laut.de-Kritik

Tief emotionale Post-Hardcore Perle.

Review von

Potzblitz, ein Kleinod! Man rechnet ja nicht täglich damit, dass man völlig unverhofft ein Album in die Hände gespielt bekommt, das einen tief beeindruckt. Man kann offensichtlich Augen und Ohren nicht überall haben, sonst wären mir Militarie Gun wohl kaum durch die Hörlappen gegangen. Bandkopf und Multiinstrumentalist Ian Shelton gründet die Band bereits 2020, während seine Hauptband Regional Justice Center wegen der seinerzeit wütenden Pandemie eine Pause einlegen musste. Nach drei (irgendwie von allen, außer natürlich von mir) vielbeachteten EPs erscheint jetzt das erste vollwertige Album "Life Under The Gun" und bringt endlich wieder frischen Wind in die etwas angerostete Post-Hardcore-Landschaft.

Nun, eines sollte klar sein, das Rad wird in den meisten etablierten Sparten mitnichten neu erfunden, und auch diese knackfrischen Kalifornier stellen da keine Ausnahme dar. Allerdings darf man ihnen mit Fug und Recht attestieren, dass sie eines der schönsten Alben der letzten Jahre in die Welt gesetzt haben. So ein ein stimmiges, ambitioniertes und gefühlvolles Stück Musik hat man zumindest in diesem Bereich länger nicht entdecken dürfen.

Wen nun der Eindruck ereilt, bei dem gut siebenundzwanzigminütigen Erstling mit seinen durchschnittlich etwa zwei Minuten langen Stücken handele es sich um leichte Kost, dem sei direkt Gegenteiliges versichert. Vordergründig, beim ersten Einhören, dem ersten kompletten Durchlauf, erhält man ein vorwiegend midtempolastiges, recht positives Album, die wahre Tiefe erschließt sich aber erst nach mehreren Hörrunden. Hinter der oberflächlich unaufgeregt wirkenden Fassade, hausen Aggressionen, emotionale Brüche und Ängste, die sich hinter fröhlichen Melodiebögen und lockerer Stimmung verbergen.

Viele der Songs klingen durchaus sonnig und positiv beschwingt, sogar beinahe poppig. "Think Less" oder "Return Policy" können eigentlich kein Wässerchen trüben, wäre da nicht Sheltons kratzige und gerne melancholische, wehklagende Stimme und die unfassbar drückenden, energiegeladenen Drums. Die Gitarren erzeugen gleichzeitig breite Soundwände und erinnern sehr positiv an offensichtliche Vorbilder wie Rival Schools oder frühe Hot Water Music. Gelegentlich schimmern Post-Grunge- oder Noiseparts ("Big Disappointment") durch, was die Songs abwechslungsreicher und um einiges dichter erscheinen lässt.

In vielen Stücken setzt sich Shelton inhaltlich mit den dunklen Seiten des Daseins auseinander. "Very High", ein klassischer, sehr emotionaler und dabei arschcooler Post-HC Knaller handelt beispielsweise vom falschen Umgang mit gewissen Substanzen, und Zeilen wie "I've been feeling pretty down, so I get pretty high" drücken dabei die richtigen Knöpfe. Das wunderbar eingängige "Seizure Of Assets" oder der Titeltrack gehen schon beinahe als US College Rock durch, wenn man sich allerdings mit den düster-ängstlichen Lyrics beschäftigt, vergeht einem der Gedanke an rauschende Parties oder den lockeren Umgang mit Alltagsdramen.

Sehr gefühlvoll, annähernd balladesk und beschwichtigend wirken "Never Fucked Up Once", das eigentlich schönste Stück des Albums und die schräge, nur aus käsiger Orgel und Baritongitarre bestehende "See You Around". Letzteres rührt allein schon aufgrund der dramatischen Gesangsspur zu Tränen.

In nicht einmal einer halben Stunde passiert unfassbar viel, große Emotionen, sehr ausgeklügelte Riffs und in sich verwobene, an sich unauffällige Songstrukturen, deren Tiefgründigkeit sich erst nach und nach erschließt. Auf diesem Jawbreaker muss man schon eine ganze Weile rumkauen, bis man zum bitter-süßen Kern gelangt. Dass "Life Under The Gun" in den Jahresbestenlisten Erwähnung findet, steht für mich jedenfalls fest.

Trackliste

  1. 1. Do It Faster
  2. 2. Very High
  3. 3. Will Logic
  4. 4. My Friends Are Having A Hard Time
  5. 5. Think Less
  6. 6. Return Policy
  7. 7. Seizure of Assets
  8. 8. Never Fucked Up Once
  9. 9. Big Disappointment
  10. 10. Sway Too
  11. 11. See You Around
  12. 12. Life Under The Gun

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