laut.de-Kritik
Das bezaubernde Indie-Mädel ist erwachsen geworden.
Review von Toni HennigKlein, bezaubernd und süß: Seit den ersten Auftritten vor über fünf Jahren begleiten Lucy Rose diese Attribute. Damit soll jetzt Schluss sein. Mit "No Words Left" legt die 29-jährige Wahl-Londonerin ein klassisches Singer/Songwriter-Album vor, das eine bislang nicht gekannte Intimität aufweist.
"Conversation" lockt zunächst auf die falsche Fährte. Die melancholischen, sparsamen Streicher und die sachte angezupften Akkorde an der Akustischen kombiniert mit ihrem leicht brüchigen Gesang wirken einladend. Doch inhaltlich sieht es nicht allzu rosig aus, wenn es im einprägsamen Refrain heißt: "No one lets me down like you do."
Thematisch kreist das Werk nämlich um eine Beziehung, an der die Protagonistin noch verzweifelt festhält, obwohl diese kaum noch eine Zukunft hat. Der Schreibprozess sei so schmerzvoll gewesen, dass sie sich danach mit einer Depression in Therapie begeben musste, erfährt man. So drücken der Platte vor allem schwermütige, oft spröde Töne ihren besonderen Stempel auf.
Schon "Solo(w)" überrascht als behutsam aufgebaute Piano-Ballade mit jazzigen Einschüben, die nachdenkliches Joni Mitchell-Flair heraufbeschwört. Auch die Traurigkeit im Gesang hat sich Lucy genau von der kanadischen Singer/Songwriter-Ikone abgeschaut. Alles Süße und Reizvolle lässt sie spätestens hier hinter sich.
Trotzdem findet man noch ein paar souligere und wärmere Töne. Die bluesigen Akkorde und himmlischen Streicherteppichen in "Treat Me Like A Woman" vermitteln Zuversicht, aber auch Wut, wenn sie singt: "I'm terrified that these things won't ever change, for all of my life".
Den schönsten Moment liefert "The Confines Of This World", wenn ihre Stimme zu spärlich angeschlagener E-Gitarre und weitläufigen countryesken Sounds zwischen Verletzlichkeit und Entschlossenheit hin- und herschwankt, wodurch ihr innerer Zwiespalt zum Tragen kommt. "What Does It Take" mutet anfänglich klagend an, nimmt aber im weiteren Verlauf eine etwas tröstendere Klangfarbe an, wenn Lucys Stimme zu verhaltenen Percussions, auf- und abebbenden Akustikgitarrentönen und dekorativen Streichern eine gewisse Milde ausstrahlt.
Ganz anders das unheimlich düstere "Save Me From Your Kindness": Die molllastigen Klavier- und E-Gitarren-Klänge, der flehende Gesang und die unheilvollen Hintergrundchöre drücken Trostlosigkeit und Schmerz aus. Im Verlauf von "Song After Song" erklingen Piano, Streicher, ihr Fingerpicking und ihre Stimme immer kraftvoller, bis sie jauchzend verkündet: "I'm still blue". Ganz in der Tradition Joni Mitchells.
Auf "No Words Left" erwächst aus dem netten, kleinen Indie-Mädel von nebenan eine erwachsene Singer/Songwriterin, die sich hinter den großen Namen des Genres nicht verstecken muss. Das hätte man dann doch nicht unbedingt erwartet.
2 Kommentare mit einer Antwort
ganz tolle scheibe.
ganz großer Wurf, der Opener alleine gibt als Anspieltipp schon die Marschrichtung vor. Die Lyrics gehen mMn nach ganz tief ins Mark, als Seelentröster würde ich das Album daher definitiv nicht sehen. Im Gegenteil, nur für gefestigte Couples und glückliche Singles mit Hang zur Melancholie.
Hat sie sogar selbst gesagt, dass sie froh ist, wenn sie mit dem Album irgendjemanden Trost spendet. Aber ja. Schon ein ziemlich düsteres Werk.