laut.de-Kritik

Eine Dave Mustaine-Produktion mit Aha-Effekten.

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Ob es nun am streitbaren Charakter des Bandchefs liegt oder dem Wunsch nach Weiterentwicklung geschuldet ist; auch in der Entstehungsphase von Album Nr. 16 drehte sich das Personalkarussell bei Megadeth erheblich. Soilwork-Drummer Dirk Verbeuren und Angra-Griffbrettmeister Kiko Loureiro zählen mit einer Verweildauer seit der letzten Platte "Dystopia" fast schon zum alten Eisen. Der Posten am Langholz, lange Zeit in fester Hand von Gründungsmitglied Dave Ellefson, wurde im Zuge von Ellefsons zweifelhafter Korrespondenz mit einer Minderjährigen neu ausgeschrieben. Nachdem Testament-Tieftöner Steve DiGiorgio die Spuren neu eingespielt hat, übernimmt fortan James LoMenzo den für die Megadeth-Kompositionen extrem wichtigen Bass-Part.

Der Album-Titel "The Sick, The Dying And The Dead" könnte auch einem Spaghetti-Western entlehnt sein, spielt jedoch auf die verschiedenen Phasen des Siechtums eines Pestkranken an. Wer denkt hierbei nicht an Dave Mustaines Krebsdiagnose 2019 und deren kräftezehrende Behandlung? Vic Rattlehead steigt wie auf den Covern zu "Peace Sells" oder "Rust In Peace" aus der Klamottenkiste und komplettiert das morbide Ambiente.

Megadeth 2022 fabrizieren 'Business As Usual', aber das auf hohem Niveau: Da wäre der angepisste Sprechgesang von Dave Mustaine, garniert mit stoischen Riffs und Single Note-Passagen, wie sie seit "Symphony Of Destruction" zum bitterbösen, guten Ton gehören. Den meisten Songs zu eigen sind das unstete Songwriting sowie Brüche im Ablauf der einzelnen Parts. Man muss schon genau hinhören, um im Fluss zu bleiben. Die Belohnung sind zahlreiche Aha-Effekte sowie Langzeitpotenzial des Dargebotenen.

Der Titeltrack besticht mit seiner collagenartigen Anordnung. Der Anfang mit Glockenschlägen und düsterem Gitarrenpicking hat seine Anleihen an AC/DCs "Hells Bells". Textlich ergeht sich der bekannteste Rotschopf seit Pumuckl in Endzeitvisionen, Kriegsszenen und in "Célebutante" einem Bash auf neureiche Wichtigtuer. Im Video zum Vorbote "We'll Be Back" reiht sich Kampf an Kampf. Der Vorspann kündigt an, was als Marschroute auf Albumlänge gilt: es handelt sich um eine Dave Mustaine-Produktion. 

Bei "Mission To Mars" bilden Synthie-Grundtöne, ein stumpfer Achtelbass und ein schleppender Hardrock-Riff die Startrampe für die Reise ins All. Die Nummer ist ein mit zahlreichen Hooks gespicktes Machwerk in der Tradition der Hits von "Youthanasia" und "Countdown To Extinction". Mustaine zaubert einige knorrige Melodien aus dem Ärmel, u. a. garniert mit der catchy Zeile "I Wanna Be An Astronaut", bis das thrashige Finale über den Hörer hereinbricht.

Der Einfluss Kiko Loureiros bemisst sich nicht nur an den durchdachten Solopassagen, die Anspruch und Songdienlichkeit verbinden. Die Tribal Drums, die "Sacrifice" im Hintergrund ein latentes Sepultura-Feeling verleihen oder die Akustik-Gitarren in "Dogs Of Cernobyl" oder "Killing Time" dürften seinen Beiträgen geschuldet sein.

Mit "Live In Hell" und dem sicherlich selbstreflexierenden "Junkie" erklingen zwei am Punk geschulte und direkte auf die Zwölf gehende Nummern. Alle Freunde des Hirnhälften-Pogos kommen hier voll auf ihre Kosten. "Night Stalker" ist in erster Linie ein feist vorpreschender Thrasher, der für sich steht und in Form eines Drillsergeant-Features von Body Count-Vorturner Ice-T ein nettes Schmankerl aufweist.

Kreators Flirt mit der rohen Vergangenheit auf "Hate Über Alles" beantworten Megadeth mit einem starken Brocken an Album. Auch mit den Highlights der jüngeren Testament-Historie müssen sich die Bay Area-Vorreiter messen. Von den Big 4 hingegen sind die Mannen um Mustaine kreativ betrachtet am vitalsten.

Trackliste

  1. 1. The Sick, The Dying And The Dead!
  2. 2. Life In Hell
  3. 3. Night Stalkers
  4. 4. Dogs Of Chernobyl
  5. 5. Sacrifice
  6. 6. Junkie
  7. 7. Psychopathy
  8. 8. Killing Time
  9. 9. Soldier On!
  10. 10. Célebutante
  11. 11. Mission To Mars
  12. 12. We'll Be Back

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