorne läuft, fällt so etwas dann leider besonders auf - und bei der Jury entsprechend ins Gewicht. Für sein nächstes, für 2010 angekündigtes Album sollte es ihm übrigens auch Farid Bang dann gleich tun und wieder den Weg des Einzelkämpfers einschlagen. Ich bin der festen Überzeugung, damit ist beiden geholfen.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Ghettosuperstars
  3. 3. Banger & Boss
  4. 4. Flaschen Auf Den Türsteher
  5. 5. Sonnenbank Pimps
  6. 6. Alphamassaka
  7. 7. Gangbanger
  8. 8. Schwarzgeld
  9. 9. Mitternacht
  10. 10. Die Härtesten Im Land
  11. 11. Wir Ficken Ein Paar Bonzen
  12. 12. Die Straße Kuckt Zu
  13. 13. Butterfly feat. Billy 13
  14. 14. Crime Time
  15. 15. Jung, Brutal, Gutaussehend

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88 Kommentare mit 9 Antworten

  • Vor 15 Jahren

    Teils doch sehr treffende Sätze in der Review. Habe die Platte noch nicht ganz gehört, sehe das bis jetzt bezüglich Farid aber sehr ähnlich, das Samy-Ding hätte er sich verkneifen müssen, das ist einfach nur lächerlich.

  • Vor 15 Jahren

    Ich fick deinen Kopf wie Günther Netzers Friseur!

    Sind ein paar witzige Lines dabei, aber insgesamt nervt mich Farid einfach.
    Gibt 2-3 ganz brauchbare Tracks und Mitternacht als richtig guten Track, aber das wars auch schon.

  • Vor 15 Jahren

    Farid Bang nervt.

    Er hört sich an wie ein deutscher Frosch, der zuviel Zeit in der Türkei vorbracht hat. Zudem muss ich der Review zustimmen: Ein sehr einseitiges Programm.

    Wie auch immer... für unsere ganzen kleinen junior Gangster wirds reichen!

    Gruß Akronym