laut.de-Kritik

Lyrische Drive-Bys im Betonwüsten-Sound.

Review von

"There's a war going on outside no one is save from ..." Welcher Rap-Fan wurde nicht schon mal von Zivilbullen angehalten, weil er im Januar nachts bei acht Grad Miese, Ellenbogen raus und Kapuze auf im Polo "The Infamous" gepumpt hat?

Kein Tocotronic - aber es gibt nur cool oder uncool und wie man sich fühlt. 1995 mit Mobb Deep im Tapedeck - CD-Wechsler hatten damals nur Wachsjacken-Weichlinge - gab man als Vorstadtkrokodil einen Fick auf eben jene und die Welt und versuchte sich cool zu fühlen - für eben jene. "We livin' this til the day that we die / survival of the fit only the strong survive."

Der blutjunge Beatbastler Havoc baute aus knochentrocken-treibenden Drumpatterns, tiefen Bässen und minimalistisch-melancholischen Samples einen beängstigenden Betonwüsten-Sound, auf dem sein ebenfalls noch frischer Rhyme-Partner Prodigy seine intensiv-ignorante Ghetto-Lyrik perfekt ausrollte. "Queensbridge, we're on the scene bitch."

Nach "Illmatic" krachte innerhalb einer New York-Minute der zweite Meilenstein aus diesen kleinen Big Apple-Projects wie ein massiver Mond in die amerikanische Jugendkultur. Und ähnlich wie Kollege Nas gewännen auch Mobb Deep kein Armdrücken bei den Hells Angels, ihre Analysen aus dem Viertel stechen jedoch messerscharf ins Schwarze wie afroamerikanische Crackjünger.

"Meanwhile back in Queens the realness is foundation / if I die I couldn't choose a better location / when the slugs penetrate you feel a burning sensation / getting closer to God in a tight situation / now, take these words home and think it through / or the next rhyme I write might be about you."

"Shook Ones Pt II", Havocs Siebziger-Sample-Salat aus Quincy Jones' "Kitty With The Bent Frame", "Jessica" von Herbie Hancock und "Dirty Feet" von der Daly Wilson Big Band, kopfnickt sich als Mobb Deeps Karriere-Blaupause durch die Boxen. Mit diesem Hoodie-Hose-auf-halb-acht-Hop auf den Ohren und Timberland-Boots an den Roots marschieren Hemden und Opfer aller Klassen in jede noch so aussichtslose Schlacht - kompromisslos, um mit wehenden Fahnen unterzugehen. Hauptsache keep it real. Prodigy kennt den Deal, gilt er doch nach diversen Handgemenge-Niederlagen selbst als Studio-Gangster.

Schlecht für die Credibility bei den richtig harten Jungs, gut für das Selbstbewusstsein und das Durchsetzungsvermögen aller anderen. Während Hypnotiseur Havoc im tonnenschweren "Eye For An Eye" den Head ins Reich der Genickstarre loopt und Raekwon mit "drinks bears, the German ones" im Gedächtnis bleibt, fährt Prodigy auf "Trife Life", "Q.U. - Hectic" und "Right Back At You" einen lyrischen Drive-By nach dem anderen.

Positiv-melodische Verschnaufspausen aus dem Boom Bap-Truck verkauft auf "The Infamous" ATCQ-Legende Q-Tip als Co-Producer von Tracks wie "Temperature's Rising" oder "Give Up The Goods (Just Step)". Auch zwischen den Häuserschluchten schien um 1995 ab und an die Sonne.

Zumindest für ein, zwei Jahre: Auf dem noch intensiveren, noch kompromissloseren Nachfolgeralbum "Hell On Earth" verschwanden die letzten Strahlen hinter den dunklen Wolken des 2Pac-Eastcoast/Westcoast-Beefs. Prodigys einstige "Shook Ones Pt 2"-Selbstanalyse klingt da wie eine Prophezeiung:

"I'm only nineteen but my mind is old / and when the things get for real my warm heart turns cold / another nigga deceased, another story gets told."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. The Start Of Your Ending (41st Side)
  2. 2. The Infamous (Prelude)
  3. 3. Survival Of The Fittest
  4. 4. Eye For An Eye (Your Beef Is Mines)
  5. 5. Just Step (Prelude)
  6. 6. Give Up The Goods (Just Step)
  7. 7. Temperature's Rising
  8. 8. Up North Trip
  9. 9. Trife Life
  10. 10. Q.U. - Hectic
  11. 11. Right Back At You
  12. 12. The Grave (Prelude)
  13. 13. Cradle To The Grave
  14. 14. Drink Away The Pain (Situations)
  15. 15. Shook Ones Pt. II
  16. 16. Party Over

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