laut.de-Biographie
Lana Del Rey
"Egal wo auf der Welt Lana sich befindet, ihre Liebe zu Film Noir, italienischen Landschaften, großen Kirchen, Achterbahnen und der Hinterlassenschaft vergangener Stars wie Bette Davis, Kurt Cobain, Nina Simone und Elvis sind die Revue für ihre Musik, und ihre Liebe zu New York ist ihr Herzschlag."
So dick aufgetragen die umschreibenden Zeilen, so treffend sind sie zugleich. Denn Lana Del Rey, die eigentlich Lizzy Grant heißt, taucht - nach einer wenig beachteten selbstproduzierten Songsammlung im Jahr zuvor - 2011 mit Trommelwirbel auf der YouTube-Bühne auf: Ihre Single "Video Games" vereint in Ton und Bild ein riesiges Sammelsurium popkultureller Gesten.
Egoshooter-Ausschnitte mischen sich mit Skaterpark-Super8-Aufnahmen, Elvis stolpert über die Bühne, und über allem steht Del Rey lasziv-gelangweilt an eine Wand gelehnt und singt von Liebe mit einer Stimme, die augenblicklich erklärt, warum sie sich selbst "Gangsta Nancy Sinatra" nennt.
Ihre Lippen sind unübersehbar aufgespritzt, ihr Blick bleibt unterkühlt wie der einer welterfahrenen Grande Dame, während cinematoskopische Streicher und Harfe die eindringlich-glamouröse Stimme erhaben durch Baroque Pop-Landschaften tragen. "Video Games" tritt eine Lawine los, die von Guardian über die Blogosphäre bis zur BBC überall Rätselraten hinterlässt: Wer ist diese Lizzy Grant eigentlich?
Allen Betrachtern gemein ist der Eindruck: Hier hat sich ein Kunstprodukt ganz im Sinn von Lady Gaga in präziser Detailarbeit selbst zusammengepuzzelt. Lana Del Rey inszeniert sich 2011 mit gerade 24 Jahren ganz nach Belieben mal als White Trash-Trailer-Park-Ikone, Twin Peaks-Unschuld mit dunkler Facette oder als pompöse Millionendiva, die als MySpace-Referenzen Britney Spears, Frank Sinatra und The Weeknd unter ein Dach stopft.
Geboren in der Kleinstadt Lake Placid im Bundesstaat New York, hat Del Rey in Alabama, New Jersey und New York City gelebt, bis sie schließlich London zum Hauptwohnsitz erklärt. Ihr erklärtes Ziel ist es, "das musikalische Äquivalent zu einem Vincent-Gallo-Film" zu sein. Als große Gabe entpuppt sich dabei neben einer beeindruckenden Stimme und dem künstlerischen Selbstbewusstsein ("Ich bin zuerst Songwriterin, dann Sängerin") die Leichtigkeit, wie sie die Facetten wechselt - eben noch das kokette Not-give-a-fuck mit Zigarette im Mundwinkel, schon die schmollmundige Sex- und Modeikone à la Brigitte Bardot. Hier schwelgerischer 50s/60s-Vintagepop im Moviestar-Look, dort jugendlicher "Hollywood Pop" auf der Bühne mit Mando Diao.
Im Studio arbeitet sie an ihrem richtigen Debütalbum mit Eg White (Adele, Duffy), Chris Braide (Cheryl Cole, Paloma Faith), Guy Chambers (Robbie Williams, Katie Melua), und den Newcomern Robopop (Neon Hitch, Gym Class Heroes). Hier weiß jemand ganz genau, wie sie rezipiert werden möchte. Das überrascht etwas weniger, wenn man weiß, dass Del Rey schon eigene Songs geschrieben hat, seit sie mit elf dem Lake Placid-Kinderchor vorstand.
Alles an Lana Del Rey, von der Musik bis zur Stilisierung eines verhältnismäßig regressiven Frauenbilds, ist Cut-up. Pop in Perfektion. Dafür lieben sie Presse wie Fans.
Perfektion ist es jedoch nicht, wonach sie auf ihrer zweiten Major Label-Platte "Ultraviolence" strebt. Gemeinsam mit The Black Keys' Dan Auerbach im Produzentensessel filtert sie ihren Sound, verbannt jegliche Fröhlichkeit, die auf "Born To Die" zumindest noch in Ansätzen vorhanden war, und labt sich an ihrer eigenen Traurigkeit.
So schleicht sich neben psychedelischen siebenminütigen Tracks auch das ein oder andere atonale Gitarrensolo in den Vintage-Sound ein. Für "Ultraviolence" plante Del Rey sogar, mit Lou Reed zu kollaborieren. Das Vorhaben scheitert jedoch. Am Tag, als Lana nach New York einflog, um mit ihm auzunehmen, verstarb das Velvet Underground-Urgestein.
Sie selbst wird in Interviews nicht müde zu betonen, wie gern auch sie tot wäre: "Ich wünschte, ich wäre schon tot. Ich will nicht weitermachen, aber ich tue es. Ich hätte zwar Angst, wenn ich wüsste, dass ich sterbe, aber so fühle ich mich nunmal."
Als "wahren Provokateur" sieht sie sich jedoch nicht: "Bei mir gibt es keine Schockelemente - okay, vielleicht die gelegentlich bestürzenden Lyrics. Andere Leute haben die Kritik verdient, weil sie sie geradezu herausfordern. Kritik gegen mich ist persönlich."
Auch drei Jahre nach dem Durchbruch mit "Video Games" hat sich die Sängerin noch nicht wirklich mit dem daraus erwachsenen Megaerfolg angefreundet. "Ich habe deswegen noch nie so etwas wie Genuss gefühlt", sagt sie. "Alles daran war schlecht. Alles."
Dennoch löst sie sich auf dem Nachfolger "Honeymoon" (2015) von ihrem schwermütigen Image und knüpft stilistisch an "Born To Die" an. Die Scheibe stellt mit melancholischen und opulenten Sixties-Balladen wie das Titelstück, sommerlichen Trap-Nummern wie "High By The Beach" und großen Pop-Epen wie "Salvatore" ihre Vielseitigkeit eindrücklich unter Beweis. Das Album verfehlt in Großbritannien und den USA nur knapp die Spitzenposition der Charts. Es landet in beiden Ländern auf Platz zwei.
Mit "Lust For Life" (2017) positioniert sich die Sängerin nicht nur musikalisch im Hier und Jetzt, sondern trifft auch politisch die richtigen Töne. Den Brandherden auf dieser Welt entgegnet sie mit Optimismus und Zuversicht. Nicht ohne Grund enthält die Scheibe viele Querverweise in Richtung Woodstock. Als Gäste wirken unter anderem Fleetwood-Mac-Sängerin Stevie Nicks und Sean Ono Lennon, John Lennons Sohn, mit. Rapper A$ap Rocky, R'n'B-Superstar The Weeknd und die insgesamt modernere Klangästhetik sorgen dagegen für die nötige Coolness und Frische auf dieser Scheibe.
Auch privat scheint sie sich in ihrer neuen Wahlheimat Los Angeles wohlzufühlen. Sie knüpft dort Kontakte zur Indie-Folk-Community um Father John Misty und The Last Shadow Puppets. In einem Interview für die Neue Westfälische sagt sie: "Ich bin um einiges lockerer und toleranter geworden." Nur einer Person wünscht sie alles erdenklich Negative, nämlich Donald Trump, wie sie zu Beginn seiner Präsidentschaft verraten hat.
"Norman Fucking Rockwell!" gerät 2019 zu einer Art Opus Magnum: Mühelos verbindet sie Folk und sanften Psychedelic Rock mit jazzigen Elementen und kreiert daraus einen ganz eigenen, von ihrer wehmütigen Stimme getragenen Sound. Die Kritiker überschlagen sich und auch wenn die Songs vielleicht weniger kommerziell ausfallen, erntet Lana Del Rey wieder hohe Chartsplatzierungen. Einen Dämpfer müssen ihre Fans im Frühjahr 2020 hinnehmen, als die Amerikanerin ihre Europa-Tournee kurzfristig absagt, wovon auch Auftritte in Köln und Berlin betroffen sind. Grund sei eine überraschend aufgetretene Krankheit: "Ich habe meine Gesangsstimme komplett verloren und die Ärzte haben mir vorerst vier Wochen Ruhe verordnet. Ich hasse es, alle im Stich zu lassen, aber ich muss nun rasch genesen", heißt es in ihrer Begründung.
Zu diesem Zeitpunkt ahnt noch keiner, dass die Tour ohnehin nicht stattgefunden hätte, da kurz darauf die Covid-19-Pandemie die Welt in Atem hält. In der Isolation arbeitet Del Rey weiter an ihren Gedichten, die im Spätsommer 2020 in ihrem Debüt-Band erscheinen. Parallel dazu erscheint mit "Violet Bent Backwards Over The Grass" eine vertonte Version auf CD und LP. Das geplante, zweite Buch "Behind The Iron Gates – Insights From The Institution" erscheint leider nicht, weil ein Dieb das bereits fertige Manuskript aus ihrem Auto entwendet. Stattdessen veröffentlicht sie im Herbst zwei Cover-Versionen: Einen Remix von Matt Measons "Hallucinogenics" und anlässlich einer FC Liverpool-Dokumentation eine Interpretation der Club-Hymne "You'll Never Walk Alone" von Gerry & The Pacemakers.
Eigentlich schon drei Jahre zuvor angekündigt, erblickt im März 2021 "Chemtrails Over The Country Club" das Licht der Welt. Im Gegensatz zum Art-Pop von "Norman Fucking Rockwell" liegt der Fokus nun wieder auf Americana und Indie-Folk. Nur ein paar Monate später folgt "Blue Banisters". "Thunder" und "Dealer" stammen aus einer Session mit Miles Kane von The Last Shadow Puppets. Wie ein Match wirkt auch "Watercolour Eyes". Der natürlich tieftraurige Song - eigentlich als Opener für "Blue Banisters" geplant - begleitet 2022 die zweite Staffel der bei Jugendlichen beliebten HBO-Serie "Euphoria" und stellt noch einmal klar, dass Del Rey immer noch fest zur gegenwärtigen Popkultur gehört.
Taylor Swift bittet sie zu einer Zusammenarbeit, die den Namen "Snow On The Beach" trägt. Auch Billie Eilish nimmt die Chance war und führt mit ihr für das Esquire-Magazin ein Interview, in dem Lana bereits über ihr neuntes Album "Did You Know That There's A Tunnel Under Ocean Blvd" spricht, das im Januar 2023 erscheint.
Erneut arbeitet sie mit ihrem guten Freund und Produzent Jack Antonoff zusammen. In "Margaret" schreibt sie sogar ein Lied über seine Verlobte. Weniger harmonisch verläuft die Kommunikation nach ihrer Zusage, auf dem Glastonbury Festival zu spielen. Auf dem Festivalplakat platziert man ihren Namen erst an die siebte Stelle, da sie nicht auf der Pyramid Stage auftritt, sondern die Other Stage headlinet. Das Plakat listet zunächst alle Pyramid-Stage-Acts, gefolgt vom Rest in alphabetischer Reihenfolge. Das Festivalkommittee war mit dieser Regel wohl selbst nicht ganz glücklich, denn kurz darauf erscheint eine überarbeitete Fassung, in der Lana in derselben Schriftgröße direkt hinter die Main-Headliner Guns N' Roses, Arctic Monkeys, Elton John und Lizzo platziert wird.
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