laut.de-Kritik
Radikaler Gegenentwurf zu Glamour und Künstlichkeit.
Review von Eberhard DoblerEin Rockmusiker wird selten Regierungsmitglied. Midnight Oil-Fronter Peter Garrett aber wechselte erst vom Mic ans Parlamentpult für die Labor-Partei, bevor er 2007 als australischer Minister für Umwelt, Kulturerbe und Kunst vereidigt wurde. Der großgewachsene, glatzköpfige Sänger mit dem lauten Organ und der kehlig exaltierten Intonation wagte den Sprung direkt ins Haifischbecken, frei nach dem Motto: nicht nur eine bessere Welt einfordern, sondern sie auch herbeiführen.
Fast zwangsläufig spaltet Garrett seitdem sein Fanlager. Denn demokratische Politik beruht auf Kompromissen, nicht auf der Durchsetzung eigener Vorstellungen. So kam es, dass ausgerechnet er, der Anti-Atom-Sänger, den Bau einer Uranmine genehmigte.
Oder er sich mit dem Vegetarier Paul McCartney stritt, ob 400 Kängurus getötet werden dürfen. Der Minister war dafür, in einem Riesenstaat, in dem die Tiere in manchen Landstrichen zur Plage werden. Gegen den kommerziellen Walfang in seinem Land ging er dagegen erfolgreich vor.
Umweltschutz, Rufe nach einer atomwaffenfreien Welt und vor allem der Schulterschluss mit den Aborigines, denen der weiße Mann in Down Under Ähnliches antat wie den nordamerikanischen Ureinwohnern, waren die zentralen Themen - nicht gerade purer Chartsstoff. Mit ihrem Gegenentwurf zu Glamour und Künstlichkeit schafften Midnight Oil 1987 trotzdem den Sprung in die internationalen Hitparaden.
Inspiriert wurde "Diesel And Dust" von einer Tour des Fünfers ins Outback (Northern Territory), wo sich die Band mit der harten Lebensrealität der Aborigines konfrontiert sah. Die beiden Leadsingles "The Dead Heart" sowie die bekannteste Oil-Nummer, die pumpende Mitsing-Nummer "Beds Are Burning", fordern offen Gerechtigkeit und Wiedergutmachung ein.
In den Lyrics zu "The Dead Heart" schildert Garrett eindringlich deren Schicksal: "We don't serve your country / don't serve your king / know your custom don't speak your tongue / white man came took everyone", und später: "Mining Companies, Uranium Companies, Pastoral Companies, Collected Companies / got more right than people." Satte Chorvocals im Refrain schieben die Message an.
Beide Tracks stehen exemplarisch für das Konzept der Platte. Sozialkritische Inhalte werden nicht nur hymnisch verpackt ("Sometimes"), sondern eine schnörkellos spielende Backline aus zwei glasklaren Gitarren, einem deftig präsenten (Achtel-)Bass und knallenden Drums bahnt ihnen den Weg. Dabei wirken die Songs durchweg nachvollziehbar arrangiert ohne zu langweilen.
Stattdessen grooven Politik und Rockmusik erstaunlich geschmeidig zusammen. Ein Paradebeispiel stellt der Midtemposmasher, die dritte Single "Put Down That Weapon", dar. "Put down that weapon or we'll all be gone / You must be crazy if you think you're strong." Welche andere Band lässt dich einen Anti-Atomwaffen-Song dermaßen unverkopft und lauthals mitsingen?
Jim Moginie und Martin Rotsey verzichten auf Verzerrer - was ja zur deprimierenden Thematik gepasst hätte - sondern greifen meist ausladend cleane, kräftige Powerchords. Das transparent und breit produzierte Rockfundament von "Diesel And Dust" steht gleichberechtigt an der Seite der Inhalte.
So beschwören Basser Peter Giffords (er verließ die Band noch vor dem Release) sowie Drummer Robert Hirst nicht nur einmal so etwas wie Maschinenlärm herauf. Atmosphärische Unterstützung liefern Achtziger-typische düstere Keyboardsounds beziehungsweise perkussive Additionals. Zuweilen sorgen auch Bläsersätze für den letzten Schub.
Manchmal meint man dann fast zu hören, wie sich der Rohstoffhunger als Bedingung des sogenannten Fortschritts in die Natur und den Lebensraum der Eingeborenen frisst ("Bullroarer"). Deshalb rollen zwar alle Stücke verdammt eingängig über den Highway, aber Midnight Oils Pick-Up hat eben doch zu viele Kratzer im Lack.
Mittlerweile fungiert Garrett als Minister for School Education, Early Childhood and Youth. Dass "Diesel And Dust" 2010 in einer von Musikjournalisten kompilierten Liste der besten 100 australischen Alben an erster Stelle noch vor AC/DCs "Back In Black" oder INXS steht, dürfte ihn stolz zurückblicken lassen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
9 Kommentare mit 4 Antworten
Hassalbum Nummer 1.
Seeeeeeeeeeeeeeeehr interessant.
Ich kenn von dem Album nur Beds are burning find den Song aber grosse Klasse und gehört zu meinen all time Favorites.
@Azealia (« Hassalbum Nummer 1. »):
Warum das denn?
Für mich rechtfertigen schon die beiden Singles die Meilensteinreview
Hab das Album neulich über meinen Simfy Account wieder angehört und bin dem Sound sofort verfallen.
Wie gut Album ist habe ich erst jetzt bemerkt, auch wenn ich es schon von früher kannte. Kein schlechter Song dabei.
Mein Lieblingstitel "The dead heart".
Meine Lieblings-CD von Midnight Oil, wenn ich die älteren Alben wie Place Withoud a Postcard/ Head Injuries / Midnight Oil durch ihre ungeschliffene Schroffheit irgendwie besonders finde...
Danke! Kein Lückenfüller auf dem Album. Und live waren sie eine Macht. Sehr schade, dass es sie nicht mehr gibt.
@sagresney:
Schade, ich hab' Karten für den 6. Juli ...
Gruß
Skywise
Bitte WAS? Klär mich mal auf!!Wo,wie was. Spielen die wieder zusammen?Muss ich direkt mal googlen,geh ich bestimmt hin.Auf die alten Zeiten.
Au weia.Wie konnte das denn an mir vorbeigehen?Da ergibt `Read about it`ja echt Sinn für mich...ha,ha.VIELEN Dank für den Hinweis,ich muss echt sorgsamer die News hier lesen.
Was´n Ding!Unfassbarer Weise hab ich am 5.auch noch Geburtstag! Aber Mainz is mir zu weit.Werd mich direkt um Karten für Hamburg kümmern.
Danke nochmals.