laut.de-Kritik
Limbo der Kackideen, kuratiert, wie Sperrmüll nach einem Unwetter.
Review von Yannik GölzDieses Album ist eine gottverdammte Achterbahnfahrt. Normalerweise würde dieses Bild ja andeuten, es hätte viele Höhen und Tiefen. Dieses Album allerdings beginnt an seinem Höchstpunkt und rauscht dann für über eine Stunde konsequent in den Abgrund.
Ja, Lil Waynes "Tha Carter VI" lässt kurz hoffen. Es beginnt mit einem größenwahnsinnigen Gebet, passend zur Serie, und lässt dann auf "Welcome To Tha Carter" einmal die Legende völlig von der Leine. Soulsample, aggressive Drums, eine geile Line nach der Anderen. Ein heftiger Flow. Ich möchte schon Notizen für ein potentielles Loblied auf die Rückkehr zur Form von einem der besten aller Zeiten machen, und was für ein Wunder es ist, dass er so würdevoll altert. Auch der nächste Track gibt Anlass zur Hoffnung. "Bells", ein minimalistischer Trap-Beat atmet ein bisschen den Vibe eines Boxkampfes, man schaut dem Goat beim Sparring zu. An diesem Punkt möchte man wirklich an einen Lil Wayne als Elder Statesman glauben, der gegen alles Abgeschriebenwerden noch einmal den späten Karriere-Klassiker schafft.
Man würde wohl kaum denken, dass man an diesem Punkt zwar noch fast eine Stude Material vor sich hat, aber eigentlich alles Hörenswerte schon vorbei ist. Na gut, es gibt in der ersten Hälfte noch einzelne solide Momente. "Cotton Candy" mit einem gut aufgelegten 2 Chainz macht Spaß, auf "Hip Hop" gibt ihm Newcomer BigXThaPlug einen sehr soliden Refrain. Wayne rappt auch durch die Bank souverän. Es geht nicht in die Tiefe, aber man kann es sich schon geben.
Aber: Die Risse zeigen sich schon früh. "Sharks" klingt wie eine kommerzielle Eminem-Single um circa 2011, nur die beschissenen austauschbaren Features wurden modernisiert. Big Sean scheint sich ja immerhin noch zu freuen, da zu sein. Aber Jellyroll, die horrend jaulende Country-Reibeisenstimme, die gerade wirklich auf jedem großen Track auftaucht, als wäre er das pandämonische 2020er-Country-Gegenstück zu T-Pain, hätte doch echt nicht sein müssen. Er blökt irgendetwas von Ratten und Schlangen vor sich hin.
Okay, kurzer Freeze Frame: An diesem Punkt dachte ich mir noch: Hm, gut. Komm, 2025-Wayne darf eine dumme Single-Entscheidung treffen, das gehört dazu. Oh naives Kind, wie ich damals (ungefähr vor sechs Stunden) noch dachte, das wäre die schlechte Songentscheidung. Wörter können nicht beschreiben, auf welche Untiefen der Absurdität dieses Albums nun herabsinken würde. Es wird so tief gehen, dass eine Kollabo mit Kodak Black und Machine Gun Kelly namens "Alone In The Studio With My Gun" ein veritables Highlight hergeben könnte. Das heißt: Für den Rest dieser Review werde ich einfach nur eine Liste aller furchtbaren Songideen aufzählen, die Wayne um drei Uhr morgens im Weedkoma gehabt haben muss, und die trotzdem aus welchen Gründen auch immer ihren Weg auf das finale Album gefunden haben, weil Lil Wayne allergisch auf exekutive Produktion reagiert.
• "The Days": Eine absolut bis zur Lächerlichkeit überdrehte, gefühlvolle Ballade über "die Tage damals", in der motherfucking Bono singt, als wolle er Imagine Dragons oder X Ambassadors die musikalische Vorherrschaft über den Soundtrack für Autowerbungen streitig machen .
• "Island Holiday": Weezy trifft Weezer! Er covert eine der nervigsten Bands der Welt, um schlecht darüber zu flowen, wie er im Urlaub ist.
• "Loki's Theme": Was passt direkt danach? Selbstverständlich! Ein extrem melodramatischer Song mit etwas, das möglicherweise ein Metalcore-Breakdown sein soll?!
• "If I Played Guitar": Als nächstes folgt ein romantischer Akustik-Gitarren-Track, der "Rebirth" leugnet und klingt, als wäre seine Tochter ein Swiftie.
• "Peanutz 2 An Elephant": Aus irgendwelchen absolut mystischen Gründen hat Wayne fucking Lin-Manuel Miranda angeheuert, um den, ohne Scheiß und ohne jede Übertreibung, beschissensten Beat zu machen, auf den je ein ernstzunehmender Rapper gerappt hat.
• "Rari" / "Mula Komin In": Das eh schon viel zu lange Album braucht ein paar unhörbare Gastbeiträge von seinem präpubertärem Spross, richtig?
• "Maria": Hier habe ich persönlich endügltig den Verstand verloren: Zusammen mit Wyclef Jean schnappt er sich den Opernsänger Andrea Bocelli, um seine Version von "Ave Maria" über einen gottlos billigen Trapbeat zu legen. Ich weiß nicht mal, ob das gut oder schlecht ist, ich frage mich nur ehrlich: Wer möchte das? Wer hat hiernach gefragt? Was zur Hölle ist dieser Song?!
"Tha Carter VI" ist eines der komischsten Alben, die ich je gehört habe. Immerhin wird in diesem Limbo der Kackideen ganz bestimmt nicht langweilig, denn seinen nächsten Move kann man wirklich nicht vorhersehen. Aber die Qualitätssicherung ist einfach nicht vorhanden. Wie kann ein Mann, der mal die kohärentesten Mixtapes der Welt gemacht hat, dieses Album machen, kuratiert wie Sperrmüll nach einem Unwetter? Es fühlt sich wie eine extreme Version von einem modernen Eminem-Album an: Alles Talent, alle Kontakte, aber nicht den Hauch einer Vision. Wayne sagt für 70 Minuten "Random bullshit go!" und ist irgendwie trotzdem noch ein zu guter Rapper, dass es eine komplette Katastrophe ist. Es scheint, dass Wayne überhaupt keinen Draht zur RapGegenwart mehr hat.
6 Kommentare mit 2 Antworten
Das Album fühlt sich an wie ein Treffen mit einem alten Kumpel – man freut sich, ihn zu sehen, aber nach ein paar Drinks merkt man: Früher war mehr Feuer. Viele Beats sind solide, aber nicht spektakulär, und einige Features klingen eher nach Pflichtbesuch als nach Party.
Dies!
Die Bewertung hier ist doch etwas zu hart. Mit den guten Tracks kann man schon ein 3/5 Album basteln. Auch wenn man es ihm natürlich nachträgt, dass er mal so viel mehr konnte und geliefert hat.
Wobei ich selbst bei den ersten Tracks nicht den Wayne gehört habe, der mal „I‘m me“, „Nothing on me“ oder „Scarface“ eingerappt hat. Dafür habe ich mehr Nachsicht mit Sharks und These Days. Dieser Fuss im Pop gehört ja seit C3 irgendwie dazu.
Danach verliert Wayne trotz zuvor stabiler Vorstellung leider komplett den Faden wie Spanien gegen Frankreich gestern.
Und so muss man bei Carter 6 noch mehr die Rosinen picken als bei 4 und 5.
Ich muss leider nochmal nachtragen, wie unfassbar scheisse „Maria“ ist. Das klingt, als würden zwei Musikstücke unabhängig voneinander aus zwei Wiedergabegeräten kommen.
Wenn das von Wyclef stammt und er das Album kreativ begleitet hat, erklärt das einiges.
Also eure rezis sind schon unterste Schublade und das nicht erst seit gestern
Ich hab dem eine Chance gegeben, aber bei Bono war für mich das Maß voll wie beim Luft-aus-dem-Glas-Lassen in Bayern.
Bono hat sich in Lils Album eingeschlichen, wie einst in unsere iTunes-Mediatheken.
Würde ihm deshalb keinen Strick draus drehen. Also entspannt euch mal.
Lil Waynes "Revival". Dagegen klingt selbst Carter V wie Illmatic.