Porträt

laut.de-Biographie

Lil Wayne

Im Sommer 2007 diskutiert eine Handvoll Experten bei MTV über den heißesten Rapper der Stunde. Nach langem Hin und Her kommen Journalisten und Szenekenner zu einem Ergebnis: Nicht Kanye West, 50 Cent, The Game, Nas oder Jim Jones - keiner kann dem Cash Money-MC Lil Wayne das Wasser reichen.

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Plötzlich fragen sich nicht nur alteingesessene Rap-Fans: Was geht? Wieso kommt Wayne der Rolle plötzlich tatsächlich immer näher, in der er sich selbst sieht: "best rapper alive"?

Mitte der 90er Jahre entsteht in New Orleans i Louisiana ein kleines Imperium. Ein Funke entfacht die Fackel des Hip Hop genau da wieder, wo das Genre oft vergessene Wurzeln besitzt. Zehn Jahre zuvor, am 27. September 1982, erblickt eben hier Dwayne Michael Carter, Jr. das Licht der Welt.

Schon ehe Bambaataa Kraftwerk sampelt und Kool Herc den Strom für seine Soundanlage von den Straßenlaternen zapft, emanzipieren sich Anfang des 20. Jahrhunderts afroamerikanische Musiker in New Orleans. Sie mischen musikalische Einflüsse aus der alten Heimat Afrika mit dem Sound, der ihnen von eingewanderten Militärkapellen aus Mexiko und anderen Ländern des südlicheren Amerikas zu Ohren kommt.

Brass Bands ziehen durch die Straßen der Wards. Viele dieser Musiker tragen den Jazz in den Norden und liefern schließlich im New York der 1920er und 30er Jahre den Soundtrack für die Harlem Renaissance.

In diesem Umfeld unterschiedlicher musikalischer Einflüsse wächst Dwayne auf. Neben der romantisch-kreativen Seite geht es in New Orleans jedoch oft auch ums nackte Überleben. Zumindest Teile New Orleans' stehen oft zitierten Ghettos wie South Central L.A. oder Southside Queens in New York im Hinblick auf Durchschnittseinkommen oder Kriminalitätsrate in nichts nach. So auch der Bezirk Hollygrove, in dem Dwayne mit seiner alleinerziehenden Mutter die ersten zehn Jahre seines Lebens verbringt. Ein Umzug in den 17th Ward verbessert die Situation nicht.

Dwayne kommt in Kontakt mit Rap-Musik. Das ortsansässige Label Cash Money Records versucht sich gerade daran, Künstler wie Kilo-G, Pimp Daddy und U.N.L.V. bekannt zu machen. Das gelingt den Gründern und Brüdern Ronald 'Slim' und Brian 'Baby' Williams recht gut. Einige Tausend Tonträger verkaufen sich und finden im heranwachsenden Dwayne einen ihrer Fans.

Mit elf Jahren rappt er bereits auf Partys, wo ihn die Cash Money-Rapper von U.N.L.V. entdecken. Bei einem ersten Vorsprechtermin halten Baby und Slim den jungen Mann zwar für talentiert, aber noch zu jung für einen Deal. Sie hatten gerade erst den nur zwei Jahre älteren B.G. (Baby Gangsta) unter Vertrag genommen.

Doch Dwayne beweist Ehrgeiz. Konstant hinterlässt er Freestyles auf Cash Money-CEO Babys Anrufbeantworter, der ihn wenig später doch unter seine Fittiche nimmt. Was wiederum Dwaynes Mutter nicht wirklich gefällt. Sie misstraut dem Cash Money-Verein und verbietet ihrem Sohn den Umgang mit den Beteiligten.

Der Wunsch, Rapper zu werden, ist aber zu stark. Dwayne haut ab, um im Cash Money-Studio vor dem Mikro zu stehen. Die Mutter lässt sich überreden und findet kurz darauf heraus, dass das eigene Zuhause weit größere Gefahren birgt.

Mit der illegalen Waffe des Stiefvaters schießt sich der zwölfjährige Dwayne selbst in die Brust. Mehrere Wochen ringt er mit dem Tod. Er überlebt, doch sein Stiefvater muss für sechs Monate in den Bau. Kurz nach seiner Entlassung wird er von Unbekannten erschossen.

Auf diesen schweren Schock hin bietet Cash Money-Chef Baby Dwaynes Mutter an, fortan für ihren Sohn zu sorgen: der tragische Beginn einer großen Karriere. Wenig später veröffentlicht Dwayne (mittlerweile trägt er den Namen Lil Wayne) gemeinsam mit B.G. sein Debüt "True Story".

Als The B.G.'z (Baby Gangstaz) stehen nun also der 13-jährige Wayne und sein 15-jähriger Kollege auf der Bühne und erzählen vom juvenilen Leben zwischen Kriminalität und unendlichem Reichtum, den sie bei dem immer erfolgreicher werdenden Cash Money-Label am eigenen Leib erleben.

Tatsächlich macht der lange noch nicht volljährige Wayne waschechten Gangsta-Rap. Dabei wirkt er zumindest unter Kollegen überzeugend. Auf Wayne und seinen Kumpel B.G. geht unter anderem der Begriff "bling bling" zurück, den sie, dick behangen mit Juwelen, immer wieder in ihren Texten benutzen.

Das Gruppenkonzept bestätigt sich sowohl für Lil Wayne und B.G. als auch für Cash Money. Ihren bis dato größten Coup landet das Label mit einem Millionenvertrag mit Universal für die neu gegründete Gruppe Hot Boys mit Beteiligung von Juvenile, Lil Wayne, B.G. und Turk.

Lil Wayne - No Ceilings 3
Lil Wayne No Ceilings 3
Das alternde Schlachtross spielt noch eine letzte Saison.
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Unter Federführung des musikalischen Aushängeschildes Mannie Fresh avanciert das 1997er Hot Boys-Debüt "Get It How U Live!" zum Riesenerfolg. Mehr Synthie-Sound, mehr Gangstergeschichten und das Cash Money-Label strahlt mitsamt Master Ps No Limit Records als hellster Stern über dem Himmel New Orleans'.

1999 legen die Hot Boys gemeinsam mit "Guerrilla Warfare" nach. Das gleiche Jahr läutet Waynes Solokarriere ein - obwohl sein Debüt "Tha Block Is Hot" sich eigentlich nicht großartig von dem Rest der Cash Money-Releases unterscheidet.

Das Album landet auf Platz drei der heimischen Charts. Der inzwischen immerhin 16-jährige Wayne darf sich nicht nur über vorderste Chartsplatzierungen freuen, sondern auch über seine erste Tochter mit seiner gleichaltrigen High School-Liebe. Die Welt scheint perfekt.

Doch der Cash Money-Stern verliert kurzzeitig an Strahlkraft. Zumindest scheint es so. Zuerst verlassen zwei der Hot Boys (Turk und B.G.) das Label mit der Erklärung, sie bekämen zu wenig Geld. Während Lil Waynes Nachfolgealben kommerziell floppen, kehrt auch Zugpferd Juvenile dem Label den Rücken zu. Er sei nicht gebührend entlohnt worden. Vor Gericht halten die Vorwürfe jedoch weder bei B.G. noch bei Juvenile stand. Beide gehen bei ihren Schadenersatzklagen leer aus.

Gut, dass Chef Baby sich auf seinen Starproduzenten Mannie Fresh verlassen kann. Baby versucht sich selbst am Mikro und übernimmt schnell den Part des Labelzugpferds. Gemeinsam als Big Tymers verkaufen Mannie und Baby Tausende Alben, die Erfolgsmaschine Cash Money fängt sich wieder.

Lil Wayne kann froh sein, dem Laden die Treue gehalten zu haben. Chef Baby bedankt sich mit väterlicher Zuneigung, und sogar Juvenile kehrt reumütig zu Cash Money zurück.

Zu dieser Zeit kommt es schließlich auch zu einer Art Paradigmenwechsel in Lil Waynes Karriere. Nie wirklich der richtige Star bei Cash Money gewesen, will er es seinem "Daddy" offensichtlich beweisen und hievt mit endlich erlangter Volljährigkeit seine Rap-Skills auf das nächste Level. Seine Motivation erklimmt eine neue Stufe. Er veröffentlicht fortan über Jahre hinweg Mixtapes in Fließband-Manier und verbucht schließlich 2004 seinen ersten richtig großen Albumerfolg.

Die Single "Go DJ" läutet "Tha Carter" ein und entert die Clubs weltweit. Musikalisch trägt dafür erneut Mannie Fresh die Verantwortung - sein simpler Synthie-Wahnsinn funktioniert nach wie vor. Auf dem etwas ruhigeren "I Miss My Dawgz" setzt sich Wayne außerdem mit der Trennung der Hot Boys auseinander, der musikalischen Familie, mit der er seine Jugend verbrachte. Einige Jahre später sollten seine Versöhnungswünsche erhört werden.

Zuvor verkauft Wayne jedoch fast 900.000 Exemplare von "Tha Carter" und wird auf einmal für sein Rap-Talent gelobt. Offensichtlich hat Wayne tatsächlich an seinen Skills gefeilt, denn seine Reime kommen pointierter und noch verrückter um die Ecke. (Auch wenn ihm von verschiedenen Seiten unterstellt wird, er hätte einfach nur den Ghostwriter gewechselt.) Zusätzlich gesegnet mit einer einzigartigen Stimme, übernimmt er schließlich den Job von Busta Rhymes als Dauerabnehmer von Feature-Anfragen.

Den Anfang macht Destiny's Childs "Soldier", und das herkömmliche Beyoncé-Publikum fragt sich auf einmal, was dieser junge Mann mit Dreadlocks und Reibeisenstimme da neben Jay-Zs Freundin macht. Übel nehmen sie es der Girlgroup jedoch nicht, "Soldier" wandert in die Top drei der Charts.

Der Erfolg nimmt kein Ende. Baby und Slim setzen immer mehr Vertrauen in ihren Sprössling. Nach einem herben Rückschlag für Cash Money - sie verlieren mit dem Weggang von Mannie Fresh ihr musikalisches Gesicht - übertragen sie Lil Wayne als neuem Cash Money-Präsident totale Entscheidungsfreiheit, außerdem auch die Geschäftsführung des jüngst gegründeten Ablegers Young Money Entertainment. Der Rubel rollt, es wird Zeit, ein wenig überzuschnappen.

Auf dem zweiten Teil der "Tha Carter"-Reihe erklärt sich Wayne kurzerhand zum "best rapper alive". Der Jigga hatte schließlich nur ein Jahr zuvor mit seinem "Black Album" seinen Rücktritt eingeleitet. Auf einmal fragt sich die ganze Welt, was sich dieser Typ eigentlich erlaubt. Beflügelt von Kritik und, ja, Neid, erhöht Weezy Fuckin' Baby (nur einer seiner vielen Spitznamen) konstant seinen Mixtape-Output und veröffentlicht in Folge tatsächlich bahnbrechende Meisterwerke wie "Dedication" mit DJ Drama.

"Tha Carter II" klettert bis auf Platz zwei der Verkaufscharts, und das ohne einen Beat von Langzeitproduzent Mannie Fresh. Die Single "Fireman" zündet im Radio und auf Tanzflächen und die Zusammenarbeit "Shooter" mit Soul-Crooner Robin Thicke lässt die Herzen der Ladys höher schlagen.

Sowieso legt sich Weezy eine Aura des durchgeknallten Genies zu. Manche feiern seine Auftritte mit nacktem, muskelbepackten Oberkörper, bei denen er geheimnisvolle Allmachtsfantasien von sich lässt, andere sehen in Lil Wayne lediglich einen völlig überkandidelten Clown mit komischer Stimme und Drogenproblem. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen.

Fakt bleibt: Rechtzeitig zur Veröffentlichung des Kollaborationsalbums "Like Father, Like Son" mit Ziehvater Baby kann Weezy mit Fug und Recht behaupten, dass er zum Coolsten gehört, was Ami-Rap zu dieser Zeit zu bieten hat.

Daran ändert nicht einmal ein Bild, das im Internet die Runde macht und Weezy und Daddy Baby bei einem Kuss auf den Mund zeigt. Weezy ist ohnehin in aller Munde. Gerüchten zufolge datet er die selbsterklärte "baddest bitch" Trina, wird anscheinend von Jay-Z persönlich umworben, um bei Def Jam unterzukommen, gemeinsam mit Dipset-Representer Juelz Santana kündigt er das Kollabo-Album "I Can't Feel My Face" (Achtung, Drogenreferenz!) an, und immer noch bettelt die halbe Welt um einen Gast-16er.

Nebenbei findet er noch die Zeit, sich in der University of Houston für Politikwissenschaft und Psychologie einzuschreiben. Ganz so blöd kann der mittlerweile 25-Jährige also gar nicht sein. Verrückt aber allemal. Das setzt das amerikanische Complex Magazine wunderbar in Szene. Wie einige Jahre zuvor der letzte übergeschnappte Rap-Rockstar 2Pac, blickt Weezy im Dezember 2007 in Zwangsjacke vom Cover des Blattes.

Der dritte und angeblich letzte Teil der "Tha Carter"-Reihe sollte ursprünglich bereits 2007 erscheinen. Nachdem der größte Teil der Tracks aber vorab ins Netz durchgesickert war und rasend schnell den Weg auf verschiedenste Mixtapes fand, entschließt sich Lil Wayne zu einem anderen Vorgehen.

Zusammen mit vier neuen Nummern soll das nun schon bekannte Material in Form des Albums "Tha Carter III: The Leak" offiziell zum Download bereit gestellt werden. Statt dessen setzt es im Dezember 2007 aber lediglich die fünf Tracks starke EP "The Leak".

Die Single "Lollipop" auf einem Beat von Jim Jonsin bricht Airplay- und Download-Rekorde, schießt an die Spitze der Billboard-Charts und beschert Lil Wayne seinen bis dato größten kommerziellen Erfolg. Für "Tha Carter III" wird Anfang Juni als Release-Termin festgesetzt. 1,5 Millionen Vorbestellungen machen deutlich: Wir haben es mit dem meist erwarteten Rap-Album des Jahres zu tun.

Ende Mai jedoch kursiert auch diese Fassung von "Tha Carter III" vorab im Netz. DJ Chuck T bekennt sich schuldig: Er betrachtet die Indiskretion als die gerechte Revanche für einen verächtlichen Kommentar, den Lil Wayne bei einem Radiointerview wenige Tage zuvor in Richtung der gesamten DJ-Zunft abließ.

Am Erfolg von "Tha Carter III" rüttelt dies nun aber nicht mehr. Features von Jay-Z, Busta Rhymes, Fabolous, Robin Thicke, Bobby Valentino, T-Pain und Babyface bilden Gegengewichte zu Lil Waynes durchgeknalltem Irrsinn. Die Beats stammen unter anderem von Kanye West, Down South-Fackelträger David Banner, Swizz Beatz, The Alchemist und Cool & Dre.

Lil Wayne nutzt seine Popularität, um mit verschiedenen Frauen diverse Kinder in die Welt zu setzen. Vor einer Verurteilung wegen illegalen Waffen- und Drogenbesitzes bewahrt ihn sein Ruhm dann aber auch nicht. Im Oktober 2009 wird er zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt, die er im Frühjahr anzutreten hat.

Vorher bricht noch einmal hektische Betriebsamkeit aus: Lil Wayne stellt mehrere Alben fertig und dreht gleich einen ganzen Strauß Videos an einem einzigen Wochenende ab. Man will schließlich nicht in Vergessenheit geraten, während man hinter schwedischen Gardinen sitzen muss.

Die Entlassung aus der Haft empfindet Lil Wayne wie eine Wiedergeburt. "Rebirth" tauft er entsprechend sein neustes Studioalbum, das teils ungewohnt rockige Töne anschlägt. Noch im gleichen Jahr legt er "I Am Not A Human Being" nach.

Bester Rapper oder nicht: Lil Wayne gehört zumindest zu denen, die am besten verdienen: 2011 steht er auf Platz fünf der finanziell erfolgreichsten Musiker - nicht nur in den USA, sondern weltweit.

Es läuft bestens: Lil Wayne bleibt also dem eingeschlagenen Weg treu. Er setzt sowohl seine "Tha Carter"-Reihe als auch "I Am Not A Human Being" fort.

Die Themen? Alles beim Alten. Es geht um Cash und Knarren, Bitches und Weed. "R.I.P. - Rest in pussy!"

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Lil Wayne - Funeral: Album-Cover
  • Leserwertung: 3 Punkt
  • Redaktionswertung: 3 Punkte

2020 Funeral

Kritik von Mirco Leier

Ein trostloser Slasher-Film in den Straßen von Baton Rouge. (0 Kommentare)

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Frankfurt, 2013 Lil Wayne live in der Festhalle Frankfurt.

Lil Wayne live in der Festhalle Frankfurt., Frankfurt, 2013 | © laut.de (Fotograf: Stefan Holtzem) Lil Wayne live in der Festhalle Frankfurt., Frankfurt, 2013 | © laut.de (Fotograf: Stefan Holtzem) Lil Wayne live in der Festhalle Frankfurt., Frankfurt, 2013 | © laut.de (Fotograf: Stefan Holtzem) Lil Wayne live in der Festhalle Frankfurt., Frankfurt, 2013 | © laut.de (Fotograf: Stefan Holtzem)

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