laut.de-Kritik
Songgewordene Kuscheldecken für kalte Tage.
Review von Sven Kabelitz"Für mich war das Machen des Album so, als ob ich einen Haufen Musiker, Ex-Boyfriends, köstliches Essen und geheime Tagebücher in eine große Waschmaschinentrommel geworfen und das Ganze dann bei Höchsttemperatur so lange geschleudert hätte, bis schlussendlich ein wunderbares buntes Kleid herauskam, das ich schrecklich gern anziehe."
Etwas abgetragen ist "Someone 'nicht mehr ganz so' New" aber bereits. Im Juni 2010 veröffentlicht, findet es erst im Mai 2012 seinen Weg nach Deutschland. Die Musik von Lail Arad klingt deswegen nicht weniger frisch, frei, fröhlich von der Leber. Gerade das ist es auch, was die sympathische Pop-Folk-Singer/Songwriterin in ihren zwölf Kurzgeschichten auszeichnet: Eine kleine dezent verabreichte Portion Humor.
In "Over My Head" geht es gleich glückseligschunkelnd mit Klavier, Flöte und Posaune los. Man könnte sich jetzt auf die Zeile "The Internet Is Something I Don't Get" stürzen, Kritik an Gesellschaft und unserer Entwicklung suchen. Doch die Wahrheit ist viel profaner. "The universe is way over my head / the internet is something I don't get / the economy is beyond me / but you're the biggest mystery to me." Das größte Rätsel der Welt besteht noch immer zwischen Frau und Mann, und es ist weniger zu fassen als das Internet, die Kriege im nahen Osten, das Universum und der ganze Rest.
Ein weitere Lobhudelei auf das von Klaus Wowereit regierte Hundeklo leistet sich Frau Arad in "Everyone Is Moving To Berlin". Unter dieser Glückseligsprechung der Hauptstadt der arbeitslosen Mediengestalter aus Oberschwaben verbirgt sich ein rollender Talking-Blues mit gezupfter Gitarre und vielleicht doch einem Hauch von Ironie? Schließlich zieht es am Ende doch alle auf die Bermudas.
"Winter", mit laufender Tropfnase, akustischer Gitarre und bedächtiger Orgel, ist eine songgewordene Kuscheldecke, eine Kolter für kalte Tage. Single im Sommer kann eine Lebenseinstellung sein, aber "who wants to be free when it's freezing?"
Das lustige "Captcha" zeigt sich als Kazoo-Stomper, der leider ausgerechnet beim Refrain abstinkt. Da wäre mehr gegangen. "Reminds Me Of You" ist purer Gute-Laune-Country-Pop und Lily Allen-Methadon. Lail Arads Stimme kippt nicht nur einmal bedenklich Richtung Jodeln.
Als Best-Of sämtliches The Kinks-Singles gibt sich "Who Am I?" vergangenen Melodien hin, während die Protagonistin des Songs mit ihren alten Werten und Idealen kämpft, sich in einer neuen Welt verliert. Früher hippiesk, bandet sie nun mit dem Anzugträge seinem schönen Moustache und dem vollem Bankkonto an. Die alten Kinks-Platten werden nur noch heimlich gehört. "She listens to the Kinks behind closed doors / but she knows she's not a hippy anymore."
Im Kuhglocken-Rocker "The Pay You Have To Price" stürmt sie hektisch wie ein Wirbelwind durch Sprachen, Dialekte und Bettkanten-Klischees. Den Japaner zieht es zu synthetischen Drogen, der Spanier ist untreu, ohne Mama geht beim Italiener nichts und der Franzmann hält einige Überraschungen in Form von Geschlechtskrankheiten parat.
"Someone New" ist schön gestrig, scheint den Schlagbaum zum neuen Jahrtausend nie gesehen zu haben. Meilenweit an jedem Trend vorbei feiert Lail Arad das süß-saure Leben. Nur in manchen Momenten fehlt der letzte Funke, um ihr Debüt zu etwas Besonderen zu machen. Unterhaltsam ist die britisch-israelische Sängerin aber allemal.
3 Kommentare
herrlich schöne begründung, songs zu schreiben
Aber was ist eine Kolter?
das cover dürfte hier der wahre kaufverweigerungs-grund sein.