laut.de-Kritik
Electronica und verhallter Gesang geleiten in eine verwunschene Märchenwelt.
Review von Toni Hennig"Ich denke, wir haben in diesen ganzen Jahren gelernt, dass sich diese Reise hervorragend ohne Landkarte bewerkstelligen lässt. Genau genommen haben wir uns sogar angewöhnt, die Karte nach jeder Drehung, nach jeder Kurve zu zerreißen – was immer wieder ein Genuss ist", sagte Louise Rhodes über das letzte Lamb-Album "Backspace Unwind" (2014). Das lebte mehr von eingängigen Rhythmen als sonst. Die garnierte man wahlweise mit Streichern.
Seitdem hat sich viel getan. 'Lou', so der Rufname der Sängerin und Texterin, hat mit "Theyesandeye" eine ruhige Folk-Platte aufgenommen und Soundtüftler Andy Barlow co-produzierte "Songs Of Experience" von U2. Außerdem begab sich das britische Duo anlässlich des 21. Jubiläums ihres selbstbetitelten Debüts von 1996 auf eine Tournee, die sie unter anderem in die Kathedrale von Manchester führte, dokumentiert auf "Live At Manchester Cathedral". Diese Erfahrungen färben ebenso spürbar auf "The Secret Of Letting Go" ab.
"Phosphorous" greift zunächst die einprägsamen Momente des Vorgängers wieder auf, wenn Rhodes zu nachdenklichen Piano- und Elektronikklängen ätherisch ins Mikrofon haucht. Das mutet aufgrund seiner Sparsamkeit und seiner Kürze aber mehr wie eine grobe Skizze als ein Song an. So auch "Moonshine", das durch die rhythmischen Percussions und dem Sprechgesang des irischen MCs Cian Finn sogar mit Ragga-Einflüssen nicht geizt. Trotzdem muss man keine Angst davor haben, dass Lamb jetzt zu einer Gute-Laune-Band mutieren. Genreübergreifende Ansätze haben sie nämlich so in ihre Musik integriert, dass sie der Intensität des Gesamtwerkes keinen Abbruch tun.
Daher vollzieht "Armageddon Waits", das mal als Anspieltipp genannt sei, eine Kehrtwendung um satte 180 Grad, könnte der Song mit seiner dramatischen Melodieführung und seinem üppigen Streicher- und Bläsereinsatz doch in der Form genau so auf einem James Bond-Soundtrack stehen. Das klingt schon alleine wegen der kraftvollen Stimmführung von 'Lou' elegant und mitreißend.
Dementsprechend gleicht kein Stück dem anderen. Das macht die Platte unheimlich vielschichtig und spannend. Es wechseln sich verspielte Breakbeats ("Bulletproof"), reduzierte Maschinensounds ("The Secret Of Letting Go"), mit orchestralen Elementen unterlegte Balladen ("Imperial Measures", "The Other Shore"), jazzige Polyrhythmik ("Deep Delirium") und versponnener Art-Pop im Julia Holter-Stil ("One Hand Clapping") nacheinander ab, ohne dass der Klangfluss darunter leidet. Dazu kreieren die Briten die unterschiedlichsten Stimmungen, von verträumt ("One Hand Clapping") über intim ("The Other Shore") bis hin zu geradezu zerrissen ("Deep Delirium").
Vor allem im Titelstück, das entstand, als das Duo quasi beschlossen hatte, getrennte Wege zu beschreiten, kommt eine gewisse Gegensätzlichkeit, die sich durch die gesamte Scheibe zieht, besonders zum Tragen. Da heißt es zu entschleunigter Elektronik und melancholisch schwebenden Streichern: "The secret of letting go is forgetting to hold on." Das soll also das Geheimnis des Loslassens sein. Gut, dass es sich Rhodes anders überlegt hat und doch noch an Barlow festhielt.
Dagegen stimmt das schon vor eineinhalb Jahren als Single veröffentlichte "Illumina" mit einer strahlenden Electro-Pop-Hook, lasziv dargeboten, deutlich versöhnlichere und optimistischere Töne an, nachdem das sehr an das Debüt gemahnende Instrumental "Deep Delirium" wegen des hektischen Drummings, den disharmonischen Streichern und den hitzigen Trompeten noch von nervösen Spannungszuständen geprägt ist.
Die lösen sich jedoch in "One Hand Clapping" letzten Endes auf, wenn exotische Percussions, kunstvolle Orchestrierung, ambiente Electronica und verhallter Gesang in eine verwunschene Märchenwelt voller Geheimnisse führen. Das deutet eventuell an, wohin es mit Lamb einmal hingehen könnte, aber das weiß man bei ihnen ohnehin nie. Auf jeden Fall erfreut man sich erstmal daran, dass sie diverse Stimmungen zu einer aufregenden Klangreise zusammenführen, die musikalisch in alle möglichen Richtungen ausschlägt.
8 Kommentare mit einer Antwort
Die gibt es auch noch? Gabriel, Wonder, Gorecki - unvergessen.
genau Gorecki!!
Kann man gut durchhören. Nerviges DnB Gefrickel wurde weiter zurückgefahren und Lou Rhodes verzichtet endlich auf übermäßige Dramatik im Gesang. Wirklich sehr angenehm.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 5 Jahren durch den Autor entfernt.
Zu geradlinig und wenig aufregend....Zu viele kitschige Balladen... Frustrierend, wie save sie es auf diesem Album spielen. Kaum zu glauben, dass diese Band einst in der Lage war, uns mit genialer, aufregender Musik zu bescheren, ich denke da an Stücke wie Cottonwool, God Bless, Gold, Gorecki, Little Things und Bonfire, aber auch What Sound und Gabriel hatten noch was, ebenso waren viele Stücke auf den zwei nach der vorläufigen Trennung im Jahr 2009 entstandenen "Comeback"-Alben noch sehr hörbar....Lamb, was habt ihr eigentlich noch musikalisch zu sagen???
...treffen sich nach langen Jahren PORTISHEAD und ARCHIVE bei LAMB, trinken was zusammen und quatschen über KRAFTWERK, CAN und LEGENDARY PINKDOTS. Kurz kommt APHEX TWIN noch auf ne Tüte rein.
Am nächsten Tag liegt uns dann SOWAS vor.