laut.de-Kritik
Gewohnte Kost statt gesprengter Ketten.
Review von Dominik LippeNazar weist eine außergewöhnliche Lebensgeschichte auf. Wenige Monate vor Veröffentlichung seines achten Studioalbums "Mosaik" legte der österreichische Rapper in seiner Biografie "Mich kriegt ihr nicht" eindrucksvoll Zeugnis von einer Kindheit ab, die von mehreren gescheiterten Fluchtversuchen aus dem Iran, omnipräsenter Gewalt und einer frühen Infektionserkrankung mit lebenslangen Folgen überschattet wurde. Dem Musiker bietet sich dadurch ein nahezu unerschöpfliches Reservoir für die Inhalte seiner Songtexte.
Mit dem auch visuell beeindruckend umgesetzten "INTRO 1984" schöpft er direkt zu Beginn aus eben dieser Quelle: "So viel Frust im Herz, der mich in den Wahnsinn triebt. Alles holt dich ein, Stimmen der Vergangenheit." Ausgehend von bedächtigen Streichern steigert sich Nazar in einen wütenden Rausch, der auch musikalisch in Form unheilvoll treibender Synthies seine Entsprechung findet. Auf dem Höhepunkt seiner Aggression fällt der Österreicher wieder in melancholische Reflektion über seinen verstorbenen Vater zurück. Erneut setzt das Streicher-Ensemble ein, bevor sich der Rapper wieder seines Zorn gewahr wird: "Mein ganzes Leben war ein Kampf in mir selbst. Mama sagte immer: 'Keiner wird dich fangen, wenn du fällst!'"
Leider trübt sich der vielversprechende erste Eindruck des Intros recht schnell ein. "Limit" vermittelt noch eine ungemeine Dynamik in bester Battle-Rap-Tradition. Anschließend fährt Nazar alles auf, worauf aktuelle Rap-Alben offenbar nicht mehr verzichten können: Trap-Beats, Autotune und eine geringe inhaltliche Dichte. Selbst der Angewohnheit des sinnbefreiten Namedroppings frönt er gleich in Form des Song-Triples "Louie De Funes", "Claude Monet" und "Richard Lugner". Dabei spielt es traditionell keine Rolle, ob er sich nun auf den Slapstick-Komiker, den Impressionisten oder den Mörtelkönig fokussiert: Es bleibt immer dieselbe synthetische Soße.
"Du & Ich" sticht mit einem unheilvollen, dezent mit orientalischen Elementen gewürzten Instrumental heraus. Auch inhaltlich gehört die Geschichte einer sich dem Abgrund nähernden Beziehung zu den Highlights des Albums: "Du hast gesagt, ich bin der Mensch, der dir am nächsten ist. Doch heute bist du mir so fremd, weil du in Rätseln sprichst." In "Domino" skizziert Nazar zahlreiche Schicksale, die unweigerlich in Prostitution, Fremdenhass, Drogenkonsum, Kindesmissbrauch, Selbstmord oder Terrorismus kulminieren. Dabei wirbt er darum, die Zusammenhänge zu verstehen, ohne gleich Verständnis zeigen zu müssen.
Als bemerkenswert erweisen sich auch die Bonus-Songs der limitierten Edition, im Guten wie im Schlechten. In "Gossip" beklagt Nazar die Tendenz der Szene, immer in Richtung des US-Marktes zu spähen: "Ihr kopiert nur Styles, aber niemand von euch lebt es." Diesem schmählichen Verhalten liegen selbstverständlich kühle marktwirtschaftliche Kalkulationen zugrunde: "Alle wollen Fame, jeder springt jetzt auf ein' Hype auf." Warum der Österreicher diese Gedanken ausgerechnet über eine Trap-Produktion in einer Mischung aus Humorlosigkeit und Überbetonung der Vers-Enden präsentiert, bleibt sein Geheimnis. Auf den letzten Werken Flers hätten sich "Gossip" und "Bermuda" jedenfalls hervorragend integriert.
Weitaus gelungener fällt dagegen der etwas glanzlos betitelte "Studio (Skit)" aus. In einem gespielten Streit mit seinem Produzenten widersetzt sich der Rapper dem Druck, den Abgabetermin einzuhalten: "Die Hook hast du eh schon und was du dazwischen sagst, das interessiert eh niemanden." Doch statt sich von derartigen Argumenten überzeugen zu lassen, spittet der renitente Nazar lieber mehrere verspielte Gaga-Parts. Mit seinem gut aufgelegten Vortrag nervt er seinen Studiotechniker so lange, bis dieser mit breitem Ösi-Dialekt die Brocken hinwirft: "Habe kein Bock mehr, glaubst du, du bist ein persischer Eminem?"
Den Abschluss bildet das elegische Lied "WDINGH", mit dem Nazar den Bogen zum beinahe in Vergessenheit geratenen "INTRO 1984" schlägt. Erneut gibt er persönliche Einblicke in seine Familiengeschichte: "Als mein Vater von uns ging, waren wir lange alleine und meine Mutter trug uns unter ihrem Mantel des Schweigens." Hier offenbaren sich noch einmal die Stärken des Österreichers: "Worte können Waffen sein, ich lege sie in Ketten, lasse weder Freude noch Tränen für mich sprechen." In diesem Sinne bleibt nur zu hoffen, dass sich der Rapper von diesen befreit, sodass auf dem kommenden Album gilt: Nazar Unchained.
1 Kommentar
Wusst gar nicht, dass es den noch gibt, diesen schmierigen Alpenirani. Ab und an 1 Track ist okay und auch das Einbinden aktueller Sounds tut dem meist angestaubten Angebot gut, aber auf Albumlänge ist mir der zu anstrengend mit dem gepressten Zuckerwattenpathos und komischen Vergleichen