laut.de-Kritik

Das optimistischste Requiem aller Zeiten.

Review von

Noch immer ist Mike Oldfield ein Meister des Geheimnisvollen und der Spannungserzeugung. Die in unserer schnelllebigen Zeit ungewöhnlich lange Vorlaufzeit zwischen Ankündigung und Erscheinen von "Return To Ommadawn" erzeugte in der Öffentlichkeit, der sich das englische Phantom entzieht wie kaum ein zweiter, eine turmhohe Erwartungshaltung.

Diese erweist sich zum Glück nicht als Kartenhaus, sondern als sturmfest: Seine Rückkehr gen Ommadawn liefert genau den Beweis für Oldfields musikalisches Genie, dessen es nicht mehr bedurfte: ein anmutiges Spätwerk zwischen Nachruf und Aufbruch.

Die Begleitumstände zur Geburt des Albums rangieren irgendwo zwischen schwierig und niederschmetternd. Ihre Duplizität zu "Ommadawn" scheint Oldfield fast eine Zeitschleife zu bescheren. Vor gut 40 Jahren ging ihm die Plattenfirma auf den Sack, heute erledigen das Scharen engstirnig-sektenhafter Oldfieldianer, die alles verachten, das nach "Amarok" kam und nicht wie "trve Progrock" klingt. Damals wie auch zuletzt litt Mr. "Moonlight Shadow" an psychischen Problemen (erstmals 2014 textlich thematisiert auf dem tollen Rocksong "Nuclear" von "Man On The Rocks"). 1975 starb überraschend seine Mutter, 2015 verlor er seinen ältesten Sohn durch Herzinfarkt.

Um so mehr Respekt verdient der wortkarge Mann aus Reading dafür, dass er den Bettel nicht hinwirft, sondern sich als Vollblutkünstler, der er ist, den Giftpfeilen des Lebens stellt. Wie jüngst Nick Cave mit dem grandiosen "Skeleton Tree", verarbeitet er die durchlittene Tragödie mittels eigener Musik. Doch anders als der Australier serviert Oldfield keine Seelenpein. Im Gegenteil: "Return To Ommadawn" ist das wohl optimistischste Requiem aller Zeiten. 42 Minuten lang vereinen sich Zärtlichkeit, Sensibilität und Frohsinn zur Feier des Lebens.

Oldfield dazu: "Ich habe großes Glück, dass ich meine Gefühle in der Musik zum Ausdruck bringen kann. Und wir reden hier nicht von irgendeinem Typen, der einfach die Beine baumeln lässt, während er seine Gitarre anschlägt und überglücklich drauflos musiziert. Das hier sind emotional extrem aufgeladene Songs. Die Lebenssituation kann dazu beitragen, dass die Musik einen ganz anderen emotionalen Tiefgang bekommt. Es war wie Benzin, das man ins kreative Feuer gießt. Aber hat schon mal jemand von einem Menschen gehört, der glücklich und zufrieden ist – und aus der Position etwas wirklich Großes geschaffen hätte? Das funktioniert einfach nicht. Man muss leiden dafür. Ich habe das Glück, diese Sachen artikulieren zu können, anstatt sie in mich hineinzufressen. Schließlich hat das Leben immer die Angewohnheit, dass sich Gutes und Schlechtes die Waage halten."

Es ist nicht notwendig, den ersten Teil zu kennen. Studioalbum Nr. 26 besitzt ein eigenständiges Naturell. Ein paar konzeptionelle Gimmicks für alle Freunde der nerdy Synopse baut er dennoch ein. So gibt es durchaus architektonische Ähnlichkeiten, ein paar versteckte Schatten auf der Mauer. Auch hier startet die Komposition mit einem im Verlauf wiederkehrenden Kernthema und klingt mit kontrastierend volksliedhaftem Schluss aus. Ebenso sind die leichten Afrikanismen wieder mit von der Partie. Allerdings, besonders in Form der ausdrucksstarken Wall of Tomtoms, in weit eleganterer Version als vor vier Jahrzehnten.

Ohnehin vermeidet der bekennende "Game Of Thrones"-Junkie (vergleicht das Coverartwork!) auf diesem Sequel alle minimalen Schwächen des Prototyps. Dort klangen manche seiner typischen Folk-Einschübe noch etwas grob, hemdsärmelig und fast schon pubtauglich. Hier jedoch ist er ganz und gar bei der klanglichen Noblesse eines Ralph Vaughan-Williams angekommen. Genau wie der englische Klassikkonponist setzt Oldfield mittlerweile den Folk ins Zentrum seiner instrumentalen Soundmalerei, ohne dabei all zu grelle, unpassende Klangfarben zu verwenden. Das Ergebnis ist eine meisterhafte Gratwanderung von Harmonie ohne Glätte und Komplexität ohne Irritation. Damit sammelt er Freunde seiner pointierten Vier-Minuten-Perlen ebenso ein wie Anhänger von "Tubular Bells" oder "Hergest Ridge".

Diese effektive Ästhetik garantieren vor allem zwei kreative Faktoren. Erstens die enorme melodische Vielfalt: Neben der in verschiedenen Facetten auf- und abtauchenden Hauptsequenz erscheinen zahllose Nebenfiguren auf der Bildfläche. Jede einzelne Miniatur verfügt über ihren eigenen faszinierenden Bann. Dabei zieht Oldfield das klangliche Register von fragiler Zartheit bis zum Markenzeichen seiner typisch rockenden Gibson SG E-Gitarre.

Als zweiten Trumpf spielt er das bewusst weitgehend akustisch gehaltene Netz einer ganzen Horde verschiedenartiger Saiteninstrumente aus. Als ungekrönter König filigran gezupfter Verknüpfungen formt Oldfield unter anderem Flamenco-Gitarre, Akustikgitarre, Ukulele, keltische Harfe und Mandoline zu einem Mosaik der Töne, dessen liebevolle, sehr warme Ausstrahlung weit mehr bietet als die Summe der Einzelteile.

Trackliste

  1. 1. Return To Ommadawn, Pt. I
  2. 2. Return To Ommadawn, Pt. II

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