laut.de-Kritik

Sampling als erzählerische Kunst.

Review von

Seit dem Advent des abstrakten Hip Hops und der Lo-Fi-Beat-Bewegung sind Samplebeats en vogue wie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr. Und fast jeder von ihnen ist zu einem gewissen Grad von Produzenten wie Madlib inspiriert. Aber genauso wie viele dieser Instrumentals zwar kompetent kleine Szenerien und Ambientes produzieren, schwanken sie in Qualität und Ambition spürbar. Madlib selbst gehört zweifelsohne zum Olymp des Handwerks, produziert legendäre Alben seit über zwei Jahrzehnten und demonstriert auf seinem neuen Projekt "Sound Ancestors", wie viel ein Loop allein erzählen kann.

Was Madlibs Handwerk von dem seiner vielen Klone unterscheidet, ist nicht auf Anhieb ersichtlich. Für einen zynischen Außenstehenden klopfen sie alle nur Drums an die Musik von anderen. Aber genau wie die besten Texte immer gleichzeitig auch mit der eigenen Sprache ringen, diskutiert jede Produktion auf "Sound Ancestors" das eigene Medium. Sie spürt alle verborgenen Formen, Texturen und Inhalte ihres Ausgangsmaterial auf.

Formarbeit ist die grundlegende musikalische Methode, mit der Madlib produziert: Fast jeder Loop kann mit einem markanten Drumset zu einem Beat werden, aber Madlibs Produktion zielt bewusst auf die intrinsischen Grooves, die nicht augenblicklich ersichtlichen Rhythmen, die der nackte Loop entfaltet. Seine Drums müssen deshalb nichts zum Leben erwecken, sondern lediglich den kleinen Schubs zur Entfaltung geben, damit die Samples ihre Tiefen zeigen, die sich im Ausgangsmaterial nur bei äußerst genauem Zuhören andeuten. Allein die leichte Synkopation zu den Drums, die die Jazz-Piano-Line auf "Chill Out (Phone Off)" so lebendig klingen lässt. Oder der subtile Knock, der den simpel wirkenden Sophistipop-Vocals der walisischen Band Young Marble Giants in Madlibs Arrangement auf "Dirtknock" plötzlich innewohnt.

Aber natürlich arbeitet Madlib nicht nur mit Loops, essentiell für seinen Stil und die Brillanz von "Sound Ancestors" ist seine spielerische und erfinderische Verwendung von Kontrast. Manchmal ist es die synchronisierte Alchemie von Sounds, die klingen, als hätten sie seit je her zusammengehört: Wie auf dem einfühlsamen Opener "The Call", manchmal ist es eine klangliche Rekontextualisierung wie die Avant-Jazz-Drums unter den Bossanova-Klängen von "Latino N*gro". Oft sind es perkussiv eingeschobene Adlibs und Vocals, die Klängen neue Rahmen verleihen. Zuletzt verwendet Madlib Kollage auch noch als Technik des Portraits: Zum Beispiel, indem er gleich aus mehreren Songs der Philly-Gruppe The Ethics auf "Road Of The Lonely Ones" ein schwermütiges Destillat ihrer Ästhetiken schafft. Oder indem er ein Sly, Slicked And Wicked-Sample auf "Two For 2 – For Dilla" genauso flippt, wie es sein Detroiter Seelenverwandter getan hätte. Nicht nur, weil der die selbe Soul-Gruppe schon sampelte, sondern vor allem, indem er jede Facette dessen Schaffens zu einem feinfühligen Tribut verwebt.

Damit befinden wir uns an der Grenze zur letzten Ebene von "Sound Ancestors": Der erzählerischen. Tatsächlich arrangierte die Platte nicht Madlib selbst, sondern dessen langjähriger Kollaboratuer Four Tet, wodurch oder gerade weswegen sich aber doch ein klarer roter Faden durch dessen Inhalt zieht. Das Pacing und die Reihenfolge frönen einem traditionell sprunghaften Sound, ein Flickenteppich aus Eindrucken und Geräuschen verbindet die Flächen der Songs, die Technik fand sich beim Wu-Tang, sie fand sich auf "Madvillainy" und findet sich heute noch von Earl Sweatshirt bis zu The Koreatown Oddity.

"Sound Ancestors" nutzt diese Fragmentiertheit, um die mindestens ebenso heterogene Essenz des eigenen Sounds zu erforschen. Seien es jamaikanische Insel-Grooves ("Riddim Chant"), afrikanische Percussion, wie nachgespielt von Sun Ras Arkestra ("Sound Ancestors"), brasilianischem Jazz ("One For Quartabe") oder eben die Schulen aus Soul und R'n'B: In der Drum Machine von Madlib und seinen Artgenossen findet es alles Platz und System, um in seiner eigenen Logik verborgene Ideen neu aufleben zu lassen.

In dieser Hinsicht bildet "Sound Ancestors" ein heterogenes Breitband an Stimmungen, Gefühlen und Eindrücken ab. Manchmal klingt es schwermütig und erschöpft, manchmal dann wieder erhaben und stolz, zwischendurch albert es mit Gras atmendem Grinsen in der eigenen Genialität umher. Das ist schließlich auch der Unterschied, den Madlib von seinen vielen, minderen Nachahmern abgrenzt. Fast jeder kann sich digital durch Musik-Archive klicken, einen prominenten Loop abgreifen und dessen Stimmung auf drei Minuten Instrumental strecken. Aber Madlibs Essenz ist seine archivarische und zelotische Hingebung gegenüber der Musik, die er verwertet. Nur so kann er sie in all ihren Facetten in seine eigene Vision transformieren. Aber diese Transformation beraubt sie nicht ihres Geistes, sondern sorgt nur dafür, dass wir eben diesen Geist hervorgehoben und neu komponiert durch Madlibs Augen sehen können.

Trackliste

  1. 1. There Is No Time - Prelude
  2. 2. The Call
  3. 3. Theme De Crabtree
  4. 4. Road Of The Lonely Ones
  5. 5. Loose Goose
  6. 6. Dirtknock
  7. 7. Hopprock
  8. 8. Riddim Chant
  9. 9. Sound Ancestors
  10. 10. One For Quartabe / Right Now
  11. 11. Hang Out (Phone Off)
  12. 12. Two For 2 - For Dilla
  13. 13. Latino N*gro
  14. 14. The New Normal
  15. 15. Chino
  16. 16. Duumbiyay

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