laut.de-Kritik
Bisweilen wirkt das rabiat und stotterig.
Review von Erich RenzUm dem Liedgut der Goldenen Zwanziger und dem tagesaktuellen Pop die musikalische Trennschärfe zu nehmen, lässt man ein Orchester sämtliche Töne einspielen und ruft sie dann per Tastendruck übers Keyboard ab. Die Rede ist von Max Raabes harmonischem Nährboden, dem Palast-Orchester, und Annette Humpe, die diesen Klangkörper mittels Quantisierung zu einem Klangapparat verwandelt. Mit diesem Verfahren aus dem Bereich der digitalen Musikproduktion können Tonlängen und Tonfolgen genauestens zurechtgestutzt werden. Grob gesagt bedeutet das: Der Himmel hängt voller Geigen, die mal aus Holz waren und jetzt aus dem Plastik-Zauberkasten kommen.
Es ist kein neuer Kniff, mit dem die unlängst "Ich + Ich" -geschulte und gefeierte Humpe Raabe endgültig zum hiesigen Allgemeingut macht. Schon "Küssen Kann Man Nicht Alleine" war so ausgesonnen. Mit den verfremdeten Streichern wächst nun auch die Fallhöhe von Kunst zu Kitsch. Im Gegensatz zur zuckrigen Bandbreite von "Für Frauen Ist Das Kein Problem" hinterlässt Phil Spectors Wall Of Sound einen Nachgeschmack von Süßstoff.
Zwei- bis Dreiminüter für die Kurzweil und Themen, so alt wie die Menschheit selbst, gehören zur Hauptschlagader der Humpe-Raabe-Fortsetzung. Hat der Liebesschmerz sich einen wunden Punkt ausgesucht, dreht und windet sich das Leid, bis es in augenzwinkernden Zynismus umschlägt: "Du sahst aus wie Liebe, hast geschmeckt wie Liebe, man konnte dich leicht verwechseln mit Liebe, doch es gibt keine Liebe in deinem Herzen für mich. / (…) Was soll ich tun, du bist gegen mich immun?" ("Keine Liebe Für Mich").
"Für Frauen Ist Das Kein Problem" überzeugt in jenen Momenten, in denen sich Raabes schnörkelloser Bariton aus dem künstlich-konservierten Klangbad erhebt und zu prächtigen Gedankenspielen ansetzt: "Ich bin nur gut, wenn keiner guckt, wenn einer zuschaut, mach ich's gleich verkehrt (…) / Schaut niemand zu, bin ich grandios, ein wahrer Meister vor dem Herrn, Sie hätten mich echt gern. Guckt einer, ist mit mir nichts los" ("Ich Bin Nur Gut Wenn Keiner Guckt").
Schlagwerk ist nicht vonnöten, der Rhythmus bildet sich aus dem Innersten der Lieder heraus. Aus den Saiten- und Tasteninstrumenten entwickeln sich Rumba ("Ist Doch Nur Ein Gefühl") und Samba ("Als Ich Dich Wollte"), Wiegenlied ("Ich Schlaf Am Besten Neben Dir") und Volksweise ("Zwischen Zwei Lieben"). Um diese Abwesenheit auszubalancieren werden Kontrabass, Klavier und Geigen so umgemünzt, dass sie als Rhythmusersatz in die Bresche springen. Bisweilen wirkt das rabiat und stotterig, weil gerade wegen der Quantisierung jeder Einsatz und jeder Schlag keine Tausendstelsekunde Verzögerungszeit kennt.
Für das ästhetische Risikospiel spricht, dass der von Retrowellen überschwemmte Pop in jüngster Vergangenheit kaum aktuellere Formen aufweisen konnte, als Humpe und Raabe sie durch ihr Mischverfahren aufs Neue freilegen. Raabe reproduziert ja schon lange nicht mehr bloß den Stil der Zwanziger und Dreißiger. Mit Witz und Charme bekennt sich "Für Frauen Ist Das Kein Problem" vielmehr bedingungslos zur Gegenwart. Und wer kann schon von sich behaupten, als praktizierender Bariton mit eigenem Repertoire durch die Hitparade zu tigern?
3 Kommentare
gehört so ein zeuchs überhaupt in laut.de?
und dann auch noch 3 sterne?
Ich hab das letzte Album, weil ich irgendwie diese kühle Eleganz von Max Raabe mag und die Musik für mich auch einen gewissen Charme hat. Aber die neue Single wirkt auf mich irgendwie wie eine schlechte Selbstkopie.. auch die synthetischen Streicher wirken irgendwie viel zu glatt
Letztes Album fand ich auch gut. War sogar auf einem der dazugehörigen Konzerte. Und ja, sowas gehört auch in laut.de.