laut.de-Kritik

Mit wuchtigen, ausdifferenzierten Sounds zu neuen Ufern.

Review von

Lisa Nicklisch alias Lisa Who kennt man als Keyboarderin von Madsen. 2017 veröffentlichte sie mit "Sehnsucht" ein fantastisches Debüt, das jedoch weitgehend unbeachtet blieb. Sogar die Herbst-Tournee zum Album musste sie wegen zu wenig verkaufter Tickets absagen. Doch davon ließ sie sich nicht entmutigen. 2019 wagte sie den Schritt in Richtung Do It Yourself und startete eine Crowdfunding-Kampagne, um sämtliche Kosten für ihr zweites Album "Ein Neuer Beginn" zu decken. Zudem betreibt sie mittlerweile mit the shit records ein eigenes Label, auf dem es nun digital erscheint. Physische Formate sollen folgen.

Dieser Neuanfang schlägt sich schon im eröffnenden Titelstück nieder, gewährt sie uns doch "unter bunten Explosionen" einen Blick in die Zukunft. Dazu droht der Track mit knallenden Drums und überschwänglichen Keyboard-Sounds aus allen Nähten zu platzen.

Doch auch entspannte Grooves kommen wieder einmal nicht zu kurz. "Leichtigkeit" baut sich mit motorischen Schlagzeug-Klängen à la Neu! und funkelnden, psychedelischen Saitenakkorden geduldig auf. Bis Lisas Stimme einsetzt, vergehen knapp drei Minuten. Der überaus kompakte Refrain beschwört dann die Magie des Moments herauf, ruft aber auch zur Veränderung auf, wenn es heißt: "Leichtigkeit / Sie hält dich fest und gibt dich frei / Du kannst fallen und kannst weiterziehen / In jede Richtung weiterziehen."

Dieser Optimismus zieht sich auch durch "Lichtgestalt", das mit leichtfüßigen Sixties-Tönen aufwartet. Trotzdem sollte man nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen erwarten, befasst sich die Berlinerin wieder einmal mit den Ängsten, Unsicherheiten und 'was-wäre-wenns' ihrer Generation. Dabei wirft sie, wie im folgenden "Er Hat Mich Wieder Nicht Gesehen", die richtigen Fragen zur richtigen Zeit auf, wenn sie zu trockenem Schlagzeug und dengelnder Gitarre etwas "neben der Spur" singt: "Wann kommt was, das bleibt?"

Der Vergänglichkeit begegnet man auch im weiteren Verlauf, etwa wenn es in "Glücklich Ohne Dich" darum geht, sich von einer unglücklich machenden Beziehung zu lösen, während die Musik mit sphärischen Synthies und einfachen Polyrhythmen etwas nahezu Verträumtes besitzt.

Bei aller Flüchtigkeit macht sich aber immer wieder eine gewisse Sehnsucht nach Tiefe bemerkbar. So täuschen die tanzbaren Indie-Rock-Sounds in "Weit Wie Die See" nicht darüber hinweg, dass die Berlinerin im Text recht empathische Töne anschlägt, wenn sie mit sehnender Stimme versucht, ein Rätsel in Menschengestalt zu entschlüsseln und dafür wunderschön poetische Worte findet, bei denen man nur so dahinschmilzt. So lautet es im Refrain: "Weit wie die See will ich gehen, will ich gehen, dich zu verstehen."

Der Abschlusstrack "Ich Komme Mit, Ich Bin Dabei" schlägt in eine ähnliche Kerbe, kommt aber als Depressions-Ballade mit Anleihen an Lana Del Rey daher, die in einem gänsehauterregenden Postrock-Finale mündet, das von dröhnenden Gitarrenwänden und hochemotionalem Gesang getragen wird.

Gerade der Song bildet das beste Beispiel, wie sehr die Musik von Lisa Who mittlerweile in die Breite geht. Das Klangbild fällt sowohl wuchtiger als auch ausdifferenzierter aus als auf dem Debüt, woran eine Konstante nicht ganz unschuldig ist: Sebastian Madsen. Der hat erneut einige Stücke mitgeschrieben und das Album gemeinsam mit Tobias Siebert von Klez.E produziert.

Von Verlässlichkeiten handelt auch "Freundschaft", das nachdenkliche Piano- und Gitarrenklänge durchziehen. Noch nachdenklicher gerät "Nicht Wahr", wenn sich Lisa zu schleppenden Schlagzeug-Tönen und Saiten-Akkorden mit entrückter Stimme auf das Thema Achtsamkeit fokussiert. Der schönste Track des gesamten Albums folgt danach mit "In Der Natur", der nicht nur um die Natur, sondern auch um persönliches Wachstum kreist. In der Nummer erzeugen sanfte Piano- und Akustikgitarren-Sounds sowie eine flächige E-Gitarre und weitläufige Keyboards eine nahezu überwältigende Klanglandschaft, in die sich Lisa genüsslich hineinfallen lässt.

Letzten Endes bleibt zu hoffen, dass sich sie mit der Platte der Erfolg endlich einstellt, dürfte doch von himmelhoch jauchzender Euphorie bis gedankenversunkener Innerlichkeit für jeden etwas dabei sein. Zudem geizt die Scheibe nicht mit ebenso intelligenten wie berührenden Zeilen.

Trackliste

  1. 1. Ein Neuer Beginn
  2. 2. Leichtigkeit
  3. 3. Lichtgestalt
  4. 4. Er Hat Mich Wieder Nicht Gesehen
  5. 5. Müde Am Mehr
  6. 6. Weit Wie Die See
  7. 7. Glücklich Ohne Dich
  8. 8. Mutter
  9. 9. Nicht Wahr
  10. 10. In Der Natur
  11. 11. Freundschaft
  12. 12. Ich Komme Mit, Ich Bin Dabei

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